Die Umstellung des Lehrbetriebs auf Online-Formate setzt Beschäftigte unter Druck

Frust im Mittelbau

Der universitäre Lehrbetrieb wurde in der Coronakrise in kürzester Zeit auf Online-Formate umgestellt, oft zu Lasten der Beschäftigten.

Wer an einer deutschen Hochschule lehrt, hat es derzeit nicht leicht: Die ­Digitalisierung von Forschung und Lehre in der Covid-19-Pandemie geht vielfach zu Lasten der wissenschaftlich Beschäftigten. Die ihnen abverlangte ­Umstellung auf Online-Formate erfolgte in kürzester Zeit – weitgehend ohne ­zusätzliche technische und personelle Ressourcen sowie kohärente Konzepte und Schulungen. Lizenzen für Software zur Videokommunikation hatten die meisten Universitäten hingegen schnell eingekauft.

Wie eine im August vorigen Jahres veröffentlichte Studie der Universität Hamburg zeigt, kann die wegen der Pandemie digitalisierte Hochschul­lehre allenfalls als »emergency remote teaching« (Notfalldistanzlehre) gelten. Als lediglich notdürftiger Ersatz für die Präsenzlehre, so die Autorinnen der Studie, müsse Notfalldistanzlehre von systematisch geplanter, didaktisch strukturierter Online-Lehre unterschieden werden.

Dass die vergangenen beiden Semester dennoch überhaupt stattfinden konnten, war nur möglich, weil Beschäftigte unbezahlte Mehrarbeit leisteten und ihre private digitale Infrastruktur nutzten. Wie in anderen Bereichen auch trifft die Coronakrise besonders diejenigen hart, die prekär angestellt sind, Sorgeaufgaben bewältigen müssen oder aus anderen Gründen benachteiligt sind.

Die Hochschulleitungen betrachten die seit fast einem Jahr am heimischen Schreibtisch der Beschäftigten stattfindende Lehre in der Regel als mobile Arbeit, nicht als Telearbeit. Nur in seltenen Fällen wurden andere Dienstvereinbarungen mit dem Personalrat geschlossen. Anders als im Fall von Tele­arbeit besteht bei mobiler Arbeit kein Rechtsanspruch auf die Erstattung von Büroausstattung. Laptop, Headset und Webcam wurden von den Universitäten zwar häufig bezahlt, konnten aber oft erst einige Wochen oder Monate nach Ausbruch der Pandemie zur Verfügung gestellt werden.

Mancherorts konnten Beschäftigte immerhin mit dem Möbeltransporter vor der Universität vorfahren und Tische, Stühle sowie andere Gegenstände einladen und mit nach Hause nehmen. Prekär Beschäftigte, etwa Lehrbeauftragte ohne festen Arbeitsplatz und sozialversichertes Arbeitsverhältnis, stellte die Pandemie allerdings vor noch schwer wiegende Probleme.

Dass die vergangenen beiden Semester überhaupt stattfinden konnten, war nur möglich, weil Beschäftigte unbezahlte Mehrarbeit leisteten.

Zur wissenschaftlichen Qualifikation befristete Verträge können derzeit zwar auf Grundlage der jüngsten Änderung des Wissenschaftszeitvertrags­gesetzes (WissZeitVG) und einer Verordnung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) um ein Jahr verlängert werden, wenn sie zwischen dem 1. März und dem 30. September vergangenen Jahres bestanden. Wurden oder werden sie zwischen dem 1. Oktober desselben und dem 31. März dieses Jahres geschlossen, ist gemäß der Verordnung eine Verlängerung um sechs Monate möglich. Rechtlich bindend ist beides für die Hochschulen aber nicht.

Der Vorteil des deutschen Wissenschaftsstandortes ist es ja gerade, dass Hochschulen ihr Personal überwiegend befristet beschäftigen können. Im Dezember verlautbarte das BMBF denn auch auf Twitter, dass das WissZeitVG „Hochschulen und Forschungseinrichtungen bestimmte Freiräume in Bezug auf Befristungsmöglichkeiten“ biete. Die Kritik, die diese Äußerung auslöste, lässt sich unter dem Hashtag #ACertainDegreeOfFlexibility nachlesen.

Inzwischen fordern Hochschulleitungen und politisch Verantwortliche mehr Mittel zur Effizienzsteigerung der digitalen Lehre – allerdings dürfte das die Situation des zu rund 90 Prozent befristet, vielfach nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigten wissenschaftlichen Personals nicht unbedingt verbessern.

Kurz nach Beginn der Pandemie meldeten sich US-amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit düsteren Szenarien für die Zeit nach der Coronakrise zu Wort. Scott Galloway, Professor für Marketing an der Stern School of Business der New York University, sagte der Zeitschrift New York, die beträchtlichen Verluste an Einnahmen aus Studiengebühren würden für private Universitäten die Notwendigkeit erhöhen, Partnerschaften mit großen Tech-Unternehmen einzugehen. Der Marktlogik entsprechend werde es unabdingbar, sowohl Online- als auch Präsenzabschlüsse anzubieten. Zwar liege darin die Möglichkeit von ortsun­abhängiger Partizipation und guter Bildung für viele, zugleich drohe aber eine Verschärfung der schon bestehenden Bildungsungleichheit, wenn die digitale Massenuniversität zur Regel und ein Studium am Campus zum ­Luxusgut wird. Die konsequente Umstellung auf Online-Lehre antizipiere darüber hinaus den flächendeckenden Einsatz von Lernplattformen und auf Algorithmen basierter Leistungserfassung.

Wie der Politikwissenschaftler Robert Ovetz in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Critical Sociology betont, gehe mit derartigen Formen der Automatisierung nicht nur die Entwertung von Lehrkompetenz einher, sondern auch die Tendenz, Lehrveranstaltungen als externe Dienstleistungen outzusourcen. Im Extremfall könnten Studierende ihre Seminare und massive open online courses – Online-Kurse ohne Zugangsbeschränkungen und mit in der Regel sehr hohen Teilnehmendenzahlen – wie ein Uber-Taxi per Mausklick über Online-Plattformen bei »Content-Spezialistinnen und -Spezialisten« ­bestellen. Qualitätskontrollen und Bewertungen der Lehre könnten technisch leicht über Lernplattformen erfolgen. Die von der Soziologin Rebecca Barrett-Fox auf ihrer Website formulierte Mahnung: »Bitte geben Sie sich Mühe, Ihre Online-Lehre schlecht zu machen«, dürfen wissenschaftlich ­Beschäftige also durchaus als vernünftigen Akt der Sabotage beherzigen, wenn sie nicht der Wegrationalisierung des eigenen Arbeitsplatzes zuarbeiten möchten.

Nun sind die Hochschulen in Deutschland anders als in den USA nicht überwiegend privat und über ­Studiengebühren finanziert. Hierzulande halten viele Professorinnen und Professoren der nach neoliberalen Kriterien ausgerichteten und zugleich immer noch weitgehend feudal strukturierten Ordinarienuniversität vielfach unbeirrt an Humboldt’schen Bildungsidealen fest. In einem im Juni vergangenen Jahres veröffentlichten offenen Brief »Zur Verteidigung der Präsenzlehre« erinnern mehrheitlich Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler daran, dass Universitäten Stätten eines »gemeinsam belebten sozialen Raums« über den Hörsaal hinaus sind. Sie schreiben, dass die »kritische und selbstständige Aneignung« von Wissen in einer direkten Gesprächs­situation nur bedingt virtuell nachgestellt werden könne. Allerdings ist fraglich, ob der für Studierende allgegenwärtige Leistungs- und Wettbewerbsdruck, das überkommene Hie­rarchiegefüge und die nach wie vor in der Präsenzlehre üblichen Formate des Frontalunterrichts überhaupt diesem Ideal entsprechen.

Der Präsenzvorlesung werden wohl die wenigsten nachtrauern. Ein positiver Effekt der Debatten über die von den Verteidigerinnen und Verteidigern der Präsenzlehre kritisierte »Zwangsdigitalisierung« von Forschung und Lehre ist es, dass sie dazu beitragen, die Methoden und medialen Bedingungen von Hochschullehre grundsätzlich zu reflektieren. Als Tendenz zeichnet sich ab, künftig Elemente aus Online- und Präsenzlehre zu kombinieren.
Um den digitalen Umbau zu beschleunigen, veröffentlichte die Fernuniver­sität Hagen im Oktober vergangenen Jahres das »Hagener Manifest zu New Learning«. Neben zahlreichen Mitgliedern der Fernuniversität Hagen gehört auch Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, zu den Erstunterzeichnenden. Dieser bringt mit dem auf der Website der Fernuniversität veröffentlichten Statement „,New Work’ erfordert ,New Learning’“ das Kernanliegen des Manifests auf den Punkt.

Im sogenannten Neuen Lernen üben die Studierenden die gefragten Fertigkeiten der digitalisierten Arbeitswelt der Zukunft ein: Selbststeuerung, ­Flexibilisierung und Agilität. Die Pandemie, so Dräger, zeige, »dass die Hochschulen agiler sind als vielfach angenommen« – sprich: Mehrbelastungen und Verantwortung werden auf die Beschäftigten abgewälzt, wie die ad hoc erfolgte Umstellung auf Notfalldistanzlehre zeigt.

Für wissenschaftliche Mitarbeitende, die diese Sorte »Agilität« der Hochschulen nicht mit einem steigenden Maß von Prekarisierung bezahlen wollen, gilt es, diese Entwicklungen überaus kritisch zu beobachten. Immerhin birgt die wenn auch nur in Teilen vorgenommene Umstellung auf Online-Lehre beträchtliche Einsparungspotentiale, etwa im Hinblick auf Raum- und Büromieten, Arbeitsmaterial und Ähnliches. Es wäre naiv zu glauben, dass diese nicht erkannt und künftig ausgeschöpft werden.