In Hongkong wurden mehr als 50 Oppositionelle verhaftet

Sicher gegen Demokraten

Hunderttausende beteiligten sich vergangenen Sommer an den Vorwahlen des demokratischen Lagers in Hongkong, trotz des neuen Sicherheitsgesetzes. Nun ist die Regierung mit einer Vielzahl von Verhaftungen gegen die Demokratiebewegung vorgegangen.

In den frühen Morgenstunden des 6. Januar schickte die Hongkonger Polizei mehr als 1 000 Einsatzkräfte los, um Verhaftungen in seit Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes im Juli vergangenen Jahres präzedenzlosen Ausmaß vorzunehmen. 72 Wohn- und Geschäfts­räume wurden durchsucht und 53 Personen aus dem oppositionellen demokratischen Lager festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, vergangenen Sommer eine Vorwahl für die später wegen der Pandemie abgesagten Parlamentswahlen abgehalten und damit die nationale Sicherheit gefährdet zu haben.

Die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam hatte vergangenes Jahr offen davor gewarnt, dass die Opposition sich durch die Organisation einer Vorwahl strafbar machen könnte. »Wenn es das ultimative Ziel dieser sogenannten Vorwahl ist, ein Ergebnis von mehr als 35 Sitzen zu erreichen, um so alle politischen Vorhaben der Hongkonger Regierung zu behindern und sich diesen zu widersetzen, dann fällt das womöglich in die Kategorie Untergrabung der Staatsgewalt, eine der vier Straftatbestände des neuen Staatssicherheitsgesetzes«, so Lam bei einer Pressekonferenz Mitte Juli. Mit anderen Worten: Allein das erklärte Ziel, eine Mehrheit im Parlament zu erreichen, kann Oppositionellen als Straftat ausgelegt werden.

Der ehemalige Hongkonger Abgeordnete Nathan Law bezeichnete die Verhaftungen in der politischen Situation in der ehemaligen britischen Kronkolonie als »höchst alarmierend«.

Unter den Festgenommenen waren sowohl Veteranen der Demokratiebewegung, beispielsweise die ehemaligen Abgeordneten Claudia Mo und Leung »Long Hair« Kwok-hung sowie Lester Shum, 2014/15 einer der Anführer der Studierendenbewegung, als auch Angehörige einer neuen Generation, von denen sich viele zum ersten Mal zur Wahl gestellt hatten. Auch Joshua Wong, der bereits eine 13monatige Haftstrafe für die Organisation einer nicht genehmigten Demonstration verbüßt, wurde erneut zum Ziel der Sicherheitsbehörden. Seine Wohnung wurde durchsucht, ihm droht eine weitere Anklage.

Bei einer von Bürgerrechtsorganisationen, unter der Federführung der Taiwan Citizen Front einberufenen Presse­konferenz am Freitag voriger Woche im taiwanischen Parlament in Taipeh bezeichnete der demokratische ehemalige Hongkonger Abgeordnete Nathan Law die Verhaftungen als hoch alamierend für die politische Situation in der ehemaligen britischen Kronkolonie. Law lebt mittlerweile im Exil in London und war per Videolink zugeschaltet. »In Hongkong gibt es heute keinerlei Raum mehr für politische Meinungsäußerungen und Opposition.« Die Zahl der Festnahmen hätten ihn und viele seiner Mitstreiter dennoch überrascht: »Unter den Festgenommenen waren nicht nur die etwas radikaleren Vertreter unserer Bewegung, sondern auch moderate. Das bereitet uns große Sorge.«

52 der 53 Festgenommenen wurden am Freitag vorläufig auf Kaution und unter der Auflage freigelassen, Hongkong bis auf weiteres nicht zu verlassen. Bisher wurden noch keine Anklagen erhoben. Der stellvertretende Vorsitzende der Demokratischen Partei, Lam Cheuk-ting, bezeichnete nach seiner Freilassung die Festnahmen als ­einen Akt politischer Verfolgung: »Ob in Hongkong heute jemand angeklagt wird oder nicht, ist eine politische Entscheidung und hängt nicht etwa von Beweisen ab. Ich bin sicher, dass man einige von uns früher oder später anklagen wird. Unabhängig davon, ob es ausreichende Beweise gibt. Das wahre Motiv ist sehr simpel. Das Regime versucht die Hongkonger zum Schweigen zu bringen. Sie wollen eine abschreckende Wirkung erzeugen. Sie wollen, dass wir uns ihnen beugen.«

In den vergangenen Monaten waren die Proteste für mehr Demokratie wegen der Versammlungsbeschränkungen während der Covid-19-Pandemie und der ungleich schärferen Bestimmungen nach Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes fast zum Erliegen gekommen. Derweil wurde zwölf Hongkongern, die im August bei dem Versuch, per Schnellboot nach Taiwan zu fliehen, von der chinesischen Küstenwache aufgegriffen worden waren (Jungle World 41/2020), in China der Prozess gemacht. Nach einem eintägigen Verfahren verurteilte der Volksgerichtshof in Shen­zhen am 30. Dezember acht der Angeklagten wegen illegalen Grenzübertritts zu sieben Monaten Haft. Die zwei mutmaßlichen Organisatoren des Fluchtversuchs wurden zu zwei beziehungsweise drei Jahren Haft ver­urteilt.

Den beiden chinesischen Menschenrechtsanwälten Lu Siwei und Ren Quanniu, die Angehörige um Hilfe gebeten hatten, droht derweil die Entziehung ihrer Anwaltslizenz. Beiden Anwälten war immer wieder der Zugang zu ihren Mandanten verweigert worden, diese mussten sich mit von den Behörden gestellten Anwälten begnügen. Ausländischen Diplomaten, die den Prozess in Shenzhen beobachten wollten, wurde der Zugang zum Gerichtssaal verwehrt. Das deutsche Konsulat hatte gleich gar keine Be­obachter entsandt.

Auf die Verhaftungswelle der vergangenen Woche reagierte der deutsche Außenminister Heiko Maas mit einer Aufforderung an die chinesischen ­Behörden, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. In einer Pressemitteilung des Auswärtigen Amts heißt es: »China entfernt sich damit weiter von den Zusagen, die es den Hongkongern und der internationalen Gemeinschaft gegeben hat.« Eine Woche zuvor, am 30. Dezember, hatte die Bundesregierung noch das umstrittene Investitionsabkommen der EU und Chinas durchgedrückt – auch gegen die Kritik anderer Mitgliedsstaaten und obwohl bekannt ist, dass die Volksrepublik China sich nicht an internati­onale Verträge hält, beispielsweise die Chinesisch-britische gemeinsame ­Erklärung zu Hongkong von 1984.

Law hofft, dass sich mehr Menschen in der EU gegen das Investitionsabkommen aussprechen und es im Europäischen Parlament noch aufgehalten werden kann. »Demokratien wie die EU und die USA sollten zusammenstehen, gemeinsam für Gerechtigkeit eintreten und nicht zulassen, dass solche Menschenrechtsverletzungen wie in Xinjiang, Hongkong und anderswo in China weitergehen können«, sagte Law bei der Pressekonferenz in Taipeh.