Rezension des Buches »The War of Return« von Adi Schwartz und Einat Wilf

Der Treibstoff der Träume

Westliche Nachsicht, arabisches Kalkül: Einat Wilf und Adi Schwartz erklären in ihrem Buch »The War of Return«, warum die palästinensische Forderung nach »Rückkehr« eine mögliche Zweistaatenlösung immer wieder sabotiert hat. Und sie machen Vorschläge, wie der Friedensprozess vorankommen könnte.

Sämtliche Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästi­nensern seit dem Abschluss der Oslo-Verträge 1995 sind gescheitert. Angesichts des bereits Erreichten erscheint das von Runde zu Runde absurder. Die Konfliktparteien sind sich über den Verlauf der Grenze einig (lediglich zwei Prozent der Landfläche sind strittig), der Status Ostjerusalems ist geklärt, nur um den Tempelberg wird noch gerungen. Die Probleme sollten doch zu lösen sein, denkt man. Jedenfalls solange man annimmt, das Ziel der Verhandlungen sei die Gründung eines palästinensischen Staats.

Die israelische Politologin Einat Wilf und der israelische Journalist Adi Schwartz, die beide der liberalen Linken in Israel zuzurechnen sind, haben mit Palästinensern geredet und Hunderte von Dokumenten gesichtet. Sie stellen fest: Es geht nicht um Grenzziehungen, Siedlungen oder heilige Orte. Jede Verhandlung scheitert letztlich am »Rückkehrrecht der Flüchtlinge«. In ihrem in den USA erschienenen Buch »The War of Return« (Der Krieg der Rückkehr) erläutern sie, was hinter der Forderung steckt und wie dieses Hindernis zu überwinden sein könnte. Sie zeichnen auch nach, »wie westliche Nachsicht mit dem palästinensischen Traum den Weg zum Frieden versperrt« – so der Untertitel des Buchs.

Israel hat neun Millionen Staatsbürger, davon zwei Millionen nichtjüdische Araber. Mit der Rückkehr der Flüchtlinge und ihrer Nachkommen würden die Juden zur Minderheit in Israel. Keine Regierung könnte dem zustimmen.

Die palästinensische Führung wie auch arabische Regierungen fordern bis heute die Rückkehr von 5,5 Millionen registrierten beziehungsweise sieben Millionen geschätzten Nachkommen der im Krieg 1948 geflohenen Palästinenser. Sie sollen das Recht haben, in »ihre Häuser«, also nach Israel, zurückzukehren. Diese »Flüchtlinge« in den noch zu gründenden Staat Palästina aufzunehmen, lehnen sie ab.

Die Forderung ist dreist, wenn man sie ernst nimmt. Israel hat neun Mil­lionen Staatsbürger, davon zwei Millionen nichtjüdische Araber. Mit der Rückkehr der Flüchtlinge und ihrer Nachkommen würden die Juden zur Minderheit in Israel. Keine Regierung könnte dem zustimmen.

Die Forderung entbehrt auch jeder rechtlichen Grundlage. Die Genfer Flüchtlingskonvention kennt nur den Schutz vor erzwungener Rückkehr. Wilf und Schwartz nennen etliche Fälle in anderen Teilen der Welt, in denen Flüchtlinge nicht zurückkehren konnten, obwohl Kampfhandlungen beigelegt waren, wie etwa nach Kriegen zwischen der Türkei und Griechenland oder zwischen Indien und Pakistan. Bei Friedensverhandlungen spielte das eine untergeordnete Rolle.

Darum wohl argumentieren west­liche Diplomaten und Politiker, »dass die Palästinenser irgendwie wissen, dass sie nicht zurückkehren werden, und die Forderung nach Rückkehr nur als Unterpfand benutzen«, wie Wilf und Schwartz schreiben. Den Vermittlern werfen die Autoren »Westsplaining« vor. Darunter verstehen sie eine Politik, »die Palästinenser nicht als bewusst Handelnde« ansieht, »die genau wissen, wofür sie kämpfen«, sondern als eine Bevölkerungsgruppe, die der westlichen Fürsorge bedarf. Sie stellen klar: »Die palästinensische Rückkehr ist kein Unterpfand im Dienst eines höheren Ziels, der Unabhängigkeit und Staatsgründung. Es ist das höhere Ziel selbst.« Dieses Ziel sei die Auflösung Israels als jüdischer Staat, wie die Autoren anhand etlicher Äußerungen palästinensischer Führer zeigen können.

Angenehm wertfrei und unvoreingenommen beschreiben die ehemalige Avoda-Abgeordnete und der langjährige Haaretz-Reporter die arabischen und westlichen Interessen und erläutern, welchem Kalkül ihr Handeln folgt. Auch das Schicksal der geflohenen Palästinenser, deren Wohlergehen Palästinenserführer und arabische Regierungen dem höheren Ziel der Zerstörung Israels opferten, kommt nicht zu kurz. Seit 70 Jahren leben sie in sogenannten Lagern, die inzwischen zu Stadtteilen geworden sind, aber gleichwohl Ghettos ähneln. Die Bewohner bleiben staatenlos – mit Ausnahme der in Jorda­nien lebenden Palästinenser. Sogar in der Westbank und in Gaza sorgt die politische Führung dafür, dass die Enkel der 1948 aus israelischem ­Gebiet geflohenen Menschen weiterhin in Lagern bleiben. Es ist gerade die neutrale, faktenreiche Erzählweise der Autoren, die die erschütternde Absurdität der Forderung nach »Rückkehr« vor Augen führt – und die Verlogenheit aufzeigt, mit der sie von westlichen Friedensaktivisten humanitär begründet wird.

Das Buch legt nicht nur Fakten dar, sondern erzählt überdies eindrück­liche Geschichten, wie die des palästinensischen Nationalisten Musa ­Alami, der mitten in der Wüste eine Farm aufbaute, um Flüchtlingen ­Arbeit zu geben. Dafür wurde er des Verrats an der palästinensischen ­Sache beschuldigt. Die Flüchtlinge sollten arm bleiben, um Mitleid zu ­erregen. 1955 stürmte ein Mob die Farm und machte sie dem Erdboden gleich. Wilf und Schwartz zitieren aus Alamis Biographie.

Auf Wikipedia wird die Geschichte anders erzählt: Die Israelis hätten die Farm bombardiert. Das hatte Alami gut zehn Jahre nach Erscheinen seiner Biographie einem Reporter erzählt. Wie kommen diese unterschiedlichen Darstellungen zustande? Wahrscheinlich wollte Alami nicht erneut als Verräter dastehen, mutmaßt Adi Schwartz auf Nachfrage der Jungle World. Das ist plausibel. Wer Israel abgeneigt ist, wird trotzdem viele Passagen in dem Buch finden, deren Darstellung er für anzweifelbar hält.

Unbezweifelbar ist indes die dort beschriebene desaströse Geschichte und Wirkung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Dieses wurde eigentlich gegründet, um die Integration in den Aufnahmeländern voranzutreiben, doch alle darauf zielenden Projekte scheiterten bald. Zwar drangen die westlichen Geldgeber deshalb zunächst auf Reformen und sogar Auflösung der Organisation. Doch im Kalten Krieg wollten sich die USA und Westeuropa nicht mit den arabischen Staaten anlegen.

Aus der UNRWA wurde der größte Arbeitgeber der Flüchtlinge. Ihre Aufgabe ist seit langem allein die Versorgung der Menschen und die Aufrechterhaltung des Lagerlebens samt der Schulen. Das Hilfswerk der UN schuf somit Parallelgesellschaften, in denen der Hass auf Israel die Bewohner daran hindert, eine gesellschaftliche Perspektive zu entwickeln.

Wilf und Schwartz geben eine klare Antwort auf die Frage, wie der Israel-Palästina-Konflikt gelöst werden könnte. Voraussetzung sei, dass das UNRWA abgeschafft werde. Was aber soll mit den 5,5 Millionen dort registrierten Menschen geschehen? Es sind weit weniger, argumentieren sie. Denn die UNRWA registriert Flüchtlinge auf Lebenszeit. Darunter sind etliche, die in Europa und anderswo ein neues Zuhause gefunden haben. Ein Zensus aus dem Jahr 2017 im Libanon gibt ihnen recht: Nur ein Drittel der von der UNRWA registrierten palästinensischen Flüchtlinge sind noch dort.

Die Palästinenser in Jordanien sind längst Jordanier geworden. Die UNRWA übernimmt dort jedoch die Sozialleistungen für diesen Teil der Bevölkerung. Damit diese Geldquelle dem Königreich nicht abhanden kommt, schlagen Wilf und Schwartz vor, das Budget der UNRWA direkt an den jordanischen Staat zu überweisen. Gleiches solle auch in der Westbank und Gaza geschehen. Die verbliebenen Flüchtlinge, hauptsächlich im Libanon und Syrien, sollten in die Obhut des Flüchtlingshilfswerks UNHCR überführt werden. Für diese solle das UNHCR, wie es ­bereits in etlichen Fällen anderswo gelungen ist, Einzellösungen finden – etwa die Verteilung nach Europa und Nordamerika.

Man kann die Palästinenser nicht am Träumen hindern, aber »man kann diesem Traum seinen Treibstoff nehmen«, resümieren die Autoren. Die Argumentation des Buchs ist bestechend einfach und überzeugend. Wer sich länger mit dem Nahen Osten beschäftigt, hat vieles davon schon mal gelesen. Aber Wilf und Schwartz schaffen es, aus all dem ein klares Bild zu zeichnen und ebenso klare Lösungen zu formulieren.

Adi Schwartz und Einat Wilf: A War of ­Return. How Western Indulgence of the Palestinian Dream Has Obstructed the Path to Peace. Macmillan, New York 2020, 283 Seiten