Wie die Neue Rechte in Deutschland den »Sturm auf das Kapitol« beurteilt

Der gefallene Erlöser

Extreme Rechte in Deutschland hatten bislang Sympathien für Donald Trump. Nach der Erstürmung des Kapitols zeigen sich manche jedoch skeptisch.

Es ist eine historische Ausnahme, dass die extreme Rechte in Deutschland einen US-amerikanischen Präsidenten mit Sympathie, ja mit Begeisterung begleitet. Bei Donald J. Trump war dies der Fall. Wenn also in der Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit oder in der vom Institut für Staatspolitik herausgegebenen Zeitschrift Sezession nach der Erstürmung des Kapitols skeptische bis kritische Töne zu vernehmen sind, kehrt in der Haltung zu den USA offenbar wieder der Normalzustand ein.

Denn traditionell ist das Verhältnis der deutschen Rechtsextremen zu den USA eindeutig: Als raumfremde Militärmacht argwöhnisch beäugt, als oberflächliche und geschichtslose Kunstnation bespöttelt und als kulturlose Massengesellschaft verachtet, gelten die USA als das Sinnbild des zerstörerischen Liberalismus, dessen Zentren in New York City und Hollywood verortet werden. Schwer wiegt zudem die narzisstische Kränkung, dass Kaugummi kauende GIs die deutsche Nation gleich zweimal besiegt haben. »Amerika« dient der alten und neuen deutschen extremen Rechten als Feindbild, Ausnahmen bestätigen die Regel. Gerade in der Abgrenzung zum melting pot, als welcher die USA begriffen werden, kann das »Eigene« bestimmt werden.

Seit 2016 gab es jedoch eine ganz besondere deutsch-amerikanische Freundschaft: Für wichtige Fraktionen der ex­tremen Rechten hierzulande war Trump der Präsident eines anderen, besseren, größeren Amerika. Trump galt, obwohl er durch und durch ein Produkt der Kulturindustrie ist, als Anführer im Kampf gegen die »kosmopolitischen Eliten«. Der Sieg von »the Donald« über die liberals beflügelte die Phantasien.

Doch inzwischen mehren sich die Zweifel an der politischen Klugheit des stets polternden Präsidenten. In der Sezession versuchten der Wiener Autor und Übersetzer Martin Lichtmesz und Martin Sellner, ein ebenfalls in Wien lebender Funktionär der Identitären Bewegung (IB), die Ereignisse in den USA nach der uneingestandenen Wahlniederlage Trumps zu deuten. Besonders Lichtmesz verdeutlicht, wie profund extreme Rechte zu analysieren vermögen. Wie Trumps Getreue in den USA spricht er davon, dass im November 2020 »der wohl größte Wahlbetrug der amerikanischen Geschichte« stattgefunden habe. Als Beleg genügt ihm ein Verweis auf das deutsche Blog sciencefiles.org, das sich eigenen Angaben zufolge den »kritischen Sozialwissenschaften« widmet, in seinen Beiträgen aber hauptsächlich gegen Kommunismus, Antifa, »Gender-Ideologie«, »Gesinnungsdiktatur« und eben den »Wahlbetrug« in den USA wettert. Ansonsten schimpft Lichtmesz wie so viele andere rechte Schreiber auf die »Doppelmoral der politisch-medialen Elite«: Die militanten Proteste vor und im Kapitol würden dramatisiert, die von Anhängern der Bewegung Black Lives Matter ausgehenden Übel wie »landesweite Randale, Gewaltausbrüche, Brandschatzungen und Plün­derungen« hingegen verniedlicht.

Immerhin lässt Lichtmesz im Gegensatz zu geistesverwandten US-Autoren wenigstens offen, ob sich »Antifanten« zwecks Destabilisierung der »Bewegung« und Dämonisierung Trumps unter die Demonstranten gemischt hätten. Der Vielschreiber der Sezession konstatiert aber auch, dass eine sinnvolle Strategie Trumps »nicht erkennbar« sei, zudem sei es »leider eine Tatsache«, dass dieser »enorme Charakterschwächen« habe und seine »politische Kompetenz ziemlich beschränkt« sei.

Auch Sellners Augenmerk liegt auf der von ihm diagnostizierten Bigotterie der »Mainstream-Presse«, die zweierlei Maßstab anlege. Der »Sturm« sei kaum mehr als ein »chaotisches, planloses Happening« gewesen und zudem »im Wesentlichen gewaltfrei« abgelaufen. Sellner wertet den rabiaten Protest der Trump-Anhänger im Kern als ebenso führungslosen wie »nihilistischen Sturm«.

Dass Trump weitaus stärker seinen persönlichen Interessen denn einem kohärenten politischen Plan folgt, bringt die sich intellektuell gerierende Neue Rechte in eine gewisse Verlegenheit. Die Junge Freiheit geißelt zwar die Sperrung des US-Präsidenten auf Twitter, titelt aber sehr deutlich: »Jagt Trump aus dem Weißen Haus«, weil der sein Ego und Einzelinteresse über die Verfassung stellt. Der so überschriebene nur kurz nach den Ereignissen in Washington, D.C., veröffentlichte Meinungsbeitrag von Joachim Stein­höfel fand bei den Lesern längst nicht nur Beifall. Spätere Artikel richteten sich dann vor allem gegen Trumps Kritiker.

Lässt die Junge Freiheit, um sich an das »bürgerliche Lager« anzunähern, auch bürgerlich-konservative Transatlantiker zu Wort kommen, verzichtet die Sezession auf derlei Konzessionen. Aber auch die selbsterklärten Metapolitiker erkennen in Trump vor allem einen trivialen Twitterer, dessen Verschwörungserzählungen auch den getreuen Anhängern den Verstand vernebelt hätten. Sellner schließt mit dem Wunsch, dass das »patriotische Lager« künftig nicht »Stürme«, sondern stra­tegisch vorbereitete »Belagerungen« als Protestmittel nutze, auch wenn das »Widerstandslager« derzeit weder in den USA noch in Europa über den nötigen »hohen Organisationsgrad« verfüge. Lobende Worte findet er aber doch für das von ihm so genannte Reichstagsstürmchen der Ende August in Berlin versammelten »Corona-Rebellen«. Hier hätten »Plan und Disziplin« einen Unterschied gemacht.

Dass Sellner nach diesem Lob des deutschen Organisationstalents den Washingtoner Demonstranten zwar »Idealismus« zugesteht, ihr weltweit beachtetes Spektakel aber nur zu »sinnlosen Akten politischer Selbstbefriedigung und vandalistischer Eks­tasen« erklärt, zeigt – vielleicht nur unfreiwillig –, dass er sowohl die »US-Patrioten« als auch ihren Präsidenten für oberflächlich und letztlich infantil erachtet. Und so ist auch Trump für diesen Teil der Rechten derzeit doch wieder nur ein weiterer »amerikanischer Präsident«.