Platte/Buch: »Drei Tage, drei Nächte« von Marie-Claire Blais

Gegen die Sonne

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Das Vokabular ist erlesen, das Ambiente stilvoll, der Himmel wolkenlos – aber das Geschehen in Marie-Claire Blais’ polyphoner Erzählung bleibt so entrückt, als müsse man die ganze Zeit direkt gegen die grelle Sonne gucken. Die 1939 in Québec geborene Autorin lässt in »Drei Tage, drei Nächte« die Bewusstseinsströme mehrerer Figuren ineinanderfließen.

Den Hauptstrom bilden die Erinnerungen einer Frau im mittleren Alter. Renata erholt sich auf einer Insel im karibischen Meer, nachdem sie sich in New York einem chirurgischen Eingriff unterziehen musste. Ihre Gedanken kreisen um ihre Gesundheit und einen Schuldspruch ihres Ehemanns Claude, der von Beruf Richter ist und einen jungen Schwarzen zum Tode verurteilt hat. Renata ist selbst Juristin, sie kennt sich aus. Auch Claude hegte offenbar Zweifel an der Schuld des Mannes, eines Drogenhändlers und Zuhälters. Während das Paar in einem luxuriösen Domizil mit Blick auf das Meer weilt, wird das Todesurteil irgendwo hinter texanischen Gefängnismauern vollstreckt. Der ­Gedanke daran legt sich wie ein Schatten über die Heiterkeit des Insel­paradieses. Aber das schlechte Gewissen vergeht auch wieder.

Renata denkt viel an ihren ersten Ehemann. Franz ist Dirigent und hat sie damals betrogen. Der alte Schmerz wird wieder lebendig. Und es werden immer wieder ungeheure Grausamkeiten erinnert, Verbrechen, mit denen Renata in der Vergangenheit bei Gericht konfrontiert war, insbesondere eine Serie von Campus-Morden in Florida vor einigen Jahren. Renata identifiziert sich mit den weiblichen Opfern. Gerade noch schildert sie die Qualen der ermordeten Studentinnen, um dann wieder an die Liebesnächte mit ihrem ersten Ehemann zu denken. So geht es hin und her. Denn, wie es an einer Stelle heißt, »die menschliche Seele ist mit einer Ewigkeit an Qualen befrachtet und lebt dessen ungeachtet weiter, in Vergessen, Vergnügen, Sorg­losigkeit«.

Marie-Claire Blais: Drei Tage, drei Nächte. Aus dem Französischen von Nicola ­Denis. Suhrkamp, Berlin 2020, 391 Seiten, 24 Euro