Im Gespräch mit dem im belgischen Exil lebenden Journalisten Antoine Kaburahe über Pressefreiheit in Burundi

»Ich gelte in Burundi als Staatsfeind«

Interview Von

Am 8. Juni starb Präsident Pierre Nkurunziza unerwartet im Alter von 55 Jahren, Gerüchten zufolge an Covid-19. Das war kurz vor dem Ende seiner dritten Amtszeit, als Nachfolger war bereits sein Parteifreund Évariste Ndayishimiye gewählt worden. Gibt es Hoffnung auf einen politischen Wandel?

Offiziellen Quellen zu Folge ist Nkurunziza nicht an Covid-19 verstorben, sondern an einem Herzinfarkt. Jedoch berichteten zahlreiche kenianische Quellen davon, dass seine Ehefrau in Nairobi wegen Covid-19 behandelt wurde, just zum Zeitpunkt, als der Ex-Präsident gestorben ist. Doch wie sein Pressesprecher gegenüber der BBC bestätigt hat, glaubte Nkurunziza fest daran, dass Burundi eine besondere Vereinbarung mit Gott abgeschlossen habe und daher vor der Pandemie geschützt sei. Zudem bestätigte der Sprecher, dass er ein Anhänger einer evangelikalen Gruppe war, der an die Wiedergeburt glaubte. Der neue Präsident ist erst seit kurzer Zeit im Amt, aber einen Wandel gibt es bislang nicht. Man muss abwarten, was Ndayishimiye leisten wird.

»In einem Klima des kollektiven Wahns wurden 2015 unabhängige Radiostationen attackiert, verwüstet und niedergebrannt. Über 100 Journalisten mussten ins Ausland fliehen.«

Was hat Sie dazu bewogen, Journalist zu werden?

Es war schlichtweg die Liebe zum Metier, eine Liebesgeschichte, wenn man so will, mit vielen glücklichen, aber auch vielen tragischen Momenten. Bereits mein Vater war Journalist, einer der ersten im unabhängigen Burundi, er war Chefredakteur eines katholischen Magazins, ist jedoch schon als junger Mann bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Studiert habe ich zunächst Literaturgeschichte, zu meiner Zeit gab es noch keine Journalismusaus­bildung in Burundi. Die habe ich anschließend in Frankreich nachgeholt.

Ihre ersten Arbeitsjahre waren überaus turbulent, nehme ich an …

Das war inmitten des Prozesses der Demokratisierung Anfang der neunziger Jahre. Der französische Präsident François Mitterrand knüpfte die Zahlung von Entwicklungshilfe an Demokratisierung in afrikanische Staaten. Damit begann auch in Burundi eine Phase der Öffnung, es gab mehr politischen Pluralismus, und mehr freie Medien entstanden. Ich wurde beim staatlichen Radio angestellt, zu der Zeit, als die ersten demokratischen Wahlen in Burundi stattfanden, 1993 war das. Ein neuer Präsident wurde gewählt, Melchior Ndadaye, ein Vertreter der Bevölkerungsgruppe der Hutu. Das war ein Novum, denn seit der Unabhängigkeit 1962 gab es in Burundi nur Militärregimes. Doch Ndadaye wurde 100 Tage nach seiner Amtseinführung ermordet. Burundi versank in einem Bürgerkrieg, es kam zu Massakern. Für einen jungen Radiojournalisten war das eine harte Feuertaufe, im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Erinnerungen an diese Zeit sind schrecklich. Und dann kam es 1994 zum Genozid im benachbarten Ruanda. In den folgenden Jahren wurde die ganze Region in einen Krieg gezogen. Diese Zeit hat mich immens geprägt.

Wie stand es um die journalistische Freiheit in staatlichen Medien?

Ich habe mich nicht wohlgefühlt, man war zu offen für politische Einflussnahme und Kontrolle, also kündigte ich und wechselte zu einem unab­hängigen Radio, dem ersten des Landes, das gemeinsam mit einer französischen NGO betrieben wurde. Ich gründete außerdem mit zwei Kollegen ein Magazin. Das ging nur kurze Zeit gut. 1996 erhielt ich erste Morddrohungen, ich floh noch im Dezember desselben Jahres ins Exil nach Belgien. Ich dachte, dass ich nicht mehr nach Burundi ­zurückkehren würde. Ich heiratete, schrieb Bücher und Artikel. Belgien hat mir viel gegeben, ich habe auch einen belgischen Pass, aber mein Herz ist in Burundi.

Sie haben sich dann doch für die Rückkehr entschieden.

Das war zwölf Jahre später, 2008 kehrte ich in mein Land zurück. Das war lange nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags unter der Schirmherrschaft von Nelson Mandela im Jahr 2000, die Kämpfe waren beendet, die letzten ­Rebellen hatten ihre Waffen abgegeben. Die Hoffnung war groß, viele, die emigriert waren, entschlossen sich zur Rückkehr.

Und Sie gründeten eine Zeitung?

Ich wollte meinen Traum verwirklichen und ein Medium schaffen, das höchsten Qualitätsansprüchen genügt, um Burundi in diesem neuerlichen Versuch der Demokratisierung zu unterstützen, professionell, unabhängig von Ideologien. Der Name Iwacu bezieht sich auch auf meine Rückkehr aus dem Exil, er bedeutet auf Kirundi »zu Hause«. Wir begannen mit einem kleinen Team und drei Computern. Wir sind größer und größer geworden. Anfangs erschienen wir auch wegen des Papiermangels nur einmal im Monat, dann wurden wir zur Wochenzeitung. Wir publizierten eine Online-Version, hatten eine Fernsehsendung, eine Druckerei und einen Buchverlag. Das Ziel war es, eine Mediengruppe zu werden, mit einer englischsprachigen Online-Version, einer Open-Data-Redaktion und einem Hochglanz-Monatsmagazin. Es lief gut.

Doch die Phase der friedlichen Entwicklung endete.

Ja, 2015 eskalierten die politischen Konflikte. Präsident Nkurunziza wollte um jeden Preis eine dritte Amtszeit, doch die Verfassung erlaubt lediglich zwei. Oppositionelle gingen auf die Straße, Demonstrationen wurden mit brachialer Repression beantwortet. Dann versuchten Teile der Armee einen Staatsstreich, der aber niedergeschlagen wurde. In diesem Klima des kollektiven Wahns wurden unabhängige ­Radiostationen attackiert, verwüstet und niedergebrannt. Über 100 Jour­nalisten mussten ins Ausland fliehen. Iwacu überlebte diese Tage, wie durch ein Wunder wurden unsere Büros nicht angegriffen. Ich blieb noch einige ­Monate im Land, bis mich im November Morddrohungen erreichten und ich zum Generalstaatsanwalt vorgeladen wurde – mir wurde Komplizenschaft mit dem gescheiterten Militärputsch vorgeworfen. Ich musste zum zweiten Mal aus Burundi fliehen und ging wieder nach Belgien.

Kann »Iwacu« weiter berichten?

Iwacu lebt weiter und wächst, auch ohne mich. In gewisser Weise ist es mein Kind, das erwachsen geworden ist. Die wirklich guten Projekte überleben ihre Gründer, aber das ist nur dank eines unglaublich guten, außergewöhnlich engagierten und couragierten Teams möglich, das unter sehr großer Gefahr weiterarbeitet. Ein Kollege, Jean Bigirimana, wurde ermordet, er verschwand am 22. Juni 2016 spurlos. (Nach Angaben von Amnesty International beobachteten Zeugen Bigirimanas Festnahme durch Geheimdienstler, Anm. d. Red.) Im Oktober 2019 wurden Christine ­Kamikazi, Agnès Ndirubusa, Térence Mpozenzi und Egide Harerimana fest­genommen, als sie über Unruhen im Osten des Landes berichten wollten. Seither sind sie in Haft. Man hat sie wegen Verrats und des Angriffs auf die Staatssicherheit vor Gericht gestellt und verurteilt. Die Vorwürfe sind absolut haltlos. Sie haben ihre Arbeit gemacht, wie es gute Journalisten machen sollen. Vor Ort sein, um zu berichten – das ist das Fundament unseres Metiers. Die wirklich guten Journalisten geben nicht nur vom Büro aus die Aussendungen des Verteidigungsministers ungeprüft weiter.

Darin liegt auch die Stärke von Iwacu, im Investigativjournalismus und der Nähe zum Geschehen. Nur so kann man Gerüchten und fake news entgegenwirken, die gezielt gestreut werden. Journalisten, die ihre Arbeit gut machen, sind dieser Regierung ein Dorn im Auge. Daher hat man diese vier festgenommen, schwer misshandelt und weggesperrt – das Urteil lautete zweieinhalb Jahre Haft. Wir sind in großer Sorge um ihre Gesundheit, einer leidet an Anämie, eine andere, eine junge Mutter, hat seit über einem Jahr ihr Kind nicht gesehen. Das ist unmenschlich. Sie sind unschuldig, sie haben keine Verbrechen begangen. Diese Kollegen sind für mich wahre Helden, ich bin sehr stolz auf sie und traurig, dass ich nicht bei ihnen sein kann. Aber gegen mich werden ­weiterhin Morddrohungen geäußert.

Glauben Sie, dass Sie noch einmal nach Burundi zurückkehren können?

Natürlich träume ich davon, zurückzukehren und weiter bei Iwacu zu arbeiten. Immerhin habe ich 25 Jahre journalistischer Erfahrung, ich bin Buchautor, He­rausgeber und ein Literatursüchtiger (lacht). Ich habe mich weitergebildet, mit einem Master in Medienmanagement an der Université de Lille. Ich will etwas weitergeben an die junge Generation von Journalistinnen und Journalisten. Aber ich kann es nicht. Ich gelte in Burundi als Staatsfeind, als Feind der Machthaber.

Kann man aus Burundi auf die Website von »Iwacu« zugreifen?

Direkt auf die URL nicht, aber es gelingt dank NGOs wie Collateral Freedom über sogenannte mirror sites, die die Inhalte duplizieren. Auch Twitter wird zum Glück in Burundi nicht blockiert. Mit unseren anonym arbeitenden Kollegen vor Ort sind wir lange Zeit über Whatsapp in Kontakt gewesen, mittlerweile haben wir aus Sicherheitsgründen auf Signal umgestellt.

 

Antoine Kaburahe, geboren 1966 in Gitega, der Hauptstadt Burundis, ist Journalist, Buchautor (unter anderem »Hutsi: In the Name of Us All«, 2019) und Gründer der seit 2008 bestehenden Wochen- und Online-Zeitung »Iwacu«, die zu den letzten unabhängigen Medien Burundis gehört. Kaburahe musste wegen Morddrohungen und einer drohenden Haftstrafe 2015 ins Exil nach Belgien flüchten, dessen Staatsbürgerschaft er besitzt. 2016 wurde er mit der Médaille de la Ville de Paris ausgezeichnet.