Der AfD droht die Überwachung durch den Verfassungsschutz

Ein Machtkampf mit Verlierern

Der Machtkampf in der AfD geht unvermindert weiter. Zudem droht der Partei die Überwachung durch den Bundesverfassungsschutz.

Die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen hatten Deutschland im Dezember fest im Griff. Doch nicht alle zeigten sich einsichtig: Mitte des Monats trafen sich fast 400 AfD-Mitglieder zu einem Landesparteitag in Magdeburg und wählten Oliver Kirchner zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, die im Juni stattfinden soll. Kirchner wird der offiziell aufgelösten völkischen Parteigruppe »Flügel« zugerechnet. Zu seinen erklärten poli­tischen Zielen gehört es, alle ausreisepflichtigen Ausländer abzuschieben. Der Politiker veröffentlichte Reden in rechtsextremen Facebook-Gruppen, in denen auch rassistische und neonazistische Propaganda geteilt wurde. Er stritt auch gar nicht ab, diese Beiträge gepostet zu haben. Solche Gruppen böten »eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit objektiv über die Inhalte der AfD zu informieren«.

Kirchner hatte es auf dem Parteitag nicht schwer, es gab keinen Gegenkandidaten. Dennoch ist seine Wahl zum Spitzenkandidaten ein Etappensieg für die völkische Strömung der AfD im Machtkampf mit den Verfechtern des »freien Markts« um den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen. Dieser Machtkampf wird seit Jahren erbittert geführt und hat schon manches Mitglied einen Posten gekostet. Roland Hartwig beispielsweise war als Leiter der parteiinternen »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz« seit 2018 dafür zuständig, die drohende Überwachung der AfD durch den Inlandsgeheimdienst abzuwenden. Hartwig galt als Vertreter des marktradikalen Flügels, doch als er sich gegen einen Ausschluss des wegen seines allzu rechtsextremen Werdegangs untragbar gewordenen Andreas Kalbitz aus der Partei aussprach, schlug er sich auf die Seite der Völkischen. Danach musste er auf Meuthens Veranlassung hin im Dezember seinen Posten aufgeben.

Der Vorsitzende der AfD-Bundes­tags­fraktion, Alexander Gauland, reagierte gelassen auf mögliche geheimdienstliche Schritte.

Tino Chrupalla, Meuthens Amts­kollege im Bundesvorsitz, stimmte gegen Hartwigs Absetzung. Meuthens Anhänger werfen Hartwig vor, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz indirekt begünstigt zu haben. Der nordrhein-westfälische AfD-Landtagsabgeordnete Christian Loose schrieb beispielsweise auf Twitter: »Durch Ihre ständige Verteidigung von extremen Personen in der AfD haben Sie die AfD in die Hände des Verfassungsschutzes getrieben.«

Eine solche Beobachtung auf Bundesebene könnte der AfD einige Proble­me bescheren. Sie dürfte den Druck auf die Beamten in der Partei erhöhen. Zudem würde die gesamte Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht, unter anderem könnten also V-Leute angeworben werden. Die Landesverbände in Brandenburg und Thüringen gelten bereits als rechtsextreme Verdachtsfälle und werden auch unter Einsatz geheimdienstlicher Mittel beobachtet.

Entscheidend für einen Beschluss, die Bundespartei beobachten zu lassen, ist allerdings, wie hoch der Einfluss von Neonazis und Faschisten eingeschätzt wird. Die Mehrheitsverhältnisse in der Partei sind schwer zu beurteilen, unter anderem weil führende Mitglieder wie Hartwig oder die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alice Weidel, die inhaltlich eigentlich Meuthen nahestehen, sich im Machtkampf auch mit den Völkischen gemein machen.

Beim ebenfalls als Präsenzveranstaltung abgehaltenen Bundesparteitag der AfD im nordrhein-westfälischen Kalkar Ende November stimmten 47 Prozent der Anwesenden dafür, sich mit einem gegen Meuthen gerichteten Missbilligungsantrag zu befassen, den Dubravko Mandic aus dem Freiburger Kreisverband eingebracht hatte. Meuthen kam also nur knapp davon. Ähnliche Ergebnisse, an denen sich die Machtverhältnisse in der Partei zeigen, waren bei etlichen Abstimmungen zu beobachten.

Die Spaltungstendenzen in der AfD nehmen seit einiger Zeit eher zu als ab. Unter anderem wegen der katastrophalen Pandemiepolitik der AfD sanken die bundesweiten Umfragewerte vorübergehend auf sieben Prozent. Sinkende Umfragewerte führen in der Partei zu hart geführten Verteilungskämpfen: Mit Posten im Bundestag oder in Landtagen gehen Einfluss und Einkommen einher, und so wenden sich viele Funktionäre derjenigen Gruppierung zu, von der sie sich die besten Chancen auf solche Posten versprechen. Dies führt dann zu einer Unterstützung wie der von Hartwig für ­Kalbitz.

Alexander Gauland, neben Weidel Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion, meinte im Dezember, die AfD ­werde »einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz sowieso nicht ent­gehen«. »Es gibt leider einige Leute bei uns, die zu stark in Richtung des Verfassungsschutzes denken; so kann man aber keine echte Opposition sein«, fügte er hinzu. »Wir sind eine Bewegungspartei, die auch Kontakt zu bestimmten Protestgruppen pflegen sollte. Das gilt für Querdenken, aber auch für Pegida in Dresden oder für den Verein Zukunft Heimat aus Cottbus.«

Möglicherweise noch im Januar will der Bundesverfassungsschutz bekannt geben, ob die AfD als ganze Partei ­beobachtet wird. Der Inlandsgeheimdienst erachtete in Schätzungen vom vergangenen Frühjahr lediglich ungefähr 20 Prozent der AfD-Mitglieder als völkisch orientiert. Dem Spiegel zufolge teilte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, den Innenministern von Bund und Ländern auf der jüngsten Innenministerkonferenz im Dezember mit, der Einfluss der Völkischen in der Partei sei gewachsen.

Sollte es zur Beobachtung der AfD kommen, ließe sich bald sehen, ob das Auswirkungen auf Wahlergebnisse hat. Im März stehen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an.