Der Verfassungsschutz plant, die AfD zum »rechtsextremen Verdachtsfall« hochzustufen

Verdächtig rechtsextremistisch

Der Verfassungsschutz plant, die AfD als rechtsextremistischen Ver­­dachtsfall einzustufen. Die Partei geht bereits juristisch dagegen vor.
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Bürokratie braucht Zeit. Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor zwei Jahren öffentlich verlautbart hatte, die AfD als Prüffall zu behandeln, ist diese Überprüfung bald beendet: Die von Thomas Haldenwang (CDU) geleitete Behörde plant mehreren Medienberichten zufolge, die Partei bundesweit zum »rechtsextremen Verdachtsfall« heraufzustufen.

Haldenwang äußerte sich bereits im vergangenen Oktober öffentlich, dass die als »gesichert rechtsextremistisch« einzustufende AfD-Gruppe »Der Flügel« um den thüringischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke trotz seiner formellen Auflösung im vergangenen April an Einfluss gewinne. Auch wegen dieser Entwicklung ist die etwa 32 000 Mitglieder zählende Partei derzeit von internen Streitigkeiten geprägt. Neben dem völkisch-nationalistischen »Flügel« wird die AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative« seit Januar 2019 vom Verfassungsschutz beobachtet; auch die Landesver­bände Thüringens, Brandenburgs und neuerdings auch Sachsen-Anhalts und Sachsens stehen bereits als Verdachtsfälle unter Beobachtung. Der Brandenburger Landesverband hat dagegen vergangene Woche Klage eingereicht.

Die AfD versucht, sich selbst Unbedenklichkeit zu bescheinigen, indem sie eine »Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität« auf ihrer Website veröffentlichte.

Die Einstufung der Bundespartei als Verdachtsfall könnte erheblich Aus­wirkungen haben. Beispielsweise könnten Einstellungen von AfD-Mitgliedern in den Staatsdienst abgelehnt werden, sofern das im Einzelfall begründet wird. Am wahrscheinlichsten wäre das, so der Rechtswissenschaftler Ralf Brinktrine in der Süddeutschen Zeitung, wenn es um Stellen mit Sicherheitsfreigaben gehe: »Bei diesen Beamten oder Soldaten genügt schon der bloße Verdacht der Verfassungsuntreue, damit ihnen die Ausübung sicherheitsempfindlicher Tätigkeiten zumindest vorläufig untersagt werden kann.«

In einem Gutachten aus dem Jahr 2018, das die AfD in Auftrag gegeben hatte, schrieb der Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek: »Schon die Beobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz kann sich nachteilig in ­Bezug auf alle Eignungsbeurteilungen auswirken.« Jedem Beamten, Soldaten oder Angestellten im öffentlichen Dienst müsse daher dringend geraten werden, sich im Falle der Beobachtung seiner Partei durch den Verfassungsschutz von verfassungsfeindlichen Kräften innerhalb der Partei entschieden abzugrenzen und sich für eine verfassungsmäßige Ausrichtung der Partei einzusetzen, schreibt Murswiek weiter.

Neben Kündigungen steht möglicherweise auch die staatliche Parteienfinanzierung auf dem Spiel. So ist es möglich, Parteien, die für verfassungsfeindlich erklärt wurden, aus der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen, durch welche die AfD 2019 immerhin 10,2 Millionen Euro erhielt.

Es wird also ein gewisser Druck spürbar, weshalb die AfD sich auch präventiv gegen die mögliche Einstufung wehrt. Vor dem Verwaltungsgericht Köln reichte die Partei per Eilantrag zwei Klagen gegen das BfV ein. Einem Bericht des Magazins Legal Tribune Online zufolge zielt die erste Klage darauf, den Verfassungsschutz daran zu hindern, die Partei als »Verdachtsfall« und »gesicherte rechtsextremistische Bestrebung« einzustufen und dies öffentlich bekanntzugeben. Mit der zweiten Klage will die Partei dem Verfassungsschutz untersagen, öffentlich die Zahl von »etwa 7 000 Mitgliedern« zu verbreiten, die der »Flügel« bis zu seiner offiziellen Auflösung und darüber hinaus gehabt habe. Der Klageschrift zufolge ist diese Zahl »völlig aus der Luft gegriffen« und »nicht im Ansatz« durch Fakten belegt. Das Kölner Verwaltungsgericht lehnte in der vergangenen Woche eine ebenfalls beantragte Zwischenentscheidung hierzu ab: Die von der Partei befürchteten negativen Folgen dieser Auskunft schätzte es als gering ein, da die Zahl schon früher in die Öffentlichkeit gelangt sei.

Frappierend ist ein als geheime Verschlusssache eingestufter Zwischenbericht über die AfD Berlin, den ein Mitarbeiter des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz Anfang Januar an die Fraktion der Partei im Abgeordnetenhaus durchgestochen haben soll. Die Autoren des 43seitigen Dokuments sehen demnach keinen Anlass, die AfD als Verdachtsfall einzustufen. Der Innensenat wertete den Text als eine unabgestimmte Arbeitsfassung. Einem Bericht des Tagesspiegels zufolge nutzt die Fraktion den Vorfall, um Behauptungen darüber anzustellen, dass der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) den Landesverfassungsschutz angewiesen habe, das Gutachten zu verschärfen. Der Re­feratsleiter Rechtsextremismus des Behörde wurde mittlerweile von seiner Arbeit freigestellt.

Die AfD versucht indes, sich selbst Unbedenklichkeit zu bescheinigen: Mitte Januar veröffentlichte sie auf ihrer Website eine »Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität«. Der kurze Text beginnt mit einem ­Lippenbekenntnis zum Rechtsstaat. Zum »Staatsvolk« gehörten alle Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit unabhängig von ihrem jeweiligen »ethnisch-kulturellen Hintergrund«: »Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.« Die Partei hält aber ihre ablehnende Haltung zur Einwanderung aufrecht. »Nur wer unsere Sprache spricht, unsere Werte teilt und unsere Lebensweise bejaht, soll Deutscher nach dem Gesetz werden können.« Auch dürfe die Zahl der eingebürgerten Menschen die »Integrationskraft der deutschen Gesellschaft« nicht überfordern, damit das Staatsvolk »auf lange Sicht auch Träger der deutschen Kultur und Identität« bleibe.

Wie eine vor wenigen Tagen veröffentlichte repräsentative Wählerumfrage der Bertelsmann-Stiftung zeigt, ist der Anteil von Wählerinnen und Wählern mit einem geschlossen rechtsex­tremen Weltbild in der AfD vier Mal so hoch wie im Durchschnitt aller Wahlberechtigten. Bei Wählerinnen und Wählern der anderen im Bundestag vertre­tenen Parteien lägen die Anteile rechtsextremer Einstellungen im Durchschnitt aller Wahlberechtigten, der acht Prozent beträgt, oder sogar deutlich darunter. Über die Hälfte der AfD-Wählerschaft vertrete manifest oder latent rechtsextreme Einstellungen. »Die AfD ist damit seit Gründung der Bundes­republik Deutschland die erste mehrheitlich rechtsextrem eingestellte Wählerpartei im Deutschen Bundestag«, schlussfolgert der Autor der Studie, ­Robert Vehrkamp.

Die erwartete Heraufstufung lässt hoffen, dass der Verfassungsschutz den antidemokratischen Charakter der ­Partei mittlerweile ernst nimmt, was für eine Abkehr zumindest vom Kurs des ehemaligen Präsidenten des BfV, Hans-Georg Maaßen (CDU), spräche. In der neuen Buchreihe »Recht gegen rechts« schreibt der Vorstandsvorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, Peer Stolle, über die Publikationspraxis des Verfassungsschutzes unter Maaßen: »Während in Bezug auf das Beobachtungsfeld ›Linksextremismus‹ der Kapitalismus, der Staat und seine Institutionen regelmäßig mit der Verfassung gleichgesetzt werden, findet man beim Beobachtungsfeld ›Rechtsextremismus‹ eher eine Verharmlosung verfassungsfeindlicher Bestrebungen.« Nach Maaßens Ablösung durch Haldenwang sei ein Großteil der relativierenden Formulierungen aus dem Verfassungsschutz­bericht getilgt worden.

Das bedeutet zwar nicht, dass der Verfassungsschutz über Nacht zu einer demokratischen Institution geworden ist. Aber die Beobachtung könnte der AfD, die ohnehin derzeit in Umfragen schwächelt, erheblichen Schaden zufügen. Zumindest würde die Einstufung als Verdachtsfall dafür sorgen, dass es rechtsextremistisch gesinnte AfDler künftig schwieriger haben, staatliche Posten zu bekleiden.