Der Hamburger Rondenbarg-Prozess wurde pandemiebedingt unterbrochen

Erstmal nicht nach Hamburg

Ein Prozess gegen fünf Angeklagte am Landgericht Hamburg wurde pandemiebedingt abgebrochen. Ihnen werden Straftaten bei einer Demonstration im Zuge der Hamburger G20-Proteste 2017 im Industrie­gebiet Rondenbarg vorgeworfen.

»Klar ist es erst einmal sinnvoll, das Verfahren wegen der Pandemie nicht weiterzuführen. Aber warum wurde dann im Dezember überhaupt erst ­angefangen?« fragt Yannik U. im Gespräch mit der Jungle World. Er wohnt und arbeitet in Stuttgart, dort ist er auch politisch aktiv. Am frühen Morgen des 7. Juli 2017 nahm er an einer von zahlreichen kleinen Demonstrationen teil, die auf den Tagungsort des G20-Gipfels im Hamburger Schanzenviertel zuströmten.

Anfang Dezember begann am Landgericht Hamburg vor der Großen ­Jugendstrafkammer 27 unter dem Vorsitzenden Jugendrichter Georg Halbach der Prozess gegen Yannik U. und vier weitere zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Angeklagte. Die fünf waren nach einer von der Polizei aufgelösten Protest­demonstration im Industriegebiet Rondenbarg festgenommen worden. Hundertschaften der Polizei hatten die ­Demonstration von vorne und von hinten gleichzeitig überrannt. 14 Demons­trierende landeten, zum Teil mit offenen Knochenbrüchen, im Krankenhaus, etwa 70 von 200 Teilnehmenden wurden festgenommen. 13 weitere Teilnehmende wurden durch eine Öffentlichkeitsfahndung ermittelt. Viele waren noch minderjährig und in Jugendorganisationen aktiv. Der Prozess am Landgericht soll der erste von mehreren geplanten Gruppenprozessen gegen die am Rondenbarg Festgenommenen sein.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten schweren Landfriedensbruch in Tateinheit mit tätlichem ­Angriff auf Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall, versuchte gefährliche Körperverletzung, die Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung vor. Einer auf dem Hamburger Justizportal veröffentlichten Mitteilung zufolge betrachtet die Staatsanwaltschaft die Angeklagten als »Mittäter der Gewalttäter innerhalb des Aufzugs«, obwohl ihnen keine eigenhändigen Gewalthandlungen zuzuordnen sind.

»Die Staatsanwaltschaft hält sich gar nicht mehr damit auf, den Angeklagten individuelle Taten nachzuweisen«, sagt Kim König von der Roten Hilfe Hamburg der Jungle World. »Ihr Konstrukt ist ganz einfach: Da ist etwas passiert und alle, die da irgendwie dabei oder in der Nähe waren, werden für ­alles bestraft.« Zwar sollen einige Demonstrationsteilnehmer 14 Steine und einige Böller geworfen haben, Polizisten wurden dabei jedoch nicht verletzt. Auch stießen die Polizisten auf keine Gegenwehr, während sie die Demons­tranten gewaltsam zu Boden brachten.

Wie seine vier Mitangeklagten aus Mannheim, Bonn und Halle musste U. für die Gerichtsverhandlung weit anreisen: »Ich bin am Abend vor den Prozesstagen, waren ja auch nur zwei ­bisher, mit dem Zug hoch und danach wieder runter gefahren. Im Betrieb war das abgesprochen und das war es dann auch.« Am zweiten Verhandlungstag stellte die Verteidigung den Antrag, das Verfahren auszusetzen, wegen der Covid-19-Pandemie und des erhöhten Infektionsrisikos für die Verfahrensbeteiligten, vor allem für die Angeklagten mit weiten Anfahrts­wegen.

»Die Staatsanwaltschaft sprach sich gegen den Antrag aus und nach einstündiger Beratung lehnte auch das Gericht den Antrag mit der Begründung ab, dass die getroffenen Maßnahmen ausreichen würden«, schrieben Prozessbeobachter auf der Website der Roten Hilfe. Das Gericht habe seine Entscheidung damit begründet, dass das Vorgehen mit dem Arbeitsmedizinischen Dienst abgesprochen worden sei und die Dringlichkeit des Verfahrens eine Fortführung gebiete, berichteten die Autoren weiter.

Die Jugendstrafkammer unter Hal­bachs Vorsitz entschied Mitte Dezember, die für Januar geplanten Verhandlungstermine ausfallen zu lassen und frühestens am 10. Februar fortzufahren. Ende Januar entschied sie schließlich, die Verhandlung auszusetzen. »Das heißt, die im Dezember begonnene Hauptverhandlung wird einstweilen abgebrochen und muss zu ­einem späteren Zeitpunkt noch einmal von vorn beginnen«, sagte Kai Wantzen auf Anfrage der Jungle World. Dem Pressesprecher der Hamburger Gerichte zufolge begründet sich diese Entscheidung durch die verschärften Pandemiemaßnahmen: »Insofern unterscheidet sich die aktuelle Situation von derjenigen im Dezember, als zumindest die begründete Hoffnung bestand, die Situation werde sich Anfang des Jahres so weit stabilisieren, dass man innerhalb der Maximalfristen für Unterbrechungen würde fortsetzen können.«

Eine wegen der Covid-19-Pandemie neugefasste Sondervorschrift im Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung erlaubt, eine bisher auf drei beziehungsweise vier Wochen begrenzte Unterbrechung einer Hauptverhandlung auf maximal zwei Monate zu ­verlängern. »Angesichts des Lockdowns kam die Kammer nicht mehr um die Unterbrechung herum«, sagte der Verteidiger Matthias Wisbar der Jungle World. Bei einer Wiederaufnahme wird die gleiche Anklageschrift vor der ­gleichen Kammer erneut verhandelt werden.

Wisbar moniert, die Verschiebung lasse sich mit dem Beschleunigungsgrundsatz für Jugendverfahren »schlecht bis gar nicht vereinbaren«: »Den Mandantinnen wird es erneut auf unabsehbare Zeit unmöglich gemacht, nach dem Ende der Schule ihr weiteres Leben, insbesondere weitere Ausbildungen verbindlich zu planen.« Allein aus diesem Grund gehöre das Verfahren endlich eingestellt, sagte Wisbar. Wantzen nennt die Verschiebung zwar »nicht wünschenswert«, aber »auch nicht vermeidbar«.
U. sieht in der Verschiebung des Prozesses die Gefahr einer »Zermürbung« sowohl der Angeklagten als auch der Solidaritätsbewegung. »Es kann für uns nur um eine Einstellung aller Verfahren gehen, ohne miese Tricks oder Deals«, so U. weiter. Mit einer baldigen Wiederaufnahme des Verfahrens rechnet er nicht.