10.12.2020
Das Verhältnis zwischen dem türkischem Staat und den Grauen Wölfen

Die Männer fürs Grobe

Nach Ausschreitungen hat Frankreichs Regierung die Grauen Wölfe verboten. In Deutschland sind sie seit Jahrzehnten aktiv.

1945 wurden zehn türkische Nationalisten in der Türkei wegen Rassismus und als Anhänger der Ideologie des Turanismus, die der Utopie eines großtürkischen Reichs anhängt, verurteilt. Darunter war der spätere Gründer der türkisch-nationalistischen, extrem rechten Partei MHP und de facto auch der Bewegung der Grauen Wölfe: Alparslan Türkeş. Während der Gerichtsverhandlung argumentierten die Angeklagten durchaus nachvollziehbar, ihre Ideologie weiche vom offiziellen Staatsnationalismus kaum ab. Sie beriefen sich dabei auf Äußerungen führender Politiker der Türkei, darunter auch solche des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Im Falle einer Verurteilung müsse die Staatsspitze ebenfalls vor Gericht – so lautete die Verteidigungsstrategie der Angeklagten.

Es ist tatsächlich so, dass rassistische und turanistische Elemente auch im türkischen Staatsnationalismus zu finden sind und die weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Angeklagten und der Staatsführung eher marginal waren. Der Prozess endete mit milden Haftstrafen für die Angeklagten, die nach kurzer Zeit wieder aufgehoben wurden. Der Staat sah in den türkischen Nationalisten keine politischen Gegner, sondern wollte vielmehr den extremen Nationalisten die Grenzen des Sagbaren deutlich machen.

Der Mord an dem türkischen Kommunisten Celalettin Kesim 1980 durch eine Gruppe von Islamisten und Grauen Wölfen in Berlin ist lediglich einer der bekannteren Übergriffe.

In den Folgejahren spielte dieser Konflikt zwischen den extremen Nationalisten und der Staatsführung in der türkischen Politik keine große Rolle mehr, er wurde von anderen Konflikten überlagert – etwa dem zwischen kemalistischer CHP und neu entstandenen religiös-konservativen Parteien. Erst als das faktische Zweiparteiensystem der Nachkriegszeit, in der die Republikanische Volkspartei und die Demokratische Partei (DP) dominierten, der Konkurrenz mehrerer Parteien wich, entstand eine eigenständige politische Partei der extremeren Nationalisten. 1969 gründete Alparslan Türkeş die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP).

Die Beziehung zwischen dem türkischen Nationalstaat sowie dem dazugehörigen Staatsnationalismus und den extremeren nationalistischen Kräften, die sich selbst als notwendige Ergänzung der staatlichen Gewalt im Kampf gegen die Feinde der Nation sahen, blieb im Grundsatz bis in die Gegenwart bestehen. In den siebziger Jahren gehörte die MHP Regierungskoalitionen an. Gleichzeitig organisierten ihre Anhänger über die paramilitärischen Grauen Wölfe den Straßenterror gegen Linke und waren verantwortlich für Hunderte politische Morde. Dieser Doppelcharakter der extremen Nationalisten als Regierungspartei und paramilitärische Schattenarmee führte dazu, dass die politischen Morde der Grauen Wölfe unbestraft blieben.

Auch nach dem Militärputsch 1980, als die MHP wie alle anderen Parteien verboten wurde und einige Graue Wölfe im Gefängnis landeten, änderte sich die Beziehung zwischen Staat und den radikalen Nationalisten kaum. Alparslan Türkeş äußerte kurz nach dem Militärputsch, die MHP-Mitglieder säßen zwar im Gefängnis, aber ihre Ideologie bestimme die Regierungspolitik; das traf durchaus einen richtigen Punkt: Die sogenannte türkisch-islamische Synthese, die rechte Intellektuelle in den siebziger Jahren erdacht hatten, fungierte ab 1980 de facto als Staatsdoktrin der Türkei. Die Islamisierung der Gesellschaft und die Stärkung des Staatsnationalismus über die Religion gingen einher mit der enormen Ausbreitung der religiösen İmam-Hatip-Schulen und veränderten Lehrplänen an den staatlichen Schulen, die diese türkisch-islamische Ideologie weiter verbreiteten.

Insbesondere im blutigen Krieg im Osten und Südosten der Türkei gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) spielten die Grauen Wölfe eine wichtige Rolle. Sowohl als Angehörige der Armee, Polizei und Gendarmerie als auch mit eigenen Todesschwadronen und anderen paramilitärischen Gruppen terrorisierten sie die kurdische Zivilbevölkerung und ermordeten politisch aktive Kurdinnen und Kurden. Während diesbezüglich kaum Kritik in der türkischen Öffentlichkeit zu vernehmen war, führten die kriminellen Aktivitäten der Grauen Wölfe in den westlichen Provinzen der Türkei – etwa im Drogenhandel – zu einiger Aufregung. So führte 1996 der Susurluk-Skandal, der die Verbindungen zwischen der türkischen Mafia, den Grauen Wölfen und der türkischen Regierung offenlegte, zum Rücktritt des damaligen Innenministers Mehmet Ağar.

Der Einsatz der Grauen Wölfe als Terrorinstrument verlor etwas an Relevanz, als der militärische Konflikt in der Türkei abflaute. Spätestens mit der Rückkehr zum offenen Krieg gegen die PKK ab 2015 kamen die Grauen Wölfe wieder verstärkt zum Einsatz. Ihre Symbole sieht man an den Häuserwänden in den zerstörten kurdischen ­Städten wie etwa Cizre.

Diese Rolle als Handlanger und Hilfstruppe des türkischen Staats erfüllen die Grauen Wölfe auch in Deutschland, wenngleich in einer anderen Weise. Wegen des Militärputschs 1980 und der daraufhin einsetzenden Repression flohen viele aus der Türkei nach Europa, insbesondere nach Deutschland. Der türkische Staat befürchtete, geflüchtete türkische und kurdische Linke könnten unter den als unpolitisch angesehenen sogenannten Gastarbeitern aus der Türkei an Einfluss gewinnen. Um dies zu unterbinden, setzte die Türkei erhebliche finanzielle und organisatorische Ressourcen ein. Der Aufbau des Moscheeverbands Ditib, die Gründung von Moscheen in vielen deutschen Städten sowie der Ausbau der türkischen Botschaften und Konsulate erfolgten in jener Zeit. Zugleich erstarkten der Grauen Wölfe, ihre Moscheevereine und der Moscheeverband Türk Federasyon. Gegenwärtig wird die Mitgliederzahl der Türk Federasyon auf etwa 7 000 Mitglieder geschätzt. Sowohl die Ditib-Moscheen als auch die Moscheen der Türk Federasyon sorgten dafür, dass der türkische Staat und der türkische Nationalismus Zugriff auf die konservativ und religiös geprägte Mehrheit der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland behielten.

Die Grauen Wölfe waren und sind auch für gewaltsame Übergriffe auf türkische und kurdische Linke in Deutschland verantwortlich. Der Mord an dem türkischen Kommunisten Celalettin Kesim 1980 durch eine Gruppe von Islamisten und Grauen Wölfen in Berlin ist lediglich einer der bekannteren manchmal tödlich endenden Übergriffe. Andere Morde und Angriffe aus den achtziger und neunziger Jahre sind bis heute nicht gänzlich aufgearbeitet, wie etwa der Mord an Erol Ispir 1999 in Köln.

In den vergangenen Jahren entstanden mit den Osmanen Germania (Die Soldaten des Sultans) und Turan e. V. (Goldenes Reich mit Rockerkutten) zwei Rockergruppen im Umfeld der Grauen Wölfe, die ebenfalls für zahlreiche Übergriffe verantwortlich sind. Auch wenn beide Gruppierungen inzwischen offiziell nicht länger existieren – Turan e. V. löste sich 2018 selbst auf und die Osmanen Germania wurden im selben Jahr vom Bundesinnenministerium verboten –, tauchen ihre Sym­bole immer wieder in der Öffentlichkeit auf. So sind bei Demonstrationen der türkischen Nationalisten immer wieder Personen mit Symbolen der Osmanen Germania und von Turan e. V. zu sehen. Die türkischen Nationalisten, die diesen Gruppen angehörten, organisieren sich offenbar anderswo wieder neu.

Auch wenn es von offizieller Seite stets geleugnet wird: Die Grauen Wölfe dienen dem türkischen Staat weiterhin als »Männer fürs Grobe« und nichts spricht dafür, dass sich an dieser Beziehungen in nächster Zeit etwas ändern wird. Wegen dieses engen Verhältnisses wäre es ein Fehler, zu glauben, es handle sich bei den Grauen Wölfen um eine ­wegen ihrer extremen Ansichten politisch randständige Gruppierung. Deshalb wäre insbesondere in Deutschland ein Verbot der Grauen Wölfe als solcher nur dann erfolgversprechend, wenn es mit einem Verbot ihrer Moscheeverbände wie etwa Türk Federasyon einherginge.

Auch der Umgang der Bundesrepublik mit dem Moscheeverband Ditib, den die türkische Religionsbehörde kontrolliert und zur Verbreitung der türkisch-islamischen Ideologie nutzt, ist kritikwürdig. Derzeit ist Ditib trotz mancher ab und an geäußerter Einwände immer noch ein anerkannter Partner der deutschen Integrations- und Religionspolitik.