Ein Blick auf die schachspielende Beth in »Das Damengambit«

Königin auf Aufputschmitteln

Die Serie »Das Damengambit« erzählt die fiktive Geschichte einer Frau, die in den sechziger Jahren zur weltbesten Schachspielerin aufsteigt.

Frankreich, 1967: Die komplett derangierte Elizabeth (Anya Taylor-Joy) hetzt sich ab, um rechtzeitig zu einem Schachspiel zu erscheinen. Sie steigt, komplett bekleidet und von Kopf bis Fuß durchnässt, mit verschmierten Make-up, aus der Badewanne ihres Pariser Hotelzimmers und rutscht in dem komplett dunklen Raum aus. Flaschen klirren. In Sekundenschnelle, so scheint es, hat sie sich wieder hergerichtet, huscht in einem hübschen Kleidchen im pompös eingerichteten Zimmer umher und lüftet die schweren Vorhänge. Eilig nimmt sie die letzten Tabletten aus einem Etui und spült sie mit Schnaps aus ­einem Fläschchen hinunter. Mit schicken Schuhen in der Hand erreicht sie den Fahrstuhl und stolpert hinein.

In der Lobby angekommen, stürmt sie barfuß zu dem Raum, in dem schon alle gespannt auf sie und den Beginn des Spiels warten. Als sie die Türen aufreißt, wird sie von einem Blitzlichtgewitter der Pressefotografen empfangen. Sichtlich überreizt läuft sie zu dem Tisch, an dem sich ihr Gegner Vasily Borgov (Marcin Doro­ciński) geduldet. Es wird sich später herausstellen, dass es sich bei ihm um den sowjetrussischen Schachweltmeister handelt und dass dieses Spiel eines der wichtigsten der Karriere von Elizabeth »Beth« Harmon ist, auf das sie sehr entschlossen hingearbeitet hat. Sie entschuldigt sich kurz, Borgov steht auf, die beiden geben sich die Hand und setzen sich. Sie starrt zunächst auf das Schachbrett, dann in Borgovs Augen und ­erinnert sich an eine Geschichte aus ihrer Kindheit.

So beginnt die Miniserie »Das Damengambit« (Originaltitel: »The Queen’s Gambit«), die auf dem 1983 veröffentlichten Roman »The Queen’s Gambit« von Walter Tevis basiert und seit Ende Oktober bei Netflix läuft.

USA, 1957: Die neunjährige Beth (Isla Johnston) hat gerade den erweiterten Suizid ihrer Mutter überlebt. Nach dem Autounfall kommt sie in ein Waisenhaus in Kentucky. Dort werden den Kindern täglich Drogen verabreicht: ein Aufputsch- und ein Beruhigungsmittel. Ein schwarzes Mädchen namens Jolene rät ihr, die grüne Kapsel, nämlich das Beruhigungsmittel, nicht direkt herunterzuschlucken, sondern sich das Medikament für den Abend aufzuheben. Es sind die gleichen Tabletten, die Beth zehn Jahre später schlucken wird, bevor sie gegen Borgov antritt. Schnell gewöhnt sie sich an, die Kapseln zu horten; sie wird süchtig.

Da sie in der Schule die Beste ist und die Aufgaben immer schneller lösen kann als alle anderen, wird sie während der Unterrichtszeit öfters in den Keller geschickt, um die Tafelschwämme auszuklopfen. Dort lernt sie den Hausmeister Mr. Shaibel (Bill Camp) kennen, der im Keller oft Schach gegen sich selbst spielt. Beth ist von dem Schachbrett so fasziniert, dass sie von ihm das Spiel lernen möchte. Dieser weist sie zunächst unwirsch ab, lässt sich durch ihre Hartnäckigkeit jedoch breitschlagen. Schon bald erkennt er ihr Talent und bringt ihr immer schwierigere Zugfolgen bei, die sie mit Bravour meistert.

»Das Damengambit« mutet von der Machart wie ein Biopic an, ist aber tatsächlich reine Fiktion. Der Autor der Romanvorlage dürfte sich für seine Figur allerdings am ehemaligen Schachweltmeister Bobby Fischer orientiert haben.

Im Waisenhaus reagiert man mit Unverständnis auf die Tatsache, dass Beth im Keller mit dem Hausmeister Schach spielt. Man verbietet ihr den weiteren Umgang mit Mr. Shaibel; Beth nimmt dieses Verbot ohne Protest hin. Sie gewöhnt sich an, mit Hilfe der Beruhigungsmittel in der Nacht in ihrem Bett in Gedanken Schach zu spielen, indem sie sich das Brett und die Figuren an die Decke halluziniert. Die Sucht nach den kleinen grünen Kapseln wird ihr jedoch im weiteren Verlauf der Serie immer wieder zum Verhängnis.

Mit 14 Jahren wird Beth von dem zerrütteten Ehepaar Wheatley adoptiert. Die Mutter ist melancholisch und Alkoholikerin, der Vater mürrisch und lieblos. Er verlässt wenig später die Familie. Beth versucht, nachdem sie in ihrem neuen Zuhause angekommen ist, alsbald an Schachturnieren teilzunehmen. Mrs. Wheatley ist zunächst skeptisch, unterstützt sie jedoch, sobald sie merkt, dass das Mädchen Erfolg hat – und sich damit Geld verdienen lässt. So kommt Beth mit deutlich älteren Leuten in Verbindung, die nicht unbedingt immer der beste Umgang für sie sind und ihr den Zugang zu Rauschmitteln erleichtern.

Bei ihrem ersten Schachturnier lernt Beth die Männer kennen, die in den folgenden sechs Jahren große Bedeutung für ihr Leben haben werden. Ihre Beziehungen zu ihnen sind dabei zunächst ambivalent. Trotz des Altersunterschieds entsteht sexuelle Spannung, die Serie zeigt jedoch nie übergriffiges Verhalten seitens der Männer – nur fällt die Passivität von Beth beim Liebesspiel als krasser Gegensatz zu ihrer aggressiven Art des Schachspielens auf. Das nämlich, so scheint es, ist ihre einzige und größte Leidenschaft.

Eine Liebe, die jedoch einer Obsession gleichkommt. So rauscht sie emotional mit jedem gewonnenen Spiel zunächst in die Höhe, um darauf folgend umso tiefer zu fallen, sobald sie gegen international erfolg­reiche Spieler verliert. Weil sie ihr eigenes Versagen kaum ertragen kann, wird sie sich selbst und ihren Freunden gegenüber ungehalten und unwirsch. Ihren Kummer ertränkt sie in Alkohol und anderen Rauschmitteln, wobei sie keine andere Gesellschaft als ihre eigene erträgt und dabei fast um den Verstand kommt. Doch obwohl sie die Menschen in ihrem Leben immer wieder von sich stößt, reißt die Verbindung zu ihnen nie ab, im Gegenteil: Im entscheidenden Moment wird sie von allen gemeinsam unterstützt.

Was von der Geschichte wie von der Machart wie ein Biopic anmutet, ist tatsächlich reine Fiktion. Der Autor der Romanvorlage Tevis dürfte sich für seine Romanfigur allerdings am ehemaligen Schachweltmeister Bobby Fischer orientiert haben, dem es 1972 in einem spektakulären ­Duell gelang, den Titelverteidiger Boris Spasskij zu besiegen. Er machte die Hauptfigur aber zu einer Frau, um »gescheiten Frauen zu huldigen«. Historische Figuren hätte es indes im Prinzip genug gegeben, auf einen männlichen Schachspieler hätte Tevis nicht zurückgreifen müssen.

Anders als in vielen anderen Sportarten war es beim Schach üblich, dass auch Frauen gegen Männer antraten. Seit 1927 gibt es darüber ­hinaus die Schachweltmeisterschaft der Frauen, die unter der Schirmherrschaft des Weltschachverbands Fide ausgetragen wird. Derzeit stammen die meisten professionell Schach spielenden Frauen aus China. In den siebziger Jahren dominierten vor allem die sowjetischen Frauen in der Schachwelt, zum Beispiel die ­Georgierin Nona Gaprindaschwili, die als erste Frau den Titel Groß­meister trug.

Darüber, dass die Serie keine historisch verbürgte Geschichte erzählt, kann man getrost hinwegsehen, denn die Reihe ist nicht allein für Schachfans gemacht. Sie überzeugt vor allem durch nuanciert dargestellte Beziehungsgeflechte, Sehnsüchte, Exzesse und innere Abgründe. Vor allem die Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy brilliert mit ihrem feinen Minenspiel. Das fesselt auch, wenn man keine tiefe Kenntnis des geistigen Sports Schach hat.

»Das Damengambit« (USA 2020) kann auf Netflix gestreamt werden.