In Andalusien hat die Olivenernte begonnen, viele Helfer sind obdachlos

Ausgepresst und obdachlos

In Andalusien hat die Olivenernte begonnen. Viele der ankommenden migrantischen Erntehelfer sind gezwungen, im Freien zu schlafen, auch wegen der Pandemie.
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Alljährlich Anfang November steht in Spanien die Olivenernte bevor. Dann machen sich Tausende Erntehelfer, größtenteils Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus, auf den Weg nach Andalusien, insbesondere in die Provinz Jaén. Als Knotenpunkt des Verkehrs in die umliegenden Städte und Dörfer dient dann die gleichnamige, rund 110 000 Einwohner zählende Provinzhauptstadt gleichen Namens.

Die Provinz ist das Zentrum des spanischen Olivenanbaus, ein beträchtlicher Teil der globalen Olivenölproduktion geht hier vonstatten. Schier endlos erstrecken sich die Ölbaumhaine über die hügelige, karge Landschaft. Sie bilden das größte von Menschen angelegte Waldgebiet der Erde.

Die Oliven sind hier meist Mitte ­November reif. Dann drängt die Zeit und von Sonnenauf- bis -untergang ist Akkordarbeit angesagt. Die Früchte müssen noch am Tag der Ernte in den Ölmühlen verarbeitet werden, damit das Olivenöl eine hohe Qualität hat. Die Ernte ist ein Knochenjob, auch wenn immer mehr mit motorisierten Ast- oder mit mobilen Stammrüttlern geerntet wird. Einst erfolgte die Ernte ausschließlich mit einem Netz am Boden und gezielten Stockschlägen – entlang der Triebrichtung der Äste, um die Knospen der kommenden Ernte nicht abzuschlagen.

Wie stets in Wirtschaftskrisen zieht es nun, in der Covid-19-Pandemie, wieder vermehrt arbeitslose Spanier zur Olivenernte.

Für die Erntesaison 2020/2021 geht die Regionalregierung Andalusiens nach einigen mäßigen bis mageren Erntejahren von einer Rekordernte bei ansehnlichem Ölgehalt der Früchte aus. 1,3 Millionen Tonnen Olivenöl wird Andalusien demnach produzieren, aus etwa 6,5 Millionen Tonnen Oliven. Das wären 50 Prozent mehr als im Vorjahr. In Jaén werden voraussichtlich drei Millionen Tonnen zu fast 700 000 Litern Öl verarbeitet werden.

Das bedeutet zwar Arbeit für Tage­löhner und großen Bedarf an Erntehelfern, aber die niedrigen Preise für Olivenöl machen die Produktion mittlerweile weniger rentabel. Der Binnenkonsum ist rückläufig, Exportschranken, allen voran die Strafzölle, die der scheidende US-Präsident Donald Trump spanischem Olivenöl auferlegt hat, treffen die Produzenten hart. Die Regional- und die spanische Zentralregierung sowie die EU subventionieren die Branche.

Wie stets in Wirtschaftskrisen zieht es nun, in der Covid-19-Pandemie, wieder vermehrt arbeitslose Spanier zur Olivenernte. Unzählige verzweifelte Gesuche finden sich auf den großen Job- und Anzeigenplattformen im Internet. Während der Franco-Diktatur ernteten die verarmte andalusische Landbevölkerung und Scharen an Wanderarbeitern aus anderen Provinzen die Oliven. Später kamen Marokkaner und ­Algerier zur Ernte nach Spanien, mit der EU-Osterwei­terung dann auch Rumänen, Bulgaren und Polen. Seit über zwei Jahrzehnten stellen auch Geflüchtete aus dem subsaharischen Afrika einen beachtlichen Teil der benötigten informellen Arbeitskräfte.

Konflikte sind programmiert. Paula Peláez, die Pressesprecherin der aus dem sozialdemokratischen PSOE und der rechtsliberalen Partei Ciudadanos gebildeten Stadtregierung von Jaén, sagte der Jungle World im Rathaus der Stadt, es werde nicht für alle Arbeit ­geben, »denn dieses Jahr werden auch viele Bewohner Jaéns bei der Ernte helfen«. Man habe den Ansturm der Arbeitskräfte erwartet. Peláez wirft der von der rechtsextremen Partei Vox tolerierten andalusischen Regionalregierung aus dem konservativen Partido Popular und Ciudadanos vor, nicht ausreichend bei der Vorbereitung auf den Andrang geholfen zu haben. Man müsse unbedingt dem »Anziehungseffekt« entgegenwirken, den Jaén auf Migranten ausübe, sagte sie, ohne konkreter zu werden.

Anreise im Alarmzustand
Ganz Spanien befindet sich derzeit pandemiebedingt im Alarmzustand (estado de alarma). Reisen über Gemeinde- und Provinzgrenzen weg sind untersagt, sofern es keinen triftigen, schriftlich belegbaren Grund für diese gibt. Als solcher zählen unter anderem die Versorgung von Angehörigen und Arbeit. Doch bei der Ankunft am Busbahnhof von Jaén ist kein einziger Polizist präsent. Es scheint, als gebe es die Anweisung, die Ankunft von Arbeitskräften nicht zu behindern. Bei den Ankommenden handelt es sich überwiegend um migrantische Erntehelfer, vor allem aus dem sub­saharischen Afrika, aber auch aus dem Maghreb.

Vor dem Busbahnhof sitzen Ibrahim und Mohammed aus Mali auf einer steinernen Bank. Beide sind, wie sie sagen, um die 25 Jahre alt und haben wie so viele Erntehelfer keinen Schlafplatz. Bei Temperaturen von im schlechtesten Fall drei bis fünf Grad Celsius müssen viele im Freien nächtigen; am vorvergangenen Samstag kam Stark­regen hinzu. Viele schlafen unter Vordächern, im Eingangsbereich von Bankfilialen oder nutzen, was auch immer sonst sich als Schlafplatz anbietet.

Ibrahim und Mohammed sind aus Madrid nach Jaén gekommen, sie ­haben keine Erfahrung in der Olivenernte. »Ich bin alleine hier, ich habe keine Familie mehr. Keiner kennt mich, wenn ich sterbe, wird sich keiner an mich erinnern. Ein X oder eine Null wird mein Grab markieren«, sagt Mohammed. Er sei bereits Ende Oktober in Jaén angekommen, gearbeitet habe er noch keinen einzigen Tag. Doch in Madrid sei die Lage noch schlechter, wie beide sagen. Als fliegender Straßenhändler könne man dort kein Geld mehr verdienen, man werde kontinuierlich von der Polizei verfolgt.

Den ganzen Tag über warten am Busbahnhof zwischen 20 und 40 Migranten aus dem subsaharischen Afrika und zehn bis 15 aus dem Maghreb auf einen patrón, einen von Großgrundbesitzern oder landwirtschaftlichen Kooperativen entsandten Olivenbauern oder Vorarbeiter, der sie zur Arbeit holt.