Vor der US-Präsidentschaftswahl ist die Stimmung angespannt

Angst vor dem Tag der Entscheidung

Die US-Bevölkerung ist zutiefst uneins, die Stimmung angespannt. Die »Jungle World« sprach mit Wählerinnen und Wählern über ihre Motive bei der Entscheidung zwischen den Kandidaten für die Präsidentschaftswahl am 3. November.

Cameron McNabb (50) ist Immobilienmaklerin in Austin, der Hauptstadt von Texas. Sie ist eine republikanische Stammwählerin. Keine Frage also, dass sie den amtierenden US-Präsidenten Donald J. Trump wiederwählen will, den sie »liebt« – sehr lange habe sie schon auf einen Politiker gewartet, der seine Versprechen einhalte. »Als Konserva­tive hatte ich das Gefühl, dass mir niemand zuhört. Und jetzt ist da endlich jemand, der sich für mich einsetzt«, so McNabb. Sie ist besorgt wegen der illegalen Einwanderung und der Globalisierung, aber vor allem der ihrer Meinung nach völlig übertriebenen Kritik am Rassismus in den USA. So hält sie beispielsweise das Abreißen von Statuen für einen Versuch, die US-amerikanische Geschichte »auszulöschen«, wie sie sagt: »Es ist total verrückt. Klar gibt es Probleme mit Rassismus, aber es ist bei weitem nicht so schlimm, wie von den Linken behauptet wird. Es ist doch lächerlich. Das ist alles Teil der marxistischen Agenda.«

»Wer Trump wählt, der wählt auch das Virus.« Nicholas Sheffo, Demokrat

Auch die Bedrohung durch Covid-19 wird ihrer Ansicht nach übertrieben, am Krisenmanagement Trumps gebe es nichts auszusetzen. »Er wollte das Land nicht in Panik versetzen. Und ich denke, er hätte es in Anbetracht der Si­tuation wirklich nicht besser machen können. Ich kenne niemanden, der ­Covid-19 bekommen hat. Ich werde schon nicht daran sterben. Und selbst wenn, das wäre immer noch besser, als weiterhin mit diesen beschissenen lockdown-Maßnahmen leben zu müssen.« Die ständige Kritik an Trump kann sie kaum nachvollziehen.

Das sieht der Afroamerikaner Walter Hart (67) völlig anders. Er ist pensioniert, 35 Jahre lang war er Hilfssheriff in Los Angeles. Seiner Meinung nach treffen die Rassismusvorwürfe durchaus zu. »In meiner community sehen wir ganz klar, dass Trump ein Rassist ist«, sagt Hart. Er kann sich kaum einen schlechteren Präsidenten vorstellen, insbesondere was die Reaktion auf die Coronakrise angeht. »Trump hat das in keiner Weise bewältigt«, meint Hart. »Er war völlig unvorbereitet. Und noch viel schlimmer ist, dass es ihn überhaupt nicht interessiert. Die Tatsache, dass zahllose Amerikaner an dieser Krankheit sterben, scheint ihn nicht zu jucken. Er und seine ganze Sippschaft sind allesamt Betrüger.« Kein Wunder also, wen Hart am 3. November wählen wird: »Ich stimme auf jeden Fall für Joe Biden und Kamala Harris.«

Ähnlich sieht es Nicholas Sheffo (52), ein freischaffender Medienwissenschaftler aus Pittsburgh in Pennsylvania, einem der swing states, in denen sich mutmaßlich entscheidet, wer Präsident wird. »Ich wähle auf jeden Fall Joe Biden«, so Sheffo. »Ich war mein ganzes Leben lang Demokrat und ich bin entsetzt darüber, was in den vergangenen vier Jahren hier geschehen ist. Mir war von Anfang an klar, dass es mit Trump schlimm wird, aber ich hätte nie gedacht, dass mein Land derart tief sinken würde. Die politische Elite hat vor Trump kapituliert.« Dass sein Favorit Biden in Pennsylvania zur Welt gekommen ist, betrachtet Sheffo als ­einen »zusätzlichen Bonus«, denn er hofft, dass dieser die Probleme von Menschen wie ihm deshalb besser nachvollziehen könne.

Tatsächlich hat sein Bundesstaat mit erheblichen Problemen zu kämpfen, vor allem wegen der Deindustrialisierung. »Pittsburgh war früher ein Zentrum für die Stahlindustrie, aber seit den Achtzigern wandern immer mehr Konzerne ab«, sagt Sheffo. »Im Grunde wollen die Menschen hier nur eine ehrliche Regierung und einen ­ordentlichen Lohn. Die Gewerkschaften wurden von den Konservativen nieder­gemacht, jetzt wird unser Bundesstaat vom Fracking ruiniert. Das ist ein Skandal. Diese Firmen zahlen keinen Cent Steuern. Trump hat versprochen, die Stahlindustrie und den Kohleabbau zurückzubringen, aber das ist doch Quatsch. Klar, ich kann die Nostalgie irgendwie verstehen, aber die alten Stahlfabriken sind doch zum Teil schon längst in Einkaufszentren umgewandelt worden. Trotzdem sind die Leute auf Trumps Gerede hereingefallen. In meinem ganzen Leben war die Wirtschaftslage noch nie so schlimm.« Nach Sheffos Ansicht liegt die Zukunft Pennsylvanias nicht in den Industrien von gestern, sondern denen von morgen: erneuerbare Energien, IT und vor allem medizinische Forschung.

Immer wieder wird Trump für seine derbe Art kritisiert sowie dafür, dass er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Doch McNabb will dem Präsidenten trotzdem die Treue halten. »Die Politiker lügen doch alle«, sagt sie. »Ich glaube sowieso niemandem mehr. Biden lügt genauso, aber das scheint keinen zu interessieren.« Zwar gibt sie unumwunden zu, dass Trump ein »Frauenheld« sei, der Leute schikaniere, aber sie könne es dennoch mit ihren christlichen Werten vereinbaren, ihn zu wählen: »Ich brauche einen Präsidenten, der für mein Land kämpft, und wenn das nun einmal ein Mann mit vielen Fehlern ist, dann muss ich das akzeptieren. Kein Mensch ist perfekt. Ich muss denjenigen wählen, der für un­sere Nation am besten ist.«

»Ich kenne niemanden, der Covid-19 bekommen hat.« Cameron McNabb, Republikanerin

An den provokativen Aussagen Trumps scheiden sich die Geister. Für Hart sind sie der vielleicht wichtigste Grund, dem Präsidenten seine Stimme vorzuenthalten: »Ich war fassungslos, als Trump nach den tödlichen Krawallen in Charlottesville 2017 die Neonazis mit denjenigen auf eine Stufe gestellt hat, die gegen rechts protestiert haben. Wir in der black community verstehen solche Signale sehr gut. Wenn wir nächtliche Fackelzüge von Neonazis sehen, dann denken wir an die Lynchmorde in unserem Land, als man früher die Leute bei Nacht, bei Fackellicht, aus ihren Häusern gezerrt und aufgeknüpft hat. Genau so hat das nämlich damals auch ausgesehen.« Sheffo spricht in diesem Zusammenhang unumwunden von den »faschistischen Tendenzen« der Republikaner: »Der rechte Flügel in diesem Land wird immer wütender und verzweifelter. In den vergangenen vier Jahren haben der Hass und die Propaganda von rechts immer mehr zugenommen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es ist wie in einer Bananenrepublik. Die Republikaner wollen aus unserem Land einen militaristischen Polizeistaat machen, aber damit werden sie in Amerika nicht durchkommen.« Für Sheffo ist es daher unvorstellbar, Trump zu wählen, nicht zuletzt wegen Covid-19: »Wer Trump wählt, der wählt auch das Virus.«

Zumindest in einem Punkt sind sich die Wählerinnen und Wähler der USA offenbar einig – die Präsidentschaftswahl ist entscheidend für die Zukunft des Landes. McNabb sagt: »Ich habe Angst davor, dass Biden gewinnen könnte. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst. Schon nach dem 11. September hatte ich ein großes Bedürfnis nach Sicherheit, aber heute geht es um etwas ganz anderes. Biden wird doch von den Linken manipuliert, egal ob das nun Kamala Harris ist oder Alexandria Ocasio-Cortez oder Nancy Pelosi.« Doch sie rechnet sich gute Chancen für ihre Seite aus: »Wenn es keinen Wahlbetrug gibt, wird Trump gewinnen, davon bin ich überzeugt. Aber Wahl­betrug ist ein echtes Problem.«

Hier stimmt Hart ihr zu – allerdings sieht er das Potential für Betrug bei den Republikanern, nicht den Demokraten. In vielen konservativ regierten Bundesstaaten gebe es Einschränkungen, um afroamerikanische Wählerinnen und Wähler daran zu hindern, ihre Stimme abzugeben. Doch er meint, Trump und seine Leute verstünden »die Entschlossenheit von uns Schwarzen« nicht. »Man muss sich nur die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger ansehen«, sagt er. »Zahllose Schwarze wurden verprügelt oder getötet, nur weil sie sich für ihr Wahlrecht eingesetzt haben. Und jetzt versuchen die Republikaner wieder einmal, die Menschen am Wählen zu hindern. Zum Beispiel in Texas. In ganz Houston, einer Millionenstadt, in der viele Schwarze und Latinos leben, gibt es nur einen einzigen Ort, um Briefwahlunterlagen abzugeben. Das stinkt doch zum Himmel! Die Generation meiner Großeltern war bereit, für das Wahlrecht ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Deswegen sagen wir: Jetzt erst recht! Wir mussten vier Jahre darauf warten, den Kerl endlich abwählen zu können. Nun ist es so weit.«