Der niedersächsische Innenminister will ein Verbot von Antifa-Gruppen prüfen

Sozialdemokratische Anti-Antifa

Nach Anschlägen auf zwei Landesaufnahmebehörden in Braunschweig und Hannover will der niedersächsische Innenminister ein Verbot von Antifa-Gruppen zu prüfen.

Etwas mehr als ein halbes Jahr ist es her, als man in der SPD großspurig den Antifaschismus herauskehrte. Donald Trump hatte gerade »die Antifa« zum Urheber gewalttätiger Ausschreitungen im Zuge der antirassistischen »Black-Lives-Matter«-Proteste erklärt und wollte sie als terroristische Vereinigung einstufen lassen. Der SPD-Parteivorstand schloss sich daraufhin einer kurzlebigen Internet-Mode an und bekannte auf Twitter in Anlehnung an das Alter der Partei: »157 und Antifa. Selbstverständlich.« Auch die Parteivorsitzende Saskia Esken folgte dem Motto und erhielt dafür viel Kritik von den Unionsparteien.

Die Leidtragenden wären jene Vereine, Bündnisse und Initiativen, die sich ihre politischen Grundsätze und Kontakte nicht von der Landes­hauptstadt diktieren lassen wollen.


In Niedersachsen scheint der sozialdemokratische Innenminister davon nichts mitbekommen zu haben – oder nichts davon zu halten. Mitte Januar ließ Boris Pistorius in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung verlautbaren, ein Verbot von Antifa-Gruppen zu prüfen. Ziel sei es, »die Handlungsfähigkeit solcher Gruppierungen zu erschweren«, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Pistorius folgte damit einer Forderung der Gewerkschaft Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Nachdem unbekannte Täter in der Nacht auf den 9. Januar in Braunschweig und Hannover auf dem Gelände der jeweiligen Landesaufnahmebehörden Fahrzeuge und Gebäude in Brand gesteckt und sich auf der Plattform Indymedia in einem anonymen Schreiben zu den Angriffen bekannt hatten, bezeichnete der BDK ein mögliches Betätigungsverbot der »linksextremistischen Antifa« als »starkes Zeichen im Kampf gegen den Linksterrorismus«. Der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut fabulierte in der Hannoverschen All­gemeinen Zeitung bereits von einem »neuen Linksterrorismus«.

Unter dem Titel »Antifaschismus lässt sich nicht verbieten« meldeten sich da­raufhin in der vergangenen Woche einige Hundert Antifa-Gruppen, linke Parteien und Gewerkschaftsjugendverbände sowie Einzelpersonen in einer gemeinsamen »niedersächsischen Erklärung« zu Wort. Auch die Göttinger Jusos haben die Erklärung unterzeichnet. Die Verfasser weisen Pistorius’ Vorschlag ­zurück und erinnern an die historische Verpflichtung auf den Antifaschismus. »Wären die Überlebenden des KZ Buchenwald heute auch ›linksextrem‹?« fragen sie in ihrem Schreiben. Sie kritisieren das pauschale Urteils über »die Antifa«, während rechte und faschistische Netzwerke in deutschen Behörden als Einzelfälle verharmlost würden.

In einem Interview mit der Braunschweiger Zeitung bemühte sich Pistorius anschließend, seine Aussagen abzuschwächen. »Jeder, der gegen Faschismus kämpft, verdient zuallererst den Dank der Gesellschaft«, sagte der Innenminister. Er habe außerdem nicht davon gesprochen, »die Antifa« zu verbieten. Vielmehr sei ihm daran gelegen, »genau hinzusehen«. Er forderte, die Aktivitäten von als gemeinnützig anerkannten Gruppen, die ihre Ziele mit Straftaten erreichen wollten, mit allen rechtlichen Möglichkeiten zu erschweren.

Für Antifaschistinnen und Antifaschisten dürfte die Angelegenheit damit nicht vorbei sein. Es steht im Gegenteil zu befürchten, dass das Innenministerium in erster Linie jene zivilgesellschaftlichen Vereine, Bündnisse und Initiativen ins Auge fasst, die sich ihre politischen Grundsätze und Kontakte nicht von der Landeshauptstadt diktieren lassen wollen. Repressalien dürften dann nicht wenige treffen, die doch angeblich die »volle Unterstützung und Solidarität« des Innenministers besitzen. Außer dieser Gefahr sind aber auch die symbolpolitische Wirkung und der Effekt dieser gezielten Stimmungsmache nicht zu unterschätzen: Selbst wenn es nicht zu Repressalien kommen sollte, bleibt die Formel vom »neuen Linksterrorismus« hängen.

Der Bundestag debattierte bereits im Juni vergangenen Jahres über ein Pauschalverbot der Antifa, nachdem die Fraktion der AfD einen entsprechenden Antrag eingereicht hatte. Pistorius’ Parteikollege Uli Grötsch argumentierte seinerzeit in seiner Rede, dass alle Antifaschisten »selbstredend und ganz automatisch« Demokraten seien, weil sie sich gegen Faschismus wendeten und für Demokratie und Freiheit kämpften. Der Antrag wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.

Nicht nur Nazigegner sind in Niedersachsen, wie zum Beispiel in Braunschweig, regelmäßig Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt. Der Sprecher des lokalen »Bündnisses gegen rechts« erhielt im vergangenen Jahr einen Schweine­kopf mit der Post geschickt. Am Samstag hielt die ­extrem rechte Partei »Die Rechte« in der Stadt ins­gesamt drei Kundgebungen ab. Einige Neonazis griffen im Verlauf des Abends Journalisten am Rand ihrer Kundgebung an. Die Ortsgruppe des sich als sozialistisch begreifenden Kinder- und Jugendverbands »Die Falken« gab an, dass im Anschluss an die Proteste gegen die Neonaziveranstaltungen die Scheiben eines Autos eingeworfen worden seien. Der Vorfall reiht sich in eine Vielzahl von Einschüchterungsversuchen gegen Mitglieder der »Falken«. Während der neonazistischen Kundgebung schwenkte ein Teilnehmer eine Reichskriegsflagge. Deren Zeigen ist einem entsprechenden Erlass von Pistorius zufolge seit Oktober verboten.