Kriminelle Motorradclubs in ­Schweden

Bandidos mit Bomben

In Schweden wird viel über gewalttätige Jugendgangs diskutiert. Kriminelle Motorradclubs erhalten weniger Aufmerksamkeit.

Glaubt man dem Bild, das vor allem rechte Medien derzeit von Schweden zeichnen, so geht das Land zugrunde, auch wenn es durch seine laxe Haltung zur Covid-19-Pandemie manchen Pluspunkt bei Rechten sammeln konnte. Lange erschien es demnach als ein zwar irgendwie vom Sozialismus versklavtes, aber immerhin friedliches Idyll. Seit einiger Zeit versinke es in einem von kriminellen Ausländerclans angerichteten nationalen Blutbad.

Manche Kriminalitätsforscher führen die derzeitigen Probleme in Schweden, insbesondere mit Jugend­gangs, direkt auf die Expansion von Bandidos und Hells Angels in den neunziger Jahren zurück.

Regelrechte Hinrichtungen auf offener Straße, zu Festungen ausgebaute Dependancen krimineller Vereinigungen, unbeteiligte Zufallsopfer und vor allem hilflose Behörden gab es jedoch bereits in den neunziger Jahren; sogar Panzerabwehrrakten kamen damals zum Einsatz. Von 1994 bis 1997 tobte das, was in Schweden als »Stora nordiska MC-kriget« (Großer Nordischer MC-Krieg; MC steht für Motorradclub) bezeichnet wird. In Dänemark heißt er dagegen »Anden MC-krig« (Zweiter MC-Krieg), denn in Kopenhagen war es von September 1983 bis Dezember 1985 zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hells Angels und Mitgliedern des Bullshit MC gekommen; es gab mindestens zehn Tote. Der Bullshit MC unterlag und löste sich 1988 auf, einige Mitglieder wechselten zum Morticians MC, der sich später Undertakers MC umbenannte. Aus diesem ging der dänische Ableger der Bandidos hervor.

Zu Beginn der neunziger Jahre gründeten Bandidos und Hells Angels auch in Schweden Niederlassungen, zunächst in den Grenzregionen zu Dänemark. Im Nachbarland bestanden nicht zuletzt aufgrund der strengeren Alkohol- und Drogenpolitik lukrative Verdienstmöglichkeiten.

Manche Kriminalitätsforscher führen die derzeitigen Probleme, insbesondere mit Jugendgangs, direkt auf die Expansion der Motorradclubs zurück. Zu ihnen gehört Lars Korsell von der 1974 gegründeten Behörde Brå, die dem schwedischen Justizmini­sterium untergeordnet ist und unter anderem Polizei, Staatsanwaltschaften, Zoll, Finanzbehörden und das Amt zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität berät. Diese Organe und Behörden werden in Schweden unter dem Sammelbegriff Rättsväsen (Rechtswesen) zusammengefasst. Korsell sieht die Ursache für die heutigen Probleme im Zusammenhang mit den frühen neunziger Jahren, als Hells Angels und etwas später auch Bandidos zu Einfluss in Schweden kamen. »Es war ein großer Fehler, die MC-Gangs lange nicht ernst genommen zu haben«, sagt er rückblickend.

Durch den geschäftlichen Erfolg der Hells Angels und Bandidos wuchs der Druck auf rivalisieren­de Kriminelle, sich ebenfalls in Gangs zusammenzuschließen, um effizienter handeln und sich vor allem besser verteidigen zu können. Zumal sich insbesondere während des »MC-Kriegs« der Eindruck verfestigte, die Polizei stehe den Motorradclubs machtlos gegenüber und diese könnten nach Gutdünken agieren. In Schweden und auch in Dänemark wurden Clubhäuser mit Panzerabwehrraketen und Raketenwerfern beschossen. Dänischen Rockern wurde es daraufhin gesetzlich verboten, ihre Vereinsheime in Wohngebieten zu betreiben. Mindestens zwölf Menschen starben bei den eskalierenden Auseinandersetzungen, 96 wurden teils schwer verletzt.

Der Rockerkrieg endete am 25. September 1997 mit einem live im Fernsehen übertragenen Friedensschluss zwischen den konkurrierenden Motorradclubs. Zustande gekommen war er durch die Vermittlertätigkeit des renommierten dänischen Juristen Thorkild Høyer. Da hatte sich jedoch bereits die bis heute aktive schwedische Gefängnisgang Brödraskapet (Bruderschaft, BSK) gegründet. Die kriminelle Organisation war im Mai 1995 unter anderem von zwei im Gefängnis Kumla einsitzenden prominenten Straftätern ins Leben gerufen worden: dem im damaligen Rhodesien (seit 1980 Zimbabwe) und Großbritannien aufgewachsenen Daniel Fitzpatrick, einem mutmaßlichen Polizistenmörder, verurteilt wegen eines Überfalls auf einen Geldtransporter, und dem Doppelmörder Leif Bruno Axmyr, der 2016 als am längsten einsitzender Straftäter Schwedens nach 34 Jahren im Alter von 77 Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen wurde.

Die BSK rekrutierte die damals ­bekanntesten Straftäter Schwedens. Die mussten sich unter anderem verpflichten, die Teilnahme an Resozia­lisierungsprogrammen zu verweigern. Freigelassene BSK-Mitglieder fusionierten mit dem ASA MC und gründeten im Süden Stockholms den ersten BSK-Ableger außerhalb eines Gefängnisses. Er organisierte sich als Motorradclub, aufgenommen wurden dort auch Männer, die niemals inhaftiert gewesen waren. Fitzpatrick sollte seine Freilassung im Januar 1998 nicht lange überleben: Am 18. Juni desselben Jahres wurde er in seinem Auto mutmaßlich von zwei Mitgliedern einer rivalisierenden Gang erschossen. Ohnehin war das Leben als BSK-Rocker nicht eben sicher, immer wieder verschwanden Mitglieder, nicht alle Leichen konnten gefunden werden. 2007 wurde ein ehemaliger Angehöriger einer anderen Gang im Göteborger BSK-Clubhaus erschossen, offenbar weil er sich negativ über die Tätowierung eines BSK-Rockers geäußert hatte.

Motorradgangs wie die Bandidos und die Hells Angels sowie die ursprünglich niederländischen Clubs Satudarah MC und No Surrender MC sind in Schweden noch immer nicht verboten. Dabei machen sie die größte Gruppe im Bereich der organisierten Kriminalität aus, rund 5 700 Personen werden ihr derzeit zugerechnet. Medial thematisiert wird das jedoch kaum – selbst als im Januar dieses Jahres Bomben vor einem Mietshaus nahe Stockholm und im Treppenaufgang eines Mehrfamilienhauses in Norrköping explodierten, erhielten die Motorradgangs kaum Aufmerksamkeit. Beide Taten waren offenbar Reaktionen auf den Mord an zwei Männern in einem Nachtclub in Norrköping im Dezember 2019, vermutlich handelte es sich um Abrechnungen zwischen Bandidos und Mitgliedern von No Surrender MC. Damit könnte Schweden erneut Schauplatz von Auseinandersetzungen werden, die andernorts begonnen haben. Die Bandidos gelten als mit dem in den Niederlanden seit Juni 2018 verbotenen Satudarah MC befreundet. No Surrender MC wurde 2013 von abtrünnigen Satudarah-Mitgliedern gegründet. Seit Juni 2019 ist die Bande in den Niederlanden verboten.

Immer wieder erlebe er, dass er ­sogar von Journalisten ungläubig gefragt werde, ob es denn wirklich noch Motorradgangs im Lande gebe, kommentierte der schwedische Kriminologe Amir Rostami kurz nach den Bombenanschlägen im Januar im Gespräch mit dem Fernsehsender SVT die mediale Fixierung auf Jugendgangs. Allgemein herrsche die Auffassung, dass das, was man nicht sehe, auch nicht existiere. »Aber es ist genau andersherum: Man sieht sie nicht, weil man sie nicht sehen möchte.« Das Milieu der Motorradgangs handele inzwischen zudem im wirtschaftlichen Sinn meistens rationaler als noch in den neun­ziger Jahren. Die Mitglieder der Motorradgangs seien mit einem Durchschnittsalter von 27,8 Jahren auch deutlich älter, es handele sich nicht um Jugendgangs.