Die deutsche Umwelt- und Klima­bewegung entdeckt den Ökomarxismus

Klassenkampf für gutes Klima

Marxistische und ökosozialistische Konzepte gegen die drohende Klimakatastrophe spielten in Deutschland lange kaum eine Rolle. Das beginnt sich zu ändern.

Die Covid-19-Pandemie beeinflusst die Debatte über Umwelt- und Klimaschutz aus mehreren Gründen. Zunächst, weil Covid-19 eine Folge der Umweltzerstörung ist, ebenso wie beispielsweise die sich häufenden gigantischen Waldbrände. Gefährliche Viren greifen von Wildtieren auf Menschen über, weil diese deren Habitate ausbeuten und zerstören. Die Pandemiemaßnahmen wiederum zeigen in mancher Hinsicht, wie eine zukünftige Postwachstumsökonomie aussehen könnte: Der Smog verzieht sich, die Luft wird besser und der Himmel strahlt blau.

Bloß bedeutet eine schrumpfende Ökonomie unter kapitalistischen Verhältnissen Massenerwerbslosigkeit und Elend. Angesichts der ökologischen Katastrophen ist Rosa Luxemburgs Alternative »Sozialismus oder Barbarei« hochaktuell. Unabhängig von der Pandemie erlebt der Begriff Ökosozialismus ein Revival und der ecological Marxism, in Großbritannien und den USA vor Jahrzehnten begründet, wird hierzulande endlich wahrgenommen. Trotz inhaltlicher Schwächen dieser Konzep­te und des daraus resultierenden bleibenden Diskussionsbedarfs ist diese Entwicklung erfreulich. Den Slogan »System change, not climate change« stützen solide Argumente.

Man sollte sich nichts vormachen: Die radikale Klimaschutzbewegung agiert aus einer verzweifelten Randposition und die Zeit läuft ab.

Viele Regierungen haben die Produktion zeitweise heruntergefahren oder zumindest eingeschränkt. Weltweit wurden im ersten Halbjahr 2020 etwas mehr als eine Milliarde Tonnen CO2 weniger in die Atmosphäre geblasen als im Vorjahreszeitraum, ein stärkerer Rückgang als während der Ölkrise 1979 und der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008. Damit verbunden war ein erheblicher Einbruch des Bruttoinlandsprodukts im weltweiten Durchschnitt. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) prognostizierte im September für 2020 einen globalen Rückgang um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das zeigt einmal mehr den Zusammenhang von sozialer und ökologischer Frage.

Die Pandemie hat auch die Klimagerechtigkeitsbewegung gebremst. Es war aber ohnehin nicht zu erwarten, dass die international vernetzten »Fridays for Future«-Gruppen auf Dauer den Schulunterricht boykottieren können. Vermutlich markierte schon der von diesen organisierte Global Climate Action Day im September 2019 einen Höhepunkt. Aber Protest und Widerstand sind keineswegs verschwunden, wie zum Beispiel der Kampf gegen den Ausbau der Autobahn 49 in Hessen zeigt.

Vor vier Jahren erschien mit »Natur gegen Kapital« des Marx-Forschers ­Kohei Saito ein gewichtiger Beitrag des ecological Marxism in deutscher Übersetzung. Saito weist nach, dass Karl Marx den gestörten Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur als zentralen Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise auffasste.

Im Oktober erschien zudem das Buch »Klima/x« von Andreas Malm. Der schwedische Geograph hat den Begriff des »Kapitalozäns« geprägt als Bezeichnung für das Zeitalter, in dem kapitalistische Destruktivkräfte den Planeten umkrempeln. Er rät zu einem »Öko-Leninismus«. Angesichts eines chronischen Notstands solle der Staat das Kapital an die Leine legen, schädliche Verfahren und Produkte verbieten und die sozial-ökologische Transformation gegen die Bourgeoisie erzwingen. Malm beschreibt, wie unterschiedliche Staaten zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie ihre Wirtschaft – mal mehr, mal weniger – drosselten, und überlegt, warum dies angesichts der drohenden Klimakrise nicht geschieht und inwiefern die Maßnahmen als Vorbild zur Bekämpfung der Klimakrise dienen könnten.

Die libertäre Gegenposition formulierten der Soziologe Simon Sutterlütti und der Werkstoffwissenschaftler und Informatiker Stefan Meretz in ihrem Buch »Kapitalismus aufheben« (2018) mit ihrem Konzept des »Commonismus«. Vielfältige Projekte wie das Mietshäusersyndikat sollen als »Keimformen« einer neuen Gesellschaft expandieren und vereint mit Basisbewegungen den Kapitalismus überwinden.

Mit Blick auf die katastrophenträchtige Klimaveränderung spielt Malm mit dem Begriff Kriegskommunismus, der die Wirtschaftspolitik der Bolschewiki bis kurz vor Ende des Bürgerkriegs bezeichnete. Dem war allerdings die Oktoberrevolution vorausgegangen. Wie immer man diese bewerten mag, Kapitalisten und Großgrundbesitzer waren in der frühen Sowjetunion entmachtet. Davon ist die gegenwärtige Situation gerade in den westlichen Industrienationen weit entfernt. Der real existierende Staat ist kein neutrales Terrain, auf dem gegensätzliche Kräfte um die Macht ringen, sondern der Staat des Kapitals, existentiell auf gelingende Kapitalverwertung angewiesen. Gleichwohl wirft Malm die entscheidende Machtfrage auf, denn der »ökologische Klassenkampf« lässt sich nicht im Konsensverfahren mit Achtsamkeit gewinnen. Es braucht organisiertes Handeln und politische Strukturen, um die Bourgeoisie niederzuzwingen.

Meretz und Sutterlütti hingegen lehnen sogar das Modell der Rätedemokratie ab, weil aus diesem neue Herrschaftsstrukturen erwachsen könnten. Alle gesellschaftlichen Funktionen sollen direkt und ohne politische Vermittlung von selbstorganisierten Gruppen übernommen werden, die die Autoren als »Commons« bezeichnen. Bei unlösbaren Konflikten würden sich diese Commons auflösen oder durch neue Kollektive ausmanövriert. Die Autoren spielen das anhand der Abwasserbeseitigung durch. Allerdings wäre es eine enorme Verschwendung von Ressourcen, in einer Stadt ein neues Kanalnetz neben dem alten zu verlegen, bloß weil das alte Abwasser-Common zerstritten ist. Dieser Modus erinnert an das »freie Spiel der Kräfte« in Marktökonomien.

Einen radikalen Bruch fordert Christian Zeller, er verwirft eine schrittweise Transformation. Die größte Schwierigkeit sei es, die Ausgebeuteten – Zeller meint damit in erster Linie die Lohnabhängigen – weltweit für dieses Ziel zu gewinnen, wie er zu Recht betont. Seine Strategie besteht darin, konkrete Forderungen zu erheben, die Neuordnung der Mobilität, der Landwirtschaft oder der Energieversorgung zu verlangen. In den Kämpfen darum könnten kollektive Lernprozesse stattfinden, die den radikalen Bruch als notwendig erscheinen lassen. Dennoch bleibt die Vermittlung zwischen Reform und Bruch unklar. So fordert Zeller in seinem neuen Buch »Revolution für das Klima«, das Privateigentum an Produktionsmitteln aufzuheben, und will im nächsten Absatz die Lohnarbeit gerecht verteilen.

Ähnliche Ansätze finden sich beim »Konzeptwerk Neue Ökonomie«, einer als Verein organisierten Leipziger Gruppe, die die sogenannte Postwachstumsdebatte vorangetrieben hat. Im Februar veröffentlichte die Frankfurter Rundschau ein von Mitgliedern Konzeptwerkstatt verfasstes fiktives Interview mit zwei Personen aus dem Jahr 2048. Darin ist davon die Rede, Unternehmen sowie Angebot und Nachfrage demokratisch zu kontrollieren.

Es reicht aber nicht, das Privateigentum an Produktionsmitteln aufzuheben; der marktförmige Bezug der Arbeitenden aufeinander insgesamt muss überwunden werden. Denn dadurch treten alle zueinander in Konkurrenz, jeder Betrieb muss billiger produzieren und expandieren, um auf Märkten zu bestehen. Das würde auch bei der vollständigen Selbstverwaltung von Einzelbetrieben durch deren Arbeiterinnen und Arbeiter gelten – wie einst in Jugoslawien.

Sozialismus hingegen bedeutet, Güter und Dienstleistungen unmittelbar für den Gebrauch herzustellen, nicht als Waren, deren Tauschwert auf Märkten realisiert werden muss, andernfalls sie nichts als Abfall darstellen. Ökosozialismus wiederum heißt, das Ausmaß der Umweltzerstörung zu vermindern. Die notwendige gesellschaftliche Planung könnte durch Digitalisierung erleichtert und basisdemokratisch gestaltet werden – bereits während der demokratisch-sozialistischen Regierung von Präsident Salvador Allende in Chile gab es dazu erste Experimente.

Man wird über diese Fragen streiten müssen, aber die jüngsten Beiträge ­zeigen, dass die Richtung im Groben stimmt. Man sollte sich nichts vormachen: Die radikale Klimaschutzbewegung agiert aus einer verzweifelten Randposition und die Zeit läuft ab. Aber nur so können Linke mit eigenen Positionen Orientierung bieten und politisch die Initiative ergreifen, um den Verfechterinnen und Verfechtern eines »Green New Deal«, die die Möglichkeit eines fairen Ökokapitalismus vorgaukeln, oder kleinbürgerlichen Obskurantinnen und Obskuranten, die von Gemeinwohlökonomie fabulieren, das Feld streitig zu machen.

Bedenklich ist, dass dem Netzwerk Ökosozialismus die Initiative Ökosozialismus um die Antimarxisten Bruno Kern und Saral Sarkar angehört, die einem agrarisch-handwerklichen Dorfsozialismus das Wort reden und sogenannte Überbevölkerung für ein wesentliches Problem halten. Nicht zu vermeiden dürfte sein, dass manche junge Aktivistinnen abdriften und bei den Grünen Karriere machen, mit den entsprechenden Folgen.

Scharf zu kritisieren sind Gruppen wie Extinction Rebellion (XR) – aber nicht, weil sie esoterische Untergangssekten wären. Dieser Vorwurf ist unsinnig. XR sehnt den Untergang nicht herbei, sondern will diesen aufhalten. Mit ihren Warnungen vor ökologischen Katastrophen, die die Zivilisation gefährden, bezieht sich XR genau wie Fridays for Future oder Ende Gelände, die Kampagne zum Ausstieg aus der Braunkohleindustrie, auf wissenschaftliche Expertise, etwa diejenige der Gruppe Scientists for Future.

Das wirkliche Problem ist die extrem bürgerliche Zielsetzung. XR fordert eine beratende Bürgerversammlung sowie die Ausrufung eines Notstands – beides ist zunächst staats- und kapitalkonform. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) schlägt einen Bürgerbeirat vor. Den Notstand haben etliche Länder und Kommunen längst ausgerufen, das ist zunächst eine weitere Alibiveranstaltung, könnte aber unter extremeren und durchaus denkbaren Bedingungen eine Ökodiktatur legitimieren.