Sinn für Humor

Ein fieser Ton

Klassenkampf Von

Ich habe ­einen schrecklichen Verdacht. Lange habe ich geschwiegen, aber da sich die Beweise häufen, darf ich, dürfen wir alle nicht länger die Augen verschließen: Ich vermute, dass die Berliner Landesregierung einen jeden Sinn für Humor vollständig zerstörenden Ultraschallton durch die Lautsprecheranlagen ihrer Schulen schickt, rücksichtslos, immerzu. Die Folgen sprechen für sich: Vergangene Woche erst habe ich vor einem Oberstufenkurs einen Witz gemacht, der so schlecht war, dass selbst die Mädchen in der ersten Reihe, die immer sehr darum bemüht sind, einen guten Eindruck zu machen, größte Schwierigkeiten hatten, auch nur ­gekünstelt zu lächeln. Es war ­furchtbar.

Und es hört nicht auf: Eben noch spricht man wie ein ganz normaler Mensch und im nächsten Moment schon sagt man Dinge wie »Achgottchen, ihr Ärmsten!«, nachdem man gerade vier Seiten Vokabeln zum Lernen aufgegeben hat und die Kinder absehbarerweise jammern; man bezeichnet irrende Schüler lustig als »Held« oder »Vogel« und ruft pfiffig: »Das andere Links«, wenn sich eine Schülerin in der Richtung geirrt hat. Auch die Jugendlichen sind betroffen: Als vor ein paar Jahren ein Lehrer versuchte, eine Schülerzeitung an unserer Schule zu etablieren, entstand tatsächlich eine Ausgabe, die einen geradezu verzweifelt unkomischen Titel trug und in der die Schülerschaft unter anderem die beliebteste Lehrerin, den interessantesten Unterricht, den am besten gekleideten und eben auch den lustigsten Lehrer gewählt hatte. Diese etwas seltsamen Themen waren natürlich das Ergebnis einer Interven­tion des Lehrers, der dadurch verhinderte, dass die Schülerschaft die unbeliebteste Lehrerin, den ödesten Unterricht und den hässlichsten Lehrer wählte, weswegen die Schülerzeitung überhaupt erscheinen durfte – kurz zuvor war nämlich die vollständige Auflage einer Abizeitung eingezogen worden, weil eine der Autorinnen sich darin gewünscht hatte, dass der Lehrer ihres Deutsch-Leistungskurses, ein Mann, der großen Wert auf die humanistische Bildung seiner Schützlinge legt, verbrannt werden möge, mitsamt all seinen Büchern. Einen Witz habe sie machen wollen, sagte die verantwortliche Schülerin, und mir fiel auf, dass sie in meinem Unterricht immer neben der Tür gesessen hatte: ­Direkt! Unter! Dem! Lautsprecher! Aber das nur nebenbei.

Zum »lustigsten Lehrer« jedenfalls wurde damals mit überwältigender Mehrheit Herr S. gewählt, ein Mann, der inzwischen in Rente gegangen ist, bei dessen Erwähnung die Schülerschaft aber bis heute verzückt die Augen verdreht und andächtig »Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!« haucht und der, natürlich, als Technikbeauftragter des Kollegiums für die Wartung der Lautsprecheranlage verantwortlich war! Dem ist nichts hinzuzufügen: Denkende Menschen werden wissen, was sie von all dem zu halten haben.