Eine Initiative ermuntert Neonazis zum Umzug nach Ostdeutschland

Umzug gen Osten

Michael Brück, einer der prominentesten Neonazis Nordrhein-Westfalens, verlässt Dortmund. Die Initiative »Zusammenrücken in Mitteldeutschland« bietet ihm »neuen Siedlungsraum« in Ostdeutschland.

Nicht zuletzt das Wahlergebnis seiner Partei »Die Rechte« von 1,12 Prozent der abgegebenen Stimmen in Dortmund führte zur Ernüchterung. Nach dem enttäuschenden Ergebnis bei den Kommunalwahlen im September hat der stellvertretende Landesvorsitzende der Kleinpartei »Die Rechte« in Nordrhein-Westfalen, Michael Brück, seinen Rückzug aus dem Dortmunder Stadtrat ­angekündigt, in den er erneut gewählt wurde. Obwohl er in seiner Bezirks­vertretung Huckarde immerhin über 6 Prozent der Stimmen erzielte, geht dieses Ergebnis wohl vor allem auf die in dem Bezirk nicht angetretene AfD zurück, deren Sympathisanten ersatzweise die »Rechte« gewählt haben. ­Bereits seit einiger Zeit kursierten Gerüchte über den Verbleib des ehemaligen Funktionärs des Nationalen Widerstands Dortmund; er wolle kürzer ­treten, hieß es. Das Propagandaportal Dortmundecho, das maßgeblich von dem 30jährigen betrieben wurde, hat seine Aktivitäten nach acht Jahren im September eingestellt. Mittlerweile ist bekannt, dass Brück aus dem Ruhr­gebiet wegziehen will. Seine Zukunft sieht er im sächsischen Chemnitz; die neonazistischen Szenen beider Städte sind eng miteinander verbunden.

Seine Zukunft sieht Michael Brück im sächsischen Chemnitz; die neonazistischen Szenen beider Städte sind eng miteinander verbunden.

Für eine größere Überraschung sorgte allerdings, dass Brücks Umzug auf dem Telegram-Kanal der neonazistischen Kampagne »Zusammenrücken in Mitteldeutschland« angekündigt wurde. Seit knapp einem Jahr wirbt diese für den Umzug Rechtsextremer in westdeutschen Städten, die ihre Existenz von Migranten bedroht sehen, nach Ostdeutschland. Die hinter der Kampagne stehende Gruppe hilft nach eigenen Angaben nicht nur Interessierten bei der Suche nach einer geeigneten Region, sondern vermittelt auch persönliche Kontakte. Trotz großen politischen Zuspruchs in der Szene fehlte jedoch bisher ein prominenter Umzügler. Brück gibt der Kampagne nun ein Gesicht. In einer Mitteilung verlautbart diese, dass ein Wegzug aus der »angestammten Heimat« ein »großer und folgenschwerer Schritt« sei. Brück sei mutig genug gewesen, diesen Schritt zu vollziehen.

Bisher warb »Zusammenrücken« vor allem mit Interviews mit mehr oder weniger bekannten Rechtsextremen, beispielsweise der ehemaligen Pegida-Funktionärin Kathrin Oertel oder dem ehemaligen Bundesvorstandsmitglied der NPD, Baldur Landogart. Eindrücklicher sind allerdings zwei ­andere ­Gespräche, die die Initiative auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlichte. Im Interview spricht der seit Jahrzehnten tätige völkische Liedermacher Frank Rennicke über seine Reise durch Deutschland. In der Nähe Braunschweigs geboren und jahrelang in Baden-Württemberg wohnhaft, lebt er heutzutage im Dreiländereck von Bayern, Thüringen und Sachsen. Über die Nachbarn in seinem bayerischen Dorf spricht er voller Verachtung. Diese seien »verstädtert«, hätten eine »ausländische« Kultur angenommen. Das sei auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ganz anders. Man werde freundlich begrüßt, Menschen würden noch »deutsch denken«. Rennicke bezeichnet sich als »Bekenntnisvogtländer« und sagt, wäre er heutzutage 25 Jahre alt, dann würde er in den Osten Deutschlands umziehen. Dort sei es ganz anders möglich, eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen. Für »Zusammenrücken« hofft Rennicke, dass man »im Kleinen« etwas »retten« könne, »Mitteldeutschland« sei dafür der geeignete Ort.

Während es im Gespräch mit Rennicke, der die deutschen Siedler zu handwerklichen Tätigkeiten aufruft, bodenständig zugeht, liefert das Interview mit Jonathan Stumpf den intellektuellen Überbau für die völkische Siedelei. Der ehemalige NPD-Kommunalpolitiker aus Mannheim (Baden-Württemberg) erhielt im Frühjahr größere Aufmerksamkeit, als er mit Mario Müller von der Identitären Bewegung auf der griechischen Insel Lesbos mit einem blutigen Gesicht für ein Foto posierte. Medienberichten zufolge waren die beiden in eine Auseinandersetzung mit griechischen Antifaschisten geraten. Wie das Portal Belltower News berichtete, waren sie einem Aufruf französischer Nationalisten an europäische Nazis gefolgt, im türkisch-griechischen Grenzgebiet und auf Lesbos Jagd auf Journalisten und NGO-Mitarbeitende zu machen.

Unter dem Pseudonym »Johannes Scharf« hat Stumpf in den vergangenen Jahren mehrere Schriften ver­öffentlicht, in denen er den Verschwörungsmythos vom »Großen Austausch« ventiliert und sich für die Errichtung von Staaten mit ausschließlich weißer Bevölkerung ausspricht. Im Gespräch mit »Zusammenrücken« nennt er den Norden der USA sowie Süd-, Mittel- oder Osteuropa als Gebiete, in denen dies möglich wäre. Westeuropa dagegen sei verloren. Stumpf will zwar vorerst aus beruflichen Gründen im Westen bleiben, liebäugelt aber mit einer Zukunft im »mitteldeutschen Siedlungsgebiet«.

In den vergangenen zehn Jahren war Brück einer der wichtigsten und bekanntesten Funktionäre der Dortmunder Naziszene. Im Stadtrat stellte er wiederholt provokante Anfragen, was den ehemaligen Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau, der in diesem Jahr nicht mehr zur Wiederwahl antrat, regelmäßig zur Weißglut trieb. Bei Demonstrationen und Kundgebungen gab Brück oft den Einpeitscher und provozierte Gegendemonstranten.

Seit die Dortmunder Polizei in den vergangenen Jahren die Nazikader verstärkt juristisch verfolgt und mit ihrer guten Ermittlungsarbeit für Verurteilungen sorgt, ist es in der Stadt ruhiger geworden. Zwei wichtige Neonazis, nämlich der Bundesvorsitzende von »Die Rechte«, Sascha Krolzig, und Christoph Drewer, Beisitzer im Bundesvorstand der Partei, saßen in den vergangenen Monaten in Haft, wobei Drewer im Dezember entlassen werden sollte. Auch sonst gelang es der Kleinpartei in Dortmund in letzter Zeit nicht, mit Provokationen in die bundesweiten Medien zu kommen. Aufmärsche gerieten in den vergangenen Jahren kontinuierlich kleiner und auch auf lokale Demonstrationen und Kundgebungen scheint die Szene keine Lust mehr zu haben.

An ein Ende der örtlichen Naziaktivitäten glauben Dortmunder Antifaschistinnen und Antifaschisten jedoch nicht. »Brücks Wegzug wird weniger verändern, als viele hoffen. Dortmunds Naziproblem hat sich damit nicht ­erledigt«, sagt Kim Schmidt, die Sprecherin der Autonomen Antifa 170. Brücks Nachfolger stehen schon bereit. Matthias Deyda, der für Brück in den neugewählten Stadtrat nachgerückt ist, hat sich als Redner einen Namen gemacht. Im Februar hat er bei dem jährlichen Gedenken an die Wehrmacht und Waffen-SS in der ungarischen Hauptstadt Budapest seine Rede mit dem Hitler-Zitat »Es genügt nicht die bloße Ablegung des Bekenntnisse: Ich glaube, sondern der Schwur: Ich kämpfe« beendet, berichtete das Rechercheportal »Democ«. Auch Alexander Deptolla, der als Hauptorganisator der neonazistischen Kampfsportveranstaltung »Kampf der Nibelungen« einige Misserfolge einstecken musste, wird Schmidt zufolge derzeit wieder aktiver. Zwar sieht sie die lokale Naziszene wegen der Inhaftierungen insgesamt als geschwächt an. Aber sie ergänzt: »Trotzdem kann die Naziszene in Dortmund auf eine gewachsene Struktur aufbauen, die bis in die achtziger Jahre zurückreicht. Diese Netzwerke verschwinden nicht über Nacht und haben schon früher den Wegfall und Rückzug einzelner Akteure überstanden.«