Ein Gespräch mit Anne Roth, Referentin für Netzpolitik der Bundestagsfraktion der Linkspartei, über verschlüsselte Kommunikation

»Für die Mehrheit wird Verschlüs­selung Geschichte«

Nach dem jihadistischen Anschlag in Wien soll es Ordnungsbehörden in der EU erlaubt werden, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messenger-Diensten wie Telegram zu knacken. Das Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation könnte wieder zum Privileg einiger weniger werden.
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Warum ist Kryptographie ein Thema, für das sich nicht nur Geheimdienste interessieren sollten?

Verschlüsselung ist wichtig, weil jede Nutzerin und jeder Nutzer ein Recht darauf hat, im Internet vertraulich zu kommunizieren – und das geschieht bei digitalen Nachrichten mit Hilfe von Kryptographie: Sie ist der Briefumschlag, der verhindert, dass unsere über das Netz ausgetauschten Informationen von Dritten mitgelesen werden können. Der Versuch, Verschlüsselung zu brechen, ist indes so alt wie diese selbst. Das Interesse von Ordnungsbehörden, also Nachrichtendiensten und der Polizei, Kommunikation mitzulesen, ist ­älter als das Internet – es beruht unter anderem auf der Annahme, dass Verbrecher und Verbrecherinnen verschlüsselt kommunizierten und deshalb eine Gefahr für die öffentliche Ordnung seien.

Dieses Interesse ist nicht erst seit dem jihadistischen Anschlag in der Wiener Innenstadt am 2. November deutlich gewachsen.

Erste Bestrebungen der US-Regierung, die Verschlüsselung digitaler Daten zu unterbinden, gab es bereits in den neunziger Jahren, zur Zeit der sogenannten crypto wars; gewachsen ist das ­Interesse daran wieder nach 9/11 – mit dem Argument der Terrorismusbekämpfung. Derzeit dient der Anschlag in Wien als Begründung, mit einer gewissen Regelmäßigkeit werden aber auch die Bekämpfung organisierter Kriminalität, Fußball-Hooliganismus, Drogenhandel oder der Darstellung sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet als Rechtfertigung genannt. Argumentationen dieser Art werden oftmals herangezogen, um Ordnungsbehörden den Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation zu ermöglichen – mit wachsendem Erfolg.

Am 6. November verabschiedete der EU-Ministerrat die »Entschließung des Rates zur Verschlüsselung«, am 14. Dezember sollen die EU-Innenminister ihr zustimmen. Was genau ist der Inhalt dieses Dokuments, das mittlerweile geleakt wurde und frei im Internet zirkuliert?

Es gibt kein Grundrecht auf Verschlüsselung, aber eines auf vertrauliche Kommunikation. In Deutschland ist es in Artikel 10 des Grundgesetzes fest­gelegt – dazu steht der Beschluss des EU-Ministerrats im Widerspruch. In der Resolution wird die sichere Verschlüsselung zum einen als Errungenschaft zum Schutz der privaten Kommunikation hervorgehoben; im selben Dokument ist dann aber die Rede davon, dass Behörden in den Bereichen Sicherheit und Strafjustiz die Möglichkeit erhalten sollen, zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus Zugang zu verschlüsselten Daten zu bekommen. Ich denke, es ist kein Zufall, dass dieser Schritt ausgerechnet von einer EU-Kommission unter Ursula von der Leyen vorangetrieben wird, die bereits als Bundesministerin mit ähnlichen Bestrebungen auffiel.

Die Entschließung soll den Behörden auch erlauben, Online-Kommunika­tion unterschiedlicher Art mitzulesen. Möglich ist das auf unterschiedlichen Wegen: Zum einen kann Verschlüsselung umgangen werden, indem bereits am Gerät eines Nutzers oder einer Nutzerin mitgelesen wird – so etwa bei einem sogenannten Staatstrojaner, der von staatlicher Seite eingesetzt wird, um Computer zu überwachen; das Brechen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (Verschlüsselung über alle Übertragungsstationen hinweg, Anm. d. Red.) in der digitalen Kommunikation ist eine weitere Möglichkeit.

Die im geleakten Dokument angedeuteten Maßnahmen wären aber eine Zäsur. Das Knacken von mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung arbeitenden Messengerdiensten war bisher nicht erlaubt, deshalb galten sie als sicher.

Nach dem Stand der Ermittlungen ist bekannt, dass der Attentäter von Wien nicht verschlüsselt kommuniziert hat – das Argument der effektiveren Terrorismusbekämpfung läuft in diesem Fall ins Leere. Wessen Interessen soll die Entschließung des EU-Ministerrats befriedigen?

Der Journalist Erich Möchel hat Ende November einen Artikel auf fm4.at ­(Internetplattform des öffentlich-rechtlichen Senders ORF; Anm. d. Red.) ­publiziert, in dem er auf den Einfluss der »Five Eyes« hinweist, das ist der ­Geheimdienstverbund der USA mit Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Durch die Enthüllungen von Edward Snowden und aus dem NSA-Untersuchungsausschuss wissen wir, dass die »Five Eyes« auch das ­Interesse verfolgen, durch Massenüberwachung der Telekommunikation Daten zu sammeln und auszuwerten, die genutzt werden, um Ziele im Drohnenkrieg zu bestimmen. Davon abgesehen haben Geheimdienste generell das In­teresse, Zugriff auf Kommunikation zu haben – wenn es nach ihnen ginge, auf so viel wie eben möglich.

Unklar ist aber, wie die verschlüsselten Messenger geknackt werden sollen.

Erich Möchel geht davon aus, dass ein elektronischer Generalschlüssel, der die Messenger-Kommunikation im Nachhinein für Dritte einsehbar macht, zur Anwendung kommen wird – ich bin da skeptisch. Im EU-Papier ist nichts darüber zu lesen, wie das Vorhaben technisch verwirklicht werden soll – es ist lediglich die Rede davon, dass Sicherheitsbehörden ungehindert sollen arbeiten können und dass dies in Kooperation mit den Telekommunikationsanbietern stattfinden soll.

Wie konkret sind die Vorgaben des EU-Papiers?

Bei der »Entschließung des Rates zur Verschlüsselung« handelt es sich um eine Resolution, nicht um einen Gesetzentwurf – und dementsprechend findet sich wenig Konkretes darin. Das EU-Parlament wird sich noch dazu äußern, die Minister und Ministerinnen haben lediglich ausformuliert, in welche Richtung es gehen soll. Wir ­wissen noch nicht, ob daraus eine Verordnung, eine Richtlinie oder etwas anderes wird. Die Resolution selbst wird aller Voraussicht nach am 14. Dezember beschlossen, dann werden vermutlich konkretere Gesetzesvorschläge folgen. Damit ist auch der Zeitpunkt gekommen, sich einzumischen, zu demonstrieren, Artikel zu schreiben und Abgeordnete zu kontaktieren: die gesamte Palette des zivilgesellschaftlichen Widerstands. Und zwar jetzt, während die Grundlagen auf der europäischen Ebene gelegt werden. Denn wenn die Vorgaben zur verschlüsselten Kommunikation auf EU-Ebene beschlossen sind, die dann nur noch durch die Mitgliedstaaten implementiert werden müssen, ist es vorbei mit der verschlüsselten Kommunikation für alle.

Bedeutet das, dass das Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation dann wieder zum Privileg einiger weniger wird?

Technisch versierte Menschen werden weiterhin Wege finden, verschlüsselt zu kommunizieren, aber für die Mehrheit wird die einfache und alltägliche Verschlüsselung dann Geschichte sein – und dagegen müssen wir uns im Vor­hinein wehren. Übrigens halte ich es für eine Legende, dass bislang nur eine Minderheit Interesse an vertraulicher Kommunikation habe – mein Eindruck ist, dass es für viele Menschen durchaus angenehmer ist, zu wissen, dass niemand mitliest, und ich rede seit Jahren mit vielen Leuten über dieses Thema. Der entscheidende Punkt ist, dass sichere Messenger einfach und komfortabel zu benutzen sein müssen, und genau das ist eben der Vorteil von Messengern wie Signal und Threema – und in ab­geschwächter Form auch Whatsapp. Nach dem Bekanntwerden einer Sicherheitslücke hat Whatsapp die Verschlüsselung integriert, weil es die Nutzer und Nutzerinnen gefordert haben. Wenn diese Messenger nun kompromittiert würden, ja, dann wird verschlüsselte Kommunikation tatsächlich wieder ein Privileg.

 

Anne Roth ist Referentin für Netzpolitik der Bundestagsfraktion der Partei »Die Linke«. Zuvor war sie Referentin der Fraktion im NSA-Untersuchungsausschuss und arbeitete für eine international tätige NGO, die unter anderem Menschenrechtsorganisationen sowie Jour­nalistinnen und Journalisten in Fragen der digitalen ­Sicherheit berät. Die »Jungle World« sprach mit ihr über das Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation und dessen wahrscheinlich bevorstehende Einschränkung durch die EU.