Zur Kommunistenverfolgung im Lüneburg der fünfziger und sechziger Jahre

Kontinuierliche Verfolgung

Die VVN-BdA hat die Verfolgung von Kommunisten und Antifaschisten in Lüneburg in den fünfziger und sechziger Jahren untersucht und eine Broschürenreihe dazu herausgegeben.

»Kalter Bürgerkrieg in Lüneburg« – unter diesem Titel hat die Lüneburger Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) eine Schrift veröffentlicht, mit der sie ihr Geschichtsprojekt »Das Landgericht Lüneburg als ›Spitze der justizförmigen Kommunistenverfolgung‹ der 1950er / 1960er-Jahre« abschließt. Die Verfasser untersuchen – erstmals in der Bundesrepublik – die strafrechtliche Verfolgung antifaschistischer Bestrebungen zwischen 1953 und 1968 dezidiert an einem einzelnen Gerichtsort. Am Beispiel der Staatsanwaltschaft und der politischen Strafkammer des Landgerichts in Lüneburg veranschaulichen sie das gerichtliche Vorgehen gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten in dieser Zeit.

Dafür haben sie knapp 1 000 Seiten Sachstandsberichte der Lüneburger Staatsanwaltschaft ausgewertet, mit denen die übergeordneten Stellen regelmäßig über die Tätigkeiten der politischen Schwerpunktstaatsanwaltschaften unterrichtet wurden. Diese zeigen den Autoren zufolge, dass das Selbstverständnis der Strafverfolger »ein aggressiv antikommunistisches, nationalistisch-völkisches, autoritär-antiliberales Staatsverständnis offenbart und ebenfalls antisemitische Züge trägt«.

Die Schriftenreihe beinhaltet insgesamt fünf Broschüren, die in drei ­Themenkomplexen gebündelt wurden. Der erste, 2015 erschienene Teil stellte das Justizpersonal der Lüneburger Strafkammer anhand seiner beruflich-poli­tischen Biographien vor, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer vorherigen Betätigung als Nazi-Juristen. Es folgte im zweiten Teil, der in drei Broschüren untergliedert ist, die konkrete Dokumentation der Verfolgungsbemühungen der Staatsanwaltschaft sowie der Spruchpraxis des Gerichts. Der nun vorgelegte Teil III, »Kalter Bürgerkrieg in Lüneburg«, liefert ein Resümee.

Die in den Broschüren enthaltenen Zahlen bringen den politischen Zeitgeist der fünfziger und sechziger Jahre zum Ausdruck: Es gab 14 874 Ermittlungsverfahren, in 889 Fällen kam es zu Gerichtsverfahren, in denen allesamt antifaschistisch engagierte Menschen angeklagt waren. Zusammengenommen belaufen sich die verhängten Strafen auf rund 4 000 Monate Gefängnis. Im gleichen Zeitraum gab es keine einzige Anklage gegen Rechte. Der Lüneburger Staatsanwaltschaft fielen in den 15 Jahren lediglich drei extrem rechte Schriften auf, darunter die Broschüre »Wir sprechen Hitler frei« von der »Arbeitsgemeinschaft 33« in Lüneburg. Diese wurde mit dem Vermerk »bemerkenswert« an die Vorgesetzten weitergeleitet, sonst geschah nichts.

Alle Juristen am Landgericht Lüneburg waren Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen gewesen, die Mehrheit von ihnen hatte bereits im Nationalsozialismus juristische Posten. Diese Leute folgten ihrem Weltbild weite­rhin und richteten ihre Tätigkeit in den Institutionen danach aus: Linke waren ein Problem, Rechte nicht. Als 1956 die KPD verboten wurde, bot sich ein weiterer Verfolgungsgrund. Die Partei war zu diesem Zeitpunkt ohnehin auf dem Weg in die Bedeutungs­losigkeit.

Die Lüneburger Ermittlungen trafen nur in etwa einem Viertel der Fälle tatsächliche Kommunistinnen und Kommunisten. Darüber hinaus richteten sich die Verfahren gegen Personen, die im weitesten Sinne als Antifaschisten gelten konnten. Bestraft werden sollten nicht so sehr konkrete Taten als vielmehr der Antifaschismus der Nachkriegszeit. Die Urteile ergingen etwa wegen Hochverrat, Staatsgefährdung und Landesverrat. Die Opfer dieser Justiz bezogen sich nicht nur in ihrem politischen Handeln auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus sowie das in Gefängnissen und Konzentrationslagern erlittene Leid, sondern ­waren in vielen Fällen auch selbst schon während des Nationalsozialismus widerständig aktiv und politisch verfolgt.

Ein gravierendes Beispiel ist die Verfolgungsgeschichte von Kurt Baum­garte aus Hannover. Das KPD-Mitglied wurde im Februar 1935 verhaftet und am 3. April 1936 als Widerstandskämpfer vom Volksgerichtshof wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« zu einer 15jährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Nach zehn Jahren Isolationshaft im Zuchthaus, ­davon ein dreiviertel Jahr in Hand- und Fußeisenketten, wurde er 1945 befreit. Die britischen Alliierten beriefen ihn als Abgeordneten in den ersten niedersächsischen Landtag. Vor dem Landgericht Lüneburg forderte der Staatsanwalt Alfred Bollmann für Baumgarte 1966 wegen fortgesetzter Tätigkeit für die verbotene KPD eine Haftstrafe von knapp drei Jahren Gefängnis. Das ­Gericht unter dem Vorsitzenden Richter Kurt Koller verurteilte ihn wegen ­»Rädelsführerschaft« und »Geheimbündelei in verfassungsfeindlicher ­Absicht« zu einer Gefängnisstrafe von 22 Monaten und weiteren Nebenstrafen wie der Aberkennung des Rechts, ­öffentliche Ämter zu bekleiden, und des passiven Wahlrechts für die Dauer von drei Jahren. Bollmann und Koller waren beide NSDAP-Mitglieder und Richter im Nationalsozialismus gewesen.

Nicht in die Broschüre eingegangen sind zwei Urteilsbegründungen, die ­Peter Asmussen, einer der Projektverantwortlichen, im Niedersächsischen Landesarchiv fand. Diese belegen, wie wenig Mühe sich die Strafkammer des Landgerichts gab, ihre schriftlichen Einzelurteile als solche erscheinen zu lassen: Die beiden Urteilsbegründungen sind sowohl in Wortwahl als auch Schriftbild identisch und wurden in einem einzigen Druckvorgang angefertigt. Häufig waren die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft diffus. In den genannten Dokumenten heißt es etwa: »In der Lehre der ostzonalen Gewalt­haber wird die ideologische Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates folgerecht durch das offene Bekenntnis zur Notwendigkeit der Gewaltherrschaft ergänzt.« Für solche politischen Pseudoanalysen zogen die Staatsanwälte Auszüge der sowjetischen Parteizeitung Prawda heran, die in keinem Zusammenhang mit den Ereignissen in Lüneburg standen.

Zu den Ergebnissen der akribischen Arbeit der Lüneburger VVN-BdA gehört auch eine Liste der Opfer der Lüneburger Strafjustiz – 486 der 889 Anklagen konnten mit Hilfe der ­Akten rekonstruiert werden. Die Herausgeber verknüpfen ihre Ausarbeitung mit politischen Forderungen: Sämtliche Urteile müssten aufgehoben, die Betroffenen rehabilitiert und entschädigt werden. Viele der Angeklagten verloren durch die Strafverfolgung und die antikommunistische Hetze ihre Freiheit und ihren Arbeitsplatz, oftmals litten sie deswegen über lange Zeit an psychischen Problemen.

Die spezifische Form der politisch-justitiellen Verfolgung von Kommunisten und Antifaschisten wurde mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz aufgehoben, das am 1. August 1968 in Kraft trat. Annulliert wurden die Regelungen, die eine Anklage etwa wegen Hochverrat ermöglicht hatten.

Damit war der Antikommunismus jedoch keineswegs passé, sondern er blieb stets ein Teil der symbolischen Ordnung der westdeutschen Gesellschaft. Mit dem Ende des Kaltes Kriegs löste er sich vom Bezug auf den real existierenden Sozialismus und die propagierten Feindbilder wurden flexibler.

Dass die historisch gewachsenen Prioritäten der Strafverfolgung sich teils hartnäckig halten, beweisen nicht nur ausbleibende bis unambitionierte Ermittlungen gegen Neonazis. Um Bruno Dey, einst SS-Schütze in der 1. Kompanie des Totenkopfsturmbanns und Wachmann im KZ Stutthof bei Danzig, auf die Anklagebank des Landgerichts Hamburg zu bringen, mussten über 75 Jahre vergehen (Jugendstrafe für einen Greis) – die lange tatenlos verstrichene Zeit hat auch die Nachkriegs­justiz zu verantworten.

»Das Landgericht Lüneburg als ›Spitze der justizförmigen Kommunistenverfolgung‹ der 1950er/1960er-Jahre« ist zu beziehen über die VVN-BdA Lüneburg. vvn-bda-lg.de

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