Unternehmerverbände und CDU lehnen das geplante Lieferkettengesetz ab

Hätte, hätte, Lieferkette

Über das geplante Lieferkettengesetz wird weiterhin vehement diskutiert. Die Unternehmerverbände wehren sich mit aller Macht gegen das Vorhaben.

Die Reaktionen waren eindeutig: »Miserabel gemacht«, urteilte Carl Martin Welcker, der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau in der vergangenen Woche. »Weltfremd« und »an der Grenze zur Unseriosität«, befand Ingo Kramer, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Zuvor hatte Gerd Müller (CSU), der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in einem Interview mit dem Handelsblatt die Pläne für ein sogenanntes Lieferkettengesetz bekräftigt.

Im Frühjahr sind Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit dem Vorschlag eines verbindlichen Lieferkettengesetzes bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgeblitzt. Derzeit wird das Thema erneut diskutiert. Die beiden Minister wollen deutsche Unternehmen verpflichten, soziale Mindeststandards auch entlang der Lieferketten im Ausland einzuhalten. Das Umweltministerium ergänzte die Überlegungen aus dem Arbeitsministerium um Aspekte des Umweltschutzes. »Menschenrechtsverletzungen, Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte und Umweltbelastungen gehen meist Hand in Hand«, hieß es aus Müllers Ministerium.

In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich im September die IG Metall und Betriebsräte von über 40 großen Unternehmen für ein Lieferkettengesetz aus.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lehnt das Vorhaben seiner Kollegen ab. Besonders kritisch sieht er, dass Unternehmen auch zivilrechtlich für Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht in Haftung genommen werden sollen. Wegen der Uneinigkeit in der Bundesregierung wurde das Thema bereits im August und erneut im September von der Tagesordnung des Bundestags gestrichen. Derzeit ist noch unklar, wann die Parlamentsdebatte dazu stattfinden soll.

»Wirtschaftsminister Altmaier verzögert erneut ein wirksames Lieferkettengesetz«, sagte Viola Wohlgemuth von Greenpeace dazu in einer Stellungnahme im September. »Die Werte eines christlich-demokratischen Wirtschaftsministers dürfen nicht an den Landesgrenzen haltmachen.« Ein Lieferkettengesetz sei, so Wohlgemuth, nur dann wirksam, wenn es die gesamte Kette erfasse.

Bisher gibt es nur eine freiwillige Selbstverpflichtung deutscher Unternehmen, soziale und menschenrecht­liche Standards auf dem Produktionsweg einzuhalten. Sie funktioniert ­einer Befragung im Auftrag der Bundesregierung zufolge bislang eher mäßig. Die Frage, wie Verpflichtungen durchgesetzt werden könnten, war bereits Anfang des Jahres Gegenstand einer Bundestagsdebatte zur Verwirklichung einer EU-Verordnung, die für bestimmte Rohstoffe aus Konflikt- oder Risikogebieten gilt (Kontrolle unerwünscht - Jungle World 13/2020). Die Grünen und die Linkspartei kritisier­ten damals, dass es kaum Mechanismen zur Durchsetzung gebe.

Heil und Müller, der jüngst seinen Rückzug aus dem Bundestag nach der laufenden Legislaturperiode angekündigt hat, können sich bei ihrem Vorhaben auch auf die öffentliche Meinung berufen. Einer Studie von Infratest Dimap zufolge, die im Auftrag der »Initiative Lieferkettengesetz« erstellt wurde, befürworten 75 Prozent der Bundesbürger ein solches Gesetz. 91 Prozent finden, es sei Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass deutsche Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften die Menschenrechte achten. Dieser Meinung sind auch 92 Prozent der Anhänger der Unionsparteien. »Die Blockadehaltung gegen ein Lieferkettengesetz von Peter Altmaier (CDU) widerspricht dem Willen der eigenen Wählerschaft«, folgerte die Initiative.

Einem rechtlichen Gutachten aus dem Juli zufolge, das die »Initiative Lieferkettengesetz« erstellen ließ, ist ein verbindliches Gesetz »erstrebenswert, zulässig und praktisch umsetzbar«. Aus Sicht der Initiative müsste ein solches Gesetz für die gesamte Wertschöpfungskette gelten sowie Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten für Behörden und eine Klagebefugnis für Betroffene vor deutschen Gerichten umfassen. In Branchen mit großen Menschenrechtsrisiken müssten auch kleine Unternehmen besser kontrolliert werden.

Bedenken aus Wirtschaftsverbänden, eine Überprüfung der Lieferketten sei für viele Firmen nicht machbar, entgegnete Müller Mitte September in einer Rede vor dem Bundestag, die geplanten Regelungen seien auch und gerade für mittlere Unternehmen praktikabel. »Die Lobbyvertreter der Wirtschaftsverbände wollen ein Gesetz – gut! Aber sie wollen ein Gesetz ohne Folgen, ohne Haftung und ohne Wirkung – und das geht nicht«, betonte er. Dabei seien die deutschen Unternehmen selbst viel weiter als die Verbände. »Ich besuche kleine, mittelständische und große Unternehmen, die ihre Lieferketten längst zertifiziert haben«, so Müller in seiner Rede.

In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich Anfang September die IG Metall und Betriebsräte von über 40 großen Unternehmen für ein Lieferkettengesetz aus, das für alle in Deutschland tätigen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten gelten soll. Das Gesetz müsse die Missachtung der Sorgfaltspflichten an wirksame Sanktionen knüpfen, etwa Bußgelder und den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Ein Gesetz würde zu Rechtssicherheit und gleichen Wettbewerbsbedingungen beitragen, heißt es in der Erklärung. Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, sagte: »Gerade die momentane Situation zeigt die Wichtigkeit von stabilen Lieferketten. Diese Sta­bilität muss Hand in Hand mit Fairness und Verantwortung gegenüber Menschen und Umwelt gehen. Wenn versäumt wird, jetzt klar zu handeln, werden auch wir als Gesellschaft, national und international, die Folgekosten zahlen.«

Die BDA, der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Hauptverband des deutschen Einzelhandels fordern dagegen von der zuständigen Arbeitsgruppe Wirtschaft und Menschenrechte im ­Arbeitsministerium erhebliche Änderungen und Abschwächungen des ­Gesetzes, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. So soll das Lieferkettengesetz erst ab einer Unternehmensgröße von 5 000 Mitarbeitern in Deutschland greifen, nicht wie geplant ab 500. Es soll auch nicht für die gesamte Lieferkette gelten. Außerdem fordern die Verbände den Gesetzgeber auf, keine zivilrechtliche Haftung einzuführen, da sonst Unternehmen gezwungen seien könnten, ihre »Lieferketten zu verkürzen und sich aus Regionen mit problematischer Menschenrechtslage ­zurückzuziehen«, so die Süddeutsche Zeitung.

Auch die FDP äußerte in einer Kleinen Anfrage Bedenken gegen verbindliche Regelungen. Die Bundesregierung antwortete Mitte September, sie gehe nicht davon aus, dass das geplante Gesetz die Tätigkeit deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern reduzieren würde. Vielmehr solle das Gesetz so angelegt sein, dass Firmen bei »menschenrechtlichen Herausforderungen« mit ihren Geschäftspartnern und Zulieferern zunächst nach Lösungen suchten, um soziale und ökologische Risiken zu minimieren.

Ähnlich wie BDI, BDA und FDP sieht es Lars Feld, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (umgangssprachlich als »Rat der Wirtschaftsweisen« bekannt). Er sagte der Deutschen Presseagentur im August, er schaue mit »großem Entsetzen« auf das Lieferkettengesetz, denn wie sollten Unternehmen sicherstellen, dass die Menschenrechte in einzelnen Staaten wirklich eingehalten würden? Es helfe auch nichts, wenn Haftungsregelungen nur für größere Unternehmen Gültigkeit hätten. In Italien – wo es ein strikteres Unternehmenshaftungsgesetz für Fälle von Korruption, Umweltvergehen und Menschenrechtsverletzungen gibt – begrenzten Unternehmen ihren Beschäftigungsstand, um unter der gesetzlich für die Haftung festgelegten Mindestbetriebsgröße zu bleiben, bei deren Überschreitung sie den schärferen Regu­lierungen unterlägen, so Feld. Deutschland solle sich nicht die »italienische Krankheit« einhandeln. Mit einem Lieferkettengesetz werde »die Axt an das bisherige Erfolgsmodell der ­deutschen Wirtschaft mit stark internationalisierten Wertschöpfungs­ketten und einer starken Produktion im Ausland gelegt«. Eines muss man Feld lassen: Mit der Sorge um die durch Produktionsauslagerung erzielten Wettbewerbsvorteile der deutschen Industrie hat er ein Argument in die Diskussion eingebracht, das hierzulande eigentlich immer ­verfängt.