Small Talk mit Robert Friedrich von der Beratungsstelle Ezra über den Angriff vor der Erfurter Staatskanzlei

»Die Einschätzung entpolitisiert die Tat«

Im Juli vergangenen Jahres griffen 15 Tatverdächtige eine Gruppe vorwiegend junger Menschen vor der Erfurter Staatskanzlei an und verletzten einige von ihnen schwer. Nach der Tat stellte sich heraus, dass sich stadtbekannte Neonazis unter den Angreifern befunden hatten. Die Erfurter Staatsanwaltschaft schloss jedoch vergangene Woche ein rechtsextremes Motiv aus. Die »Jungle World« hat mit Robert Friedrich von Ezra gesprochen, der Thüringer Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt.
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Sie kritisieren in Ihrer Pressemitteilung die Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Warum?

Wir finden es sehr erstaunlich, dass es der Staatsanwaltschaft so wichtig ist, mit dieser Information an die Öffentlichkeit zu gehen, denn sie gibt keine Hinweise auf ein anderes Tatmotiv. Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden haben grundsätzlich ähnliche Kriterien wie wir, aber es gibt natürlich auch Unterschiede. Aber solange es kein anderes Tatmotiv gibt, und das scheint es nicht zu geben, handelt es sich aus unserer Sicht nach wie vor um ein rechtes Motiv. Wir wünschen uns, dass das in den Ermittlungen zumindest nicht völlig ausgeschlossen wird.

Welches Signal sendet diese Einschätzung an die Betroffenen und die Angreifer?

Für die Betroffenen ist das eine absolute Katastrophe. Die Einschätzung entpolitisiert die Tat. Die Täter können hingegen davon ausgehen, dass sie im Verfahren möglicherweise weniger zu befürchten haben.

Anhand welcher Kriterien machen Sie fest, dass dem Angriff ein rechtsextremes Motiv zugrunde lag?

Ein Hinweis für uns ist der gesamte Hergang der Tat. Es kam zu starker und hemmungsloser Gewaltanwendung, die sich sehr unvermittelt gegen die Betroffenen richtete. Das erleben wir häufig, wenn es um die Gewalttaten organisierter Neonazis geht. Von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die Recherchearbeit geleistet haben, wissen wir, dass einige Täter seit Jahren in der rechten Szene aktiv sind. Bei rechten Tätern ist die menschenfeindliche Ideologie erfahrungsgemäß handlungsleitend, besonders wenn es um die Auswahl der Opfer von Gewalt geht. Für uns ist weiterhin die Beurteilung der Betroffenen wichtig. Uns gegenüber haben viele von ihnen die Einschätzung geteilt, dass die Täter aus einem rechten Motiv gehandelt haben. Diese Indizien ­legen aus unserer Sicht die Annahme eines rechten Motivs nahe.

Sehen Sie ein strukturelles Problem bei der Verfolgung mutmaßlich rechtsextremer Taten?

Wir beobachten in Thüringen immer wieder die Verschleppung von Verfahren gegen rechte Täter. Diese ziehen sich oftmals über mehrere Jahre und bleiben dann ohne Ergebnis. Wir erleben immer wieder, dass die Richter die Motivation der Täter nicht so ernst nehmen, wie sie es eigentlich sollten. Das beobachten wir nicht nur in Thüringen. Man kann sich bei vielen Verfahren nicht darauf verlassen, dass Staatsanwaltschaft und Gericht ein Interesse daran haben, die Motivation der Täter herauszuarbeiten. Gerade in der aktuellen gesellschaftlichen Situation ist es fatal, die Motivation rechter Täter nicht ernst zu nehmen.

Warum kritisieren Sie in ihrer Mitteilung die Berichterstattung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR)?

Als die Einschätzung der Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit kam, hat sich auch der MDR dazu geäußert. In Bezug auf den Vorfall wurde wieder einmal von einer »Massenschlägerei« gesprochen. Schon unmittelbar nach der Tat kritisierten die Betroffenen diese Wortwahl, denn es handelte sich ganz klar um einen Überfall. Der MDR betreibt hier eine Täter-Opfer-Umkehr.