Das polizeiliche Vorgehen im Dannenröder Forst sorgt für Kritik

Schneebälle gegen Wasserwerfer

Vergangene Woche wurde der letzte Baum auf der für einen Autobahnbau vorgesehenen Strecke im Dannenröder Forst gefällt. Mittlerweile gibt es eine Diskussion über den Polizeieinsatz und »grüne Gewalt«.
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»Waldbaden« heißt ein neuer Gesundheitstrend. Gestresste Großstädter sollen zum Wohl von Körper und Psyche mehr Zeit im Wald verbringen. Die Tausenden, die in den vergangenen Wochen durch den Maulbacher Wald, Herrenwald und Dannenröder Forst in Hessen streiften, hatten allerdings nicht ihre Entspannung im Sinn.

Knapp 2 000 Polizeibeamte aus ganz Deutschland hatten dort in einer Art Festung aus Frachtcontainern der Firma Maersk und Stacheldraht ihr ­Lager aufgeschlagen, auf einer Fläche von etwa einem Hektar. Sie sollten die Rodung von 85 Hektar Wald sichern. Denn in dem Gebiet soll die Autobahn 49 demnächst die beiden Städte Kassel und Gießen miteinander verbinden. Den Polizisten standen Tausende Protestierende gegenüber, die die Rodung verhindern wollten. Dutzende Baumhäuser entlang des Verlaufs der künftigen Autobahnstrecke erinnerten Beobachter an die Ewok-Siedlung aus dem Star-Wars-Film »Die Rückkehr der Jedi-Ritter«. 3 200 Protestierende seien erkennungsdienstlich behandelt worden, es habe 2 500 Platzverweise gegeben und mehr als 1 000 Waldbesetzer seien vorübergehend in Gewahrsam genommen worden, berichtete die Polizei über ihren insgesamt vier Wochen andauernden Einsatz.

Eine Baumbesetzerin stürzte aus mehreren Metern in die Tiefe, womöglich weil ein Polizist ihr Sicherungsseil durchtrennt hatte. Gegen ihn wird wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt.

Am Dienstag voriger Woche endete dieser Einsatz. Gegen 15 Uhr fiel der letzte Baum. Mit der Errichtung eines Baumhauses hatten Demonstranten versucht, eine 300 Jahre alte Eiche vor den Kettensägen zu retten. Polizisten evakuierten die Umweltschützer, danach wurde der Baum zügig von Mitarbeitern des landeseigenen Betriebs Hessen-Forst gefällt.

Die Rodung ist abgeschlossen, doch die Diskussion über den Polizeieinsatz im Wald hat gerade erst begonnen. »Die Räumung war für alle von uns ein einschneidendes und traumatisierendes Erlebnis«, zitiert das Bündnis »Wald statt Asphalt« den Waldbesetzer Mike Laif. »Einige wurden das erste Mal mit Polizeigewalt und deren rücksichtsloser Konsequenz konfrontiert.«

Gegen insgesamt 65 Protestierende wird wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. »In einem dieser Fälle wurde ein Bauwerk (ein ­sogenannter Twopod) auf Polizeibeamte umgestürzt. Die Beamten konnten sich nur knapp in Sicherheit bringen. In dem anderen Fall wurde ein Beamter des Höheninterventionsteams beim Versuch, eine Person in fünf Metern Höhe aus einem Baum zu bergen, mit dem Fuß an den Kopf getreten«, sagte der zuständige Kriminaldirektor Jochen Wegmann auf einer Pressekonferenz. Dass den Angaben der Polizei zufolge lediglich wegen vier tätlicher Angriffe ermittelt wird, passt allerdings nicht zum Schreckensbild von linksradikalen Gewalt­ex­zes­sen, das manche beschwören. Von »täglichen Angriffen« auf Polizeibeamte sprach Stefan Müller von der hessischen FDP, die Junge Union Hessen prangerte »grüne Gewalttaten« im Dannenröder Forst an und verlautbarte: »Die Evangelische Kirche, Naturschutzverbände wie der BUND sowie die grüne Bundespartei täten gut daran, dringend ihr Verhältnis zu den Gewalttätern zu ­klären und sich endlich zum Rechtsstaat zu bekennen.«

Im Wald selbst filmten Mitglieder der Organisation Ende Gelände, wie ein Wasserwerfer bei Minustemperaturen in Richtung der Waldbesetzer schießt, gleichzeitig ist aus einem Megaphon zu hören: »Unterlassen Sie das Werfen von Schneebällen, sonst wird weiter Wasser gegen Sie eingesetzt.«

Im Laufe des Einsatzes habe es einen erkennbaren Wechsel der Strategie ge­geben, sagte Lisa Hofmann der Jungle World. Die Politikerin, die dem Landesvorstand der Linkspartei angehört, hatte den Einsatz im Wald mehrere Tage lang beobachtet. »Am Anfang wurde sehr besonnen geräumt«, berichtete sie. Die Klettereinheiten der Polizei seien im Herrenwald sehr umsichtig vor­gegangen. Doch auch in den frühen Tagen habe sie einen unverhältnismäßigen Knüppeleinsatz gegen eine Schülerdemonstration am Waldrand beobachtet. Im Dannenröder Forst ging es dann Hofmann zufolge deutlich schneller zur Sache: Während im benachbarten Herrenwald Bäume erst nach der Räumung des entsprechenden Waldabschnitts gefällt worden seien, sei es im Dannenröder Forst zu Baumfällarbeiten gekommen, während nebenan Polizisten noch Waldbesetzer aus ihren Baumhäusern gezerrt hätten. »Das war ziemlich gefährlich«, sagte Hofmann.

Eine Baumbesetzerin stürzte aus mehreren Metern in die Tiefe, womöglich weil ein Polizist ihr Sicherungsseil durchtrennt hatte. Gegen ihn wird wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt ermittelt. Zudem ermittelt die hessische Polizei wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung während einer Durchsuchung gegen einen oder mehrere Polizisten aus Thüringen. Waldbesetzer wiederum sollen Polizisten mit Steinen, Farbbeuteln und Fäkalien beworfen haben. Insgesamt 450 Straf­taten seien im Zuge der Räumung des Geländes begangen worden, berichtete die Polizei am 9. Dezember – einschließlich der möglichen Straftaten von ­Beamten.

Die Protestierenden haben weiteren Widerstand gegen den Autobahnbau angekündigt. Dass sie die Rodung zu einem politischen Desaster für die Grünen machen wollten, blieb eine leere Drohung. In einer Umfrage von Infratest Dimap, die im Zeitraum der Räumung stattfand, gaben 22 Prozent der Befragten an, bei einer Landtagswahl für die Grünen stimmen zu wollen, zwei Prozentpunkte mehr als noch im Mai.

»Wir finden, dass dieser Polizeieinsatz völlig überzogen war«, sagte Lisa Hofmann. »Und wir sehen, dass das Baurecht für Autobahnen in Hessen mit einer anderen Dringlichkeit umgesetzt wird als das Klimaschutzabkommen von Paris.«