Die EU und China haben ein Investitionsabkommen unterzeichnet

Ein bisschen Öffnung

Mit einem neuen Investitionsabkommen will die EU ihre Wirtschafts­aktivitäten in China ausbauen und das Land auf marktwirtschaftliche Standards verpflichten. Für Chinas Arbeiter bringt das Abkommen kaum Verbesserungen.

Angela Merkel hatte lange darauf hingearbeitet. Am 30. Dezember meldete die EU-Kommission, dass nach sieben Jahren die Verhandlungen über ein Investitionsabkommen mit China »im Grundsatz« abgeschlossen seien. Statt einer feierlichen Zeremonie gab es eine Videokonferenz mit Präsident Xi Jinping, an der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und, als Präsidentin des EU-Rats, Angela Merkel sowie der französische Präsident Emmanuel Macron teilnahmen.

China und die EU tauschen bereits Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro täglich aus, rechnete die EU-Kommission in ihrer Presseerklärung zum Abkommen vor. Doch die Investitionen seien »angesichts der Größe und des Potentials der chinesischen Wirtschaft« noch stark ausbaufähig. Nur 140 Milliarden Euro hätten europäische Firmen in den vergangenen 20 Jahren insgesamt in China investiert. Durch das neue Abkommen werde China für Firmen aus der EU offener als für jene aller anderen Länder.

Etwa die Hälfte der EU-Investitionen in China fallen in den Bereich der Industrie, und davon mehr als die Hälfte in die Automobilindustrie. Deutschland, für dessen Autokonzerne China der wohl wichtigste Markt ist, war deshalb die treibende Kraft hinter dem Abkommen. Weil die meisten der von VW, Daimler, BMW oder Audi verkauften Autos in China selbst produziert werden, wollen diese Konzerne Garantien vom chinesischen Staat, dass sie auch in Zukunft unbeschränkt investieren und Fabriken eröffnen dürfen. Neben der Auto- und der fertigenden Industrie umfasst das Abkommen auch Absprachen über IT-Angebote wie Cloud-Services, die Finanz- und Investmentbranche, das Gesundheitswesen und die Schiff- und Luftfahrt.

Seit Jahrzehnten basiert das chinesische Modell darauf, ausländische Unternehmen ins Land zu holen, deren Investitionen das Wachstum einer eigenen Industrie beflügeln sollen. Gezielt fördert der chinesische Staat heimische Firmen mit Subventionen und anderen Hilfen. Die EU und insbesondere die USA fordern deshalb seit Jahren mit wachsender Aggressivität eine Liberalisierung der chinesischen Wirtschaft, damit westliche Unternehmen »in China unter faireren Wettbewerbsbedingungen agieren können«, wie es in der Presseerklärung der EU-Kommission heißt.

Tatsächlich hat China entsprechende Zusagen gemacht: Subventionen sollen transparenter werden, geistiges Eigentum europäischer Firmen soll ­geschützt und Firmen im Staatsbesitz sollen verpflichtet werden, nur noch »im Einklang mit wirtschaftlichen Erwägungen« zu handeln, statt andere chinesische Unternehmen bevorzugt zu behandeln. Die EU, deren Gesetze ausländischen Investoren bereits umfassende Rechte garantieren, musste ihrerseits kaum Zugeständnisse ­machen.

Vor den Verhandlungen über das Abkommen mit China hatte es dem Magazin »Politico« zufolge innerhalb der EU Konflikte gegeben. Deutschland soll Bedenken kleinerer Staaten übergangen haben.

Eine kontrollierte Öffnung der eigenen Märkte sei durchaus im chinesischen Interesse, argumentiert Jake Werner vom Global Development Policy Center der Universität Boston. »China schützt eigene Sektoren, solange sie sich im Anfangsstadium der Entwicklung befinden, und nimmt ihnen dann Schutz und Unterstützung, wenn sie stark genug sind, um auf dem Weltmarkt zu bestehen«, sagte er der Jungle World. »Die Konkurrenz zwingt die chinesischen Unternehmen dann zu mehr Effizienz, was sie langfristig stärker macht.«

Tatsächlich befürchten deutsche Firmen, in China von der erstarkenden Konkurrenz zurückgedrängt zu werden. Ulrich Ackermann vom Verband der deutschen Maschinenbauindustrie, der in der Vergangenheit immer wieder die Liberalisierung der chinesischen Wirtschaft gefordert hat, äußerte sich in der Financial Times skeptisch: Wegen wachsender Konkurrenz sei die Zeit des »ewigen Wachstums« in China womöglich vorüber, und man müsse sich vorbereiten, »rechtzeitig neue, alternative Wachstumsmärkte in Asien« zu entwickeln.

Doch China will Investoren signalisieren, dass sie weiterhin willkommen sind, wohl auch um einer wirtschaftlichen Isolierung durch die USA vorzubeugen. Bereits 2019 hatte China mit einem Investitionsgesetz die Bedingungen für ausländische Firmen verbessert, das Abkommen mit der EU ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Der Zeitpunkt des Übereinkommens, der offenbar von China bestimmt wurde, stellt durchaus einen Affront gegen die USA dar. Ein Vertreter des designierten US-Präsidenten Joe Biden hatte kurz vor Weihnachten mit Blick auf die Verhandlungen erklärt, man wünsche eine rasche Abstimmung mit der EU über die zukünftige China-Politik. Bereits im Sommer hatte der US-Außenminister Mike Pompeo gefordert, eine »Allianz der Demokratien« gegen China zu bilden. Der scheidende stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Matthew Pottinger teilte nun mit, man sei »perplex und fassungslos« gewesen, als die EU kurz vor dem US-Regierungswechsel das Abkommen abgeschlossen habe.

Doch auch in Europa ist die Kritik an China in den vergangenen Jahren lauter geworden. Im März 2019 nannte die EU China offiziell einen »systemischen Rivalen«. Angela Merkel geriet international in den Ruf, zum Schutz der deutschen Wirtschaftsinteressen die zwischenstaatliche Konfrontation mildern zu wollen, etwa als sie sich zunächst gegen den Ausschluss des chinesischen Konzerns Huawei vom Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes aussprach. Auch wurde ihr vorgeworfen, dass sie sich wegen der Verhandlungen über das Investitionsabkommen zu sehr mit Kritik an der chinesischen Regierung in Hinblick auf Hongkong und Xinjiang zurückgehalten habe.

Vor den Verhandlungen habe es innerhalb der EU Konflikte gegeben, ­berichtete das Magazin Politico und zitierte anonyme EU-Diplomaten, die beklagten, dass Deutschland Bedenken kleinerer Staaten übergangen habe, um das Abkommen abzuschließen. Solche Auseinandersetzungen über die China-Politik dürften dieses Jahr noch offener ausgetragen werden, auch in Deutschland selbst, wo sich beispielsweise Norbert Röttgen mit Kritik an China als Kandidat für den CDU-Vorsitz profilieren will und die chinakritischen Grünen bald in der Regierung sein könnten.

Ohnehin muss das EU-Parlament dem Investitionsabkommen noch zustimmen. Reinhard Bütikofer, grüner Europaabgeordneter und Vorsitzender der parlamentarischen China-Delegation, kündigte bereits an, gegen die Ratifizierung kämpfen zu wollen. Dabei geht es vor ­allem um Arbeits- und Menschenrechtsfragen, die das Investitionsabkommen ebenfalls berührt. Neben der Garantie, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten, willigte China der EU-Kommission zufolge ein, bereits unterzeichnete Konventionen der International Labour Organization (ILO) um­zusetzen. China habe außerdem eingewilligt, »Arbeiter- und Umweltschutzstandards nicht weiter zu senken, um Investitionen anzuziehen«. Fraglich ist jedoch, was das konkret für eine Wirkung haben wird.

In der Presseerklärung der EU-Kommission heißt es außerdem, China habe »eingewilligt, eine fortgesetzte und ausdauernde Anstrengung zu ­unternehmen, die ILO-Konventionen zum Verbot der Zwangsarbeit zu rati­fizieren«. Die Sprache der EU ist hier vorsichtig: Eine Ratifizierung sei ein »souveräner Akt« jedes Landes, deshalb »können wir keine Frist dafür setzen«. Aber eine »Anstrengung« Chinas in diese Richtung sei für die erfolgreiche Annahme des Investitionsabkommens »zentral«. Die Kritik an westlichen Konzernen wie Volkswagen wird lauter, weil sie in der Provinz Xinjiang pro­duzieren, wo es Zwangsarbeit gibt.

Bei ILO-Konventionen für Gewerkschaftsfreiheit sei China, anders als etwa Vietnam, hart geblieben, zitiert die South China Morning Post einen anonymen EU-Beamten. Dass die chinesische Regierung freie Gewerkschaften zulasse, sei auch kaum zu erwarten gewesen, zitiert die Hongkonger Tageszeitung zudem einen Vertreter des »China Labour Bulletin«, einer in Hongkong ansässigen NGO, die sich für Arbeiterrechte in China einsetzt.

»Raum für Aktivismus von Arbeitern, der lange durchaus größer wurde, gibt es seit der Repressionswelle gegen die Zivilgesellschaft von 2018 fast gar nicht mehr. Zwangsarbeit werde offenbar häufiger, besonders als Teil des Zwangsassimilationsprogramms in Xinjiang«, sagte Jake Werner der ­Jungle World. Berichten zufolge werden in der nordwestchinesischen Provinz Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren in Lagern zu Arbeit gezwungen und Umerziehungsprogrammen unterzogen.

Dass China überhaupt zulasse, Arbeiterrechte zum Gegenstand eines Abkommens zu machen, sei indes immerhin ein guter Präzedenzfall. Die in Aussicht gestellte Ratifizierung der Zwangsarbeitskonvention könne die Grundlage für weiteren Aktivismus bilden. »Dass sich aber in China und der Welt insgesamt die Arbeiterrechte im Niedergang befinden, liegt letztlich nicht an ausstehenden ILO-Konventionen, sondern an der sich verschärfenden Konkurrenz in der Weltwirtschaft«, meint Werner. Um angesichts von Großmachtkonkurrenz und um sich greifendem Nationalismus irgendetwas für eine progressivere Wirtschaftsordnung zu erreichen, brauche es »starken Druck von unten auf Eliten in Europa und China, so realistisch muss man sein«.