Das Buch über die DIY-Punkband Dead Moon

Wenn Motorradtypen heulen müssen

Dead Moon waren eine Undergroundband wie aus dem Bilderbuch: unabhängig, nahbar und rau. Ein Buch mit Interviews und zahlreichen Abbildungen erzählt nun die Geschichte der Band.

»It’s okay / We all seen better days / It’s okay / You don’t have to run and hide away / It’s okay / We love you anyway«, singen Fred und Toody Cole von Dead Moon mit rauen Stimmen in ihrem Song »It’s Okay«. Der Song ist Garagenpunk in voller Pracht und eine Art Manifest der Band, das textlich wie musikalisch umreißt, worum es ihnen geht: um Freundschaft und darum, dass nicht alles perfekt und poliert sein muss.

Die Gründungsmitglieder Fred und Kathleen »Toody« Cole sind so etwas wie die Eltern der Punkszene von Portland, Oregon. Zusammen mit dem Schlagzeuger Andrew Loomis ebneten sie mit ihrem Label Tombstone ­Records den Weg für Portlands aufstrebende Musikszene der neun­ziger Jahre. Dead Moon stehen im Ruf, eine Underground-Band gewesen zu sein, die bis heute ihresgleichen sucht und der eine Schlüsselrolle in der DIY-Szene zukommt. Ihre Musik war eine Mischung aus dunklem Garagenrock der Sechziger, Punkrock, Blues, Psychedelia sowie einer Prise düsterem Country. Der Musikkritiker Robert Christgau schrieb einmal über sie: »Dead Moon sind wie The 13th Floor Elevators – ohne klinische Demenz.«

Dead Moon zeigten, dass man ohne Plattenvertrag und Unterstützung der Musikindustrie erfolgreich eigene Platten aufnehmen und Shows buchen konnte.

Der Ventil-Verlag hat nun unter dem Titel »Off the Grid« ein Buch herausgebracht, das in den USA bereits 2018 unter dem Titel »Dead Moon – The Book« erschienen ist und das neben ausführlichen Interviews mit den Bandmitgliedern auch zahlreiche Fotos der Band, Flyer und eine vollständige Diskographie bietet. Die Ausgabe von 2020 ist aktualisiert und überarbeitet, 20 Seiten sind dazugekommen mit zuvor nicht enthaltenen Fotos und einem Interview mit Hans Kesteloo vom deutschen Label Music Maniac, das die Band für Europa unter Vertrag hatte. Auch hat die neue Ausgabe nicht mehr dasselbe Format wie die erste, die quadratisch war und die Maße einer Schallplatte besaß, weil eine Doppel-LP mit einer Art Best-of der Band zum Buch gehörte. Beide Ausgaben allerdings liegen komplett in englischer Sprache vor.

Angefangen hat die ganze Geschichte in den sechziger Jahren: Fred Cole, später Sänger, Gitarrist und Songwriter von Dead Moon, begann seine musikalische Karriere in jungen Jahren. Seine Band The Weeds wurde 1966 in Garagenrockkreisen bekannt, da war er gerade 18 Jahre alt. Ihre einzige Single namens »It’s Your Time« wurde später zum Sammlerstück. Cole lernte 1967 bei einem Konzert, das er mit seiner Band in Portland gab, Kathleen »Toody« Conner kennen, die zwei Jahrzehnte später Jahre später bei Dead Moon Bass spielen und singen sollte. Die beiden verliebten sich und heirateten noch im selben Jahr. Es folgten weitere Bands, beispielsweise The Lollipop Shoppe (deren Single »You Must Be a Witch« zu einem weiteren Underground-Erfolg wurde), mit denen Cole im Vorprogramm von Janis Joplin und den Doors auftrat. Zehn ­Jahre später eröffnete Coles Band King Bee Konzerte für die Ramones.

Nachdem sie sich in Portland niedergelassen hatten, eröffneten Fred und Toody Cole ein Geschäft für Musikinstrumente und Toody lernte von Fred das Bassspielen. Ihre erste gemeinsame Band hieß The Rats, bei der Sam Henry von den Wipers am Schlagzeug saß, gemeinsam nahmen sie ein Album auf.

Mitte der achtziger Jahre gründeten sie The Range Rats, die eher vom Country beeinflusst waren. Schlagzeuger Andrew Loomis spielt bei der Band vor, aber es wollte nicht so recht passen. Als die Coles 1987 ­beschlossen, der Country-Musik den Rücken zu kehren, riefen sie Loomis wieder an: Dead Moon war geboren. Loomis war der perfekte Schlagzeuger für die Band, ohne ihn hätte es nicht funktioniert; seine Energie, sein Einfallsreichtum und seine Begeisterungsfähigkeit passten genau.

Loomis wurde schnell dafür bekannt, dass er nach den Auftritten auf Tour gerne noch die Nacht über mit seinem Publikum trank und feierte. Dann schlief er ein paar Stunden, während Fred Cole sie zum nächsten Veranstaltungsort fuhr, und spielte den nächsten Auftritt. In seinem Vorwort erzählt der Plattenladenbe­sitzer und Labelleiter von Mississippi Records, Eric Isaacson, dass Loomis wie Keith Richards war – nur ohne das Geld. Leidenschaftlich gern gab er Leuten einen Drink aus. Er musste einen Raum nur betreten und hatte alle auf seiner Seite. Er scheint so ein Typ gewesen zu sein, der, egal wohin er kommt, jemanden kennt, der die Straße entlanggeht und ihm zuruft: »Andrew! Andrew Loomis!«

Toody Cole war technisch gesehen die beste Musikerin bei Dead Moon. Als Lemmy Kilmister, Bassist von Motörhead, einmal nach seinem Lieblingsbassisten gefragt wurde, nannte er ihren Namen. Oft, wenn sie bei Konzerten sang, standen Hardcore- und Motorradtypen vor der Bühne; sie gab Schmachtfetzen wie Tammy Wynettes »Stand by Your Man« oder den Elvis-Hit »Can’t Help Falling in Love« zum Besten, und diese Männer mit nietenbesetzten Lederjacken, Tattoos und Irokesenhaarschnitt weinten sich die Augen aus.

Fred Cole wiederum war der beste Songwriter und gewissermaßen der spirituelle Anführer der Band – der mit der Vision. Und mit einer Stimme, die so klang, als müsse er ein brennendes Schiff navigieren, wie Eric Isaacson schreibt. Coles Texte deckten eine Vielfalt von Emotionen ab. Fast schon mystische Geschichten erzählte er, in denen Einsamkeit eine große Rolle spielt, in denen am Ende trotzdem die eine Liebe gefunden wird, in denen gegen die Welt angekämpft wird, weil alles um einen herum so trostlos erscheint, wie es tatsächlich ist.

Ihre frühen Platten »In the Grave­yard« (1988), »Unknown Passage« (1989) und »Defiance« (1990) erschienen allesamt auf dem eigenen Label Tombstone Records, benannt nach dem Musikgeschäft der Coles. Fred Cole nahm das Mastering der Platten selbst in die Hand, auf einer Mono-Schneidemaschine aus den fünfziger Jahren, die Toody ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Seine eigenen Mastertapes zu schneiden, ist eine höchst ungewöhnliche Arbeit für einen Musiker, wie Mark Sten in seiner Einführung im Buch schreibt: »Es ist das Rock ’n’ Roll-Äquivalent dazu, sich sein Abendessen auf dem eigenen Atomreaktor zu kochen.«

Diese drei ersten Alben verhalfen Dead Moon zu Kultstatus in den USA und in Europa, insbesondere in Deutschland und Holland. Die Band zeigte, dass man ohne Plattenvertrag und Unterstützung der Musikindustrie eigene Platten aufnehmen und Shows buchen konnte. Tombstone Music brachte nicht nur die Musik ihrer Gründer, sondern auch eine Menge Platten anderer Bands heraus.

Nach 19 Jahren Bestehen und nach zehn Alben lösten sich Dead Moon 2006 auf. Die Band hatte ihren ­Zenit überschritten und zu langes und ausgiebiges Touren zehrte an den Kräften. Vorbei war es damit aber noch nicht: Fred und Toody Cole gründeten danach Pierced Arrows, Loomis spielte bei The Shiny Things. Im März 2016 starb Loomis dann im Alter von 54 Jahren, Fred Cole verstarb im November 2017 im Alter von 69 Jahren. Toody, die mittlerweile mit dem Rauchen aufgehört hat, ist nun 71 Jahre alt.

Wenn man »Off the Grid« mit ­seinen wunderschönen Illustrationen gelesen hat, weiß man, was Dead Moon auf die Beine gestellt haben und was ihnen eine derart ­eingeschworene Fangemeinde eingebracht hat. Geschichten von Weggefährten und Freunden wechseln sich ab mit Interviews der Band. Es war ihre Verbundenheit miteinander und mit den Menschen, die sie trafen, die Dead Moon auszeichnete: Sie waren nahbar. Die Intensität ihrer Konzerte wurde dadurch noch gesteigert, denn man hatte immer ein ­Gefühl, als ob man alte Freunde wiederträfe. Und ähnlich verhält es sich mit dem Buch: Darin zu blättern, ist fast so, als hielte man ein privates Fotoalbum in den Händen.

Eric Isaacson/Szim/Erin Yanke (Hg.): Dead Moon. Off the Grid. Ventil-Verlag, Mainz 2020, 320 Seiten, 35 Euro