Ottessa Moshfeghs Buch »Der Tod in ihren Händen« ist ein ungewöhnlicher Krimi

Mord ohne Leiche

Erneut stochert die Autorin Ottessa Moshfegh in den Abgründen der menschlichen Existenz herum. In ihrem neuen Roman »Der Tod in ihren Händen« bedient sie sich dabei einer ausgefeilten Erzähltechnik.

Die Erzählungen der US-amerikanischen Autorin Ottessa Moshfegh muten oft an wie ein sorgsam ausstaffiertes Kabinett des kaputten Lebens. Man denke etwa an den erstmals 2018 erschienenen Roman »Mein Jahr der Ruhe und Entspannung«, in dem die Erzählerin, eine Kunsthistorikerin, sich mit Beruhigungsmitteln und anderen Medikamenten wegknallt, um sich tempo­rär der Welt zu entziehen, und in dem ein herrlich überzeichneter Künstler namens Ping Xi mit seinem Ejakulat Action Paintings herstellt.

Auch die schwangere Teenagerin, die in der Kurzgeschichte »Ich mische mich unters gemeine Volk« (aus »Heimweh nach einer anderen Welt«, 2017) in einer drogenverseuchten Kleinstadt als Putzfrau arbeitet, kann einem in den Sinn kommen – oder aber der einsame Mr. Wu aus der derselben Story, der die Liebe sucht, vorerst aber nur im Bordell kurzzeitige Erfüllung findet.

Moshfegh dekonstruiert das Genre der Kriminal­literatur – und führt nicht ihre Figuren, sondern den Leser immer wieder auf die falsche Fährte.

Der neue Roman von Ottessa Moshfegh scheint zunächst völlig anders zu sein. »Der Tod in ihren Händen« beginnt wie ein Kriminalroman – mit einer Spur. Die 72jährige Vesta Guhl ist nach dem Tod ihres Mannes Walter mit ihrem Hund in ein einsames Waldhaus nahe der Kleinstadt Levant gezogen. Sie findet eines Morgens auf einem Waldweg einen Zettel mit der Aufschrift: »Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.«

Der Haken: Es gibt keine Tote weit und breit, und so beginnt die Ich-Erzählerin, sich verschiedene Versionen des vermeintlichen Mordfalls zu überlegen. Sie erfindet Figuren, malt sich aus, was passiert sein könnte und wie, sucht in der örtlichen Bi­bliothek im Internet nach einer »Magda« in der Region. Die vier Sätze auf dem Zettel dreht und wendet sie immer wieder. Später googelt sie in der Bücherei, wie man einen Kriminalroman schreibt, und legt sich die Figuren zurecht.

Es ist ein Spiel mit den Erzählebenen, das die aus Boston stammende Autorin Ottessa Moshfegh da mit dem Leser treibt. Zunächst nimmt man an, dass das anfangs angedeutete Mordmotiv sich im Lauf der Handlung auflöst, doch werden die Erwartungen des Lesers immer wieder gebrochen und man weiß immer weniger, auf welcher Ebene man sich gerade befindet.

Was Fiktion und was Fiktion innerhalb der Fiktion ist, verwischt Moshfegh so gekonnt, dass dieser Roman für jedes literaturwissenschaftliche Proseminar zu empfehlen wäre: Vesta Guhl ist das Extrembeispiel einer unzuverlässigen Erzählerin, ihr traut man von Beginn an nicht so recht über den Weg. Moshfegh dekonstruiert das Genre der Kriminalliteratur – und führt dabei nicht ihre Figuren, sondern den Leser immer wieder auf die falsche Fährte.

Die Autorin probiert in »Der Tod in ihren Händen« also einerseits wirklich etwas Neues aus – erzähltechnisch derart versiert waren die früheren Werke der 39jährigen Schriftstellerin nicht. Andererseits zeigen sich auch Kontinuitäten zu den vier vorhergegangenen Romanen und den Erzählungen: Die Figuren und das Setting sind auch hier in einer Gnadenlosigkeit gezeichnet, wie das derzeit vielleicht nur Moshfegh kann.

Beispielsweise, wenn die Erzäh­lerin sukzessive aufrollt, welch katastrophale Ehe sie mit Walter, einem Erkenntnistheoretiker, geführt hat. Walter war demnach ein Narzisst reinsten Wassers, er fand Lust daran, seine Frau als intellektuell Unterle­gene verbal zu demütigen und kleinzuhalten. Er habe immer so getan, »als sei seine Arbeit so schrecklich wichtig und er müsse so wahnsinnig unter den Trivialitäten des Lebens leiden. Dabei wusste er nicht mal, was die Trivialitäten des Lebens waren. Die hatte er zu Anfang unserer Ehe komplett auf mich abgewälzt. Als er starb, war er sicher seit dreißig Jah­ren nicht mehr im Supermarkt gewesen«, berichtet die Erzählerin.

Beiläufig flicht Moshfegh menschliche Boshaftigkeiten ein. Immer wenn sich die Erzählerin bei ihrem Mann über ihr eintöniges Dasein beklagte, wies dieser sie »darauf hin, dass die Realität von der Wahrnehmung abhänge und dass meine Wahrnehmung naturgemäß defizitär sein musste, weil ich nicht dieselbe Bildung besaß wie er«. Das erklärt, woher manche Macken der Vesta Guhl rühren, der Roman bekommt einen feministischen Dreh.

Identifizieren kann man sich dennoch nicht mit der Erzählerin, was in erster Linie daran liegt, dass man bald kaum mehr weiß, was man ihr abnehmen kann und was nicht. ­Gegen Ende imaginiert sie sogar posthume Gespräche mit Walter – wieder so ein erzählerischer Kniff. Auch das ist eine Kontinuität in Mosh­feghs Werk: Identifikationsange­bote sind Mangelware. Selbst die Loser sind bei ihr meist so angelegt, dass man sie zwar wie eine seltene Spezies fasziniert betrachtet, aber eher nicht mit ihnen mitfühlt.

Die (inneren) Beschädigungen von Moshfeghs Figuren scheinen sich stets in deren (äußerer) Erscheinung widerzuspiegeln. Das ist auch hier wieder so, selbst wenn es nur um eine Nebenfigur wie einen Ladenbetreiber im nahegelegenen Ort Bethsmane geht: »Der Ladeninhaber war ein ruhiger Mann mittleren Alters mit einem schrecklich entstellten Gesicht. Auf der linken Seite war es von tiefen Pockennarben bedeckt, und in der Mitte, über der Nase, die nur ein kleiner Vorsprung mit zwei abwärts gerichteten Löchern darin war, war ein Hautrechteck wie ein Teppich über das Gesicht gebreitet. Hätte ich raten müssen, wo der Hautlappen herkam, hätte ich gesagt, vom Unterarm des Mannes, da er sonnenverbrannt und faltig aussah, wie bei einem Männerarm, wenn man die Haare abrasierte. Dieses seltsame Stück Haut war auf der Stirn und auf beiden Wangen festgenäht, ein bisschen wie bei einer Bauchrednerpuppe.« Da kann man schon nachvollziehen, dass Moshfegh unter anderem Charles Bukowski als Inspiration nennt; Raymond Carver wäre eine weitere Referenz, die man anführen könnte, bei dem neuen Buch sicher auch Patricia Highsmith.

»Der Tod in ihren Händen« hat eine andere Qualität als Moshfeghs frühere Bücher: In den menschlichen Abgründen stochert sie auch hier wieder herum, aber das tritt bei all den Spielereien mit den Wirklichkeitsebenen in den Hintergrund. Dafür testet dieser Roman sehr breit aus, was mit Fiktionen und in Fiktionen möglich ist.

Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser-Verlag, Berlin 2020, 256 Seiten, 22 Euro