Arbeitswahn und Judenhass

Drei Antisemiten, in deren Pamphleten »deutsche Arbeit« eine zentrale Rolle spielt: der Gründer der Antisemitenliga, Wilhelm Marr, der Historiker Heinrich von Treitschke und der Vorsitzende der Christlich-Sozialen Partei, Adolf Stoecker (v. l. n. r.)
Als das deutsche Kaiserreich gegründet wurde, hatten zwei führende Sozialdemokraten nichts zu lachen. Am 19. Januar 1871 veröffentlichte die britische Tageszeitung The Daily News einen Brief von Karl Marx, in dem dieser anprangert, die Reichstagsabgeordneten August Bebel und Wilhelm Liebknecht seien »unter dem Vorwand einer Anklage wegen Hochverrats« verhaftet worden, weil sie es im Reichstag »gewagt hatten, (…) den Versuch der Verwandlung Deutschlands in eine einzige preußische Kaserne zu verurteilen«. Zu dieser Zeit saßen die beiden in Untersuchungshaft, im Vorjahr hatten sie gegen Kredite für den Krieg gegen Frankreich gestimmt.
Die Verwandlung Deutschlands in eine einzige preußische Kaserne war am Vortag von Marx’ Brief vollendet worden. Denn da war der preußische König Wilhelm I. in Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert worden. Damit war das Deutsche Reich gegründet, die sogenannte kleindeutsche Lösung, ein Deutschland unter Ausschluss Österreichs und damit unter preußischer Hegemonie wurde politische Realität. Bereits im November 1870 waren Baden, Württemberg, Bayern und Hessen-Darmstadt dem von Preußen dominierten, bislang nur bis zum Main reichenden Norddeutschen Bund beigetreten. Ein unter preußischer Führung geeintes Deutschland betrat als »verspätete Nation«, wie der Philosoph und Soziologe Helmuth Plessner es später nannte, die Bühne der Welt.
Die Nationalisierung von Arbeit meinte nach der im Kaiserreich vorherrschenden Ideologie, dass Arbeit in den Dienst der 1871 endlich geeinten deutschen Nation gestellt werden sollte.
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