Smalltalk mit Heinz Wittmer vom Aktionsbündnis 8. Mai über Probleme mit dem Ordnungsamt in Demmin und der Staatsanwaltschaft

»Musik ist nicht nur eine akustische Einlage«

Kürzlich erließ die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg einen Strafbefehl über 1 500 Euro gegen den Versammlungsleiter einer Kundgebung gegen den Neonaziaufmarsch am 8. Mai 2019 in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern). Er soll gegen die Versammlungsauflagen verstoßen haben. Die »Jungle World« sprach mit Heinz Wittmer, dem Sprecher des »Aktionsbündnisses 8. Mai Demmin«, das seit 2009 am Tag der Befreiung die Proteste gegen die Naziaufmärsche organisiert.
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Was waren die genauen Gründe für den Strafbefehl?

Der Versammlungsleiter soll gegen drei Auflagen verstoßen haben. Die Einhaltung des Verbots von Glasflaschen und des Alkoholverbots hatte er während der Kundgebung mehrmals angemahnt. Er sah es jedoch als unverhältnismäßig an, die Kundgebung aufzulösen, nur weil einige wenige Teilnehmer Bier tranken, zumal auch am Rande des Neonaziaufmarsches Alkohol getrunken wurde. Dort schritt die Polizei nicht ein, obwohl das Ordnungsamt immer wieder betont hatte, dass die Auflagen für alle gleich seien.

Gegen welche Auflage soll er noch verstoßen haben?

Die dritte Auflage betraf die Begrenzung der Musikbeiträge auf sieben Minuten am Stück. Danach sollte es eine Pause für Redebeiträge geben. Das Ordnungsamt begründete diese Auflage mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, wonach die geistige Auseinandersetzung im Mittelpunkt von Kundgebungen stehen müsse und musikalische Einlagen nur der akus­tischen Begleitung dienten.

Ist das nicht ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit?

Das sehen wir so. Ordnungsamt und Staatsanwaltschaft werfen uns vor, dass wir zu laut und zu fröhlich gegen den Naziaufmarsch demonstriert hätten. Doch gerade in Demmin zeigt sich, dass Musik nicht nur eine akustische Einlage ist. So hat die Band Feine Sahne Fischfilet mit ihren Auftritten auf den Kundgebungen viele Menschen mobilisiert.

Welchen Einfluss hatte der 2017 von dem Regisseur Martin Farkas veröffentlichte Dokumentarfilm »Über ­Leben in Demmin«, der den Massensuizid in der Kleinstadt kurz vor dem Ende des NS-Regimes im Mai 1945 und die Erinnerung daran thematisiert?

Der Film hat bundesweit Resonanz gefunden. Dadurch wurden auch die Aufmärsche der Neonazis in Demmin bekannter, die den Massensuizid vor 75 Jahren zum Anlass für ihre Propaganda nehmen.

Hatten Sie bereits in der Vergangenheit Probleme mit dem Demminer Ordnungsamt?

Ja, wir werden seit unseren ersten antifaschistischen Protesten immer wieder von der Behörde behindert. So wird die symbolische dreiminütige Blockade der Naziroute verweigert, obwohl alle demokratischen Parteien im Landtag zur Teilnahme an ihr aufgerufen haben. Bisher konnte lediglich der Landtagsabge­ordnete Peter Ritter (»Die Linke«) die dreiminütige Blockade durchsetzen, als er sich als Anmelder einer Kund­gebung zur Verfügung stellte. Über die Behinderung der antifaschistischen Proteste gegen den NPD-Aufmarsch am 8. Mai 2016 in Demmin hat der »Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen« einen Bericht verfasst, der auf unserer Homepage verlinkt ist.

Welche Auswirkungen haben die Repressalien?

Sie schrecken ab. So will sich in Demmin kaum jemand mit seinem Klarnamen gegen rechts positionieren. Ich wurde von einem ehemaligen CDU-Stadtrat in den sozialen Medien als »Schwein« beschimpft. Am 8. Mai 2020 konnten wir eine der geplanten Kundgebungen nicht abhalten, weil wir keinen Anmelder fanden. Je nach Pandemiegeschehen planen wir, auch in diesem Jahr die Niederlage des NS-Regimes in Demmin zu feiern.