Im Gespräch mit Marco Pompe (Emanzipatorische Linke) über die Kuba-Solidarität in der Linkspartei

»Es ging erst gar nicht um ›Die Linke‹«

Am 23. Januar verabschiedete die Partei »Die Linke« in einer Sitzung des Parteivorstandes den Beschluss »Solidarität mit Kuba«. An Punkt 5 des Bescheides, in dem sich die Partei auch mit regierungskritischen kubanischen Kunstschaffenden solidarisiert, hat sich ein politischer Streit entzündet.

Sie haben auf der Sitzung des Vorstands Ihrer Partei »Die Linke« am 23. Januar einen Antrag zur Solidarität mit regierungskritischen kubanischen Kunstschaffenden eingebracht. Daraus wurde schließlich Punkt 5 des Beschlusses »Solidarität mit Kuba«. Dieser Punkt hat eine wochenlange Debatte in der Partei ausgelöst. Haben Sie diese Reaktion erwartet?

Nicht wirklich. Uns war schon klar, dass die Solidarität mit Kuba für einen Teil der Linken sakrosankt ist, dass einige also ideell sehr eng an die kubanische Regierung gebunden sind und es auch so eine Idee von zwingender Parteiloyalität gibt. Das war für uns als Emanzipatorische Linke aber nebensächlich. Es war uns um progressive und linke Kubanerinnen und Kubaner zu tun, die sich zu Recht fragen, warum die demokratischen linken Parteien aus dem Ausland zu den aktuellen Protesten schweigen. Wir hatten eher damit gerechnet, dass der Antrag nicht durchkommt, wollten aber einen Anfang machen.

Ein Kommentator sprach im »Neuen Deutschland« von einem »guten Tabubruch« angesichts dessen, dass der Antrag vom Parteivorstand mehrheitlich angenommen wurde. Was war so tabu-brechend daran?

Ja, tabu oder nicht tabu, das scheint ja nun die Frage. Dass »Die Linke« demokratische Prozesse und Regierungskritiker unterstützt, ist ja eigentlich nichts Neues. Nur im Fall von Kuba wird das nicht gemacht, weil der Diskurs nun einmal so gestrickt wurde, dass Kritik an der kubanischen Regierung nur von sogenannten Contras (Die »Contras« führten in den achtziger Jahren mit US-Unterstützung einen Guerillakrieg gegen die linksgerichtete sandinistische Regierung Nicaraguas, Anm. d. Red.) kommt und Linke grundsätzlich die kubanische Regierung als Opfer von internationalen regime change-Aktivitäten zu unterstützen haben. Dieser Diskurs wird von der Partei, aber auch von den rechten Kreisen der exilkubanischen Community permanent fortgeführt, denn er nützt beiden. Auf der einen Seite legitimiert diese Festlegung die Einheit hinter der kubanischen KP im In- und Ausland, auf der anderen sorgt sie für immer neuen Zulauf bei den rechtsgerichteten (Exil-)Kubanern, in deren Ecke die Regierungskritiker gestoßen und zugleich gezogen werden. Wenn nun eine bedeutende Partei aus der internationalen Kuba-Solidarität da ausschert, scheint für einige Linke die Welt aus den Fugen zu geraten.

Kern des Streits ist der Umgang mit einer Gruppe kubanischer Künstlerinnen und Künstler, die sich Movimiento San Isidro (MSI) nennt. Kritiker sehen in ihnen Rechte, die Donald Trump verehren. Verdienen die eine linke Solidarität?

Der MSI besteht aus sehr unterschiedlichen Leuten. Diese sammeln in dieser kleinen Bewegung meist ihre ersten politischen Erfahrungen und betreiben eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners: für Meinungsfreiheit, gegen Zensur, Repression und soziale Ungleichheit. Daher können sich viele mit ihren Forderungen identifizieren, sowohl linke Regierungskritiker als auch Einzelpersonen wie der Rapper Solís, der durch seine Wut auf das System leider zu dem Trugschluss gekommen ist, dass ein reaktionärer US-Politiker wie Trump ihm in seiner Situation helfen könnte. Die Strategie der Diffamierung, sowohl von Seiten der kubanischen Regierung wie von manchen Linken, ist nun, aus solchen Entgleisungen die These einer rechten Verschwörung zu konstruieren. Eine solche ist hier aber definitiv nicht gegeben. Der MSI hat die Solidarität der Linken verdient und kann diese auch gut gebrauchen, um von der Regierung als Gesprächspartner anerkannt zu werden. Dass ihr Protest von rechten Exilkubanern gefeiert wird, hilft ihnen bestimmt nicht weiter; deshalb braucht es die Solidarität der internationalen Linken als Gegengewicht.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass diese Kunstschaffenden Teil eines von den USA vorangetriebenen regime change werden könnten?

Dafür gibt es momentan keinerlei Anzeichen. Die aktivistischen Künstler und Intellektuellen sind nicht nur friedlich, sondern explizit pazifistisch. Sie lehnen militärische Interventionen ausdrücklich ab. Die Linken unter ihnen sprechen sich auch deutlich gegen die US-Blockade aus. Wenn daraus ein rechte Bewegung entsteht, wäre das ein hausgemachtes Problem. Es muss einen offenen Dialog geben. Die Repression gegen harmlose Kritiker bestimmter Dekrete, diese ständige Gängelei und Diffamierung, das alles muss aufhören.

Der Vergleich mit der DDR drängt sich hier regelrecht auf. 1976 gab es den letzten offenen Brief namhafter kritischer Künstler und Autoren in der DDR gegen die Ausweisung von Wolf Biermann. Danach war das nicht mehr möglich. Die Leute gingen danach in die innere Emigration. Ein anderes Problem war die Stasi. Erich Mielke war mit Abstand der härteste Hund im Politbüro. Mich würde nicht überraschen, wenn das in Kuba ähnlich gelagert ist. Der Repressionsapparat und die Hardliner sind es, die einem offenen Dialog am entschiedensten entgegenarbeiten, und vermutlich auch all jene verdienten Veteranen und Funktionäre, die von dem Status quo persönlich profitieren und lieber ihren Mund halten. Wenn diese Leute nicht einen großen Schritt zurücktreten und einen echten Erneuerungsprozess zulassen, wird es früher oder später den befürchteten Zusammenbruch und einen regime change geben.

Die Kritiker des Beschlusses vom Januar argumentieren, in Kuba gebe es bereits eine ausgiebige demokratische Diskussion, beispielsweise bevor 2019 die neue Verfassung in Kraft trat. Braucht es da Ratschläge von Seiten der Partei »Die Linke«?

Das Referendum und der angeblich damit einhergehende breite demokratische Dialog spielen in den aktuellen Auseinandersetzungen keine Rolle. Zurzeit wird man in Kuba zum Beispiel festgenommen, wenn man wie der Jugendliche Luis Robles ein Schild hochhält, auf dem ein Ende der Repression gefordert wird. Das alles hat sich die Emanzipatorische Linke ja nicht ausgedacht. Diese Kritik kommt ebenso aus Kuba wie die Verlautbarungen der Granma (Zentralorgan des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, Anm. d. Red.), die uns hier in Deutschland seit Wochen an den Kopf geworfen werden. Durch ihre vehemente Kritikabwehr, wie wir sie die letzten Wochen erlebt haben, ist die deutsche Kuba-Solidarität ein Teil des Problems; sie könnte aber auch zumindest indirekt ein Teil der Lösung sein. Wenn linke Exilkubaner hier mindestens genauso Gehör fänden wie die kubanische Botschaft, wäre das vielleicht ein Anlass zum Umdenken. Zumindest aber wäre es ein Moment des Zweifels, ob dieser harte Umgang mit dem MSI vielleicht doch nicht der richtige Weg sein könnte.

Am 14. Februar erklärte der Parteivorstand, der Parteivorstandsbeschluss sei nicht als »Neuausrichtung der Kuba-Politik« gemeint gewesen. Stimmt das? Ist das Opportunismus? Oder hatten einige Vorstandsmitglieder Ihren Antrag gar nicht gelesen?

Ich denke, es ist eine Mischung aus Schlichtungsversuch und vermeintlicher Schadensbegrenzung. »Die Linke« ist unter Druck geraten, aus den eigenen Reihen, aber wohl auch aus dem Ausland. Der Beschluss vom 23. Januar wurde allerdings nicht zurückgenommen. Stattdessen wurde vor der nächsten Sitzung ein neuer Antrag ausgehandelt, der zumindest eine klare Nachricht an die Freunde in Kuba, Italien, Spanien und so weiter senden soll, nämlich dass »Die Linke« niemals die Absicht hatte, ihre Kuba-Politik zu ändern. Die Rolle des Bauernopfers sollte dabei wohl der Autor des erwähnten Kommentars im ND spielen. Dem wurde mit dem neuen Antrag implizit unterstellt, absichtsvoll über die Ausrichtung des Beschlusses vom Januar gelogen zu haben. Dass der neue Antrag dann in der darauffolgenden Sitzung, genauso wie unserer, ohne Gegenstimmen verabschiedet wurde, hat mich zunächst sprachlos gemacht. Diesen Antrag hat aber der Bundesgeschäftsführer eingebracht. Damit war klar, dass es Verhandlungen darüber gegeben hat, ohne die Emanzipatorische Linke. Zu der Sitzung konnte niemand von uns kommen. Eine weitere Debatte dazu wollte sich in der derzeitigen Lage, auch kurz vor dem Bundesparteitag, sicherlich keiner antun.

Warum hat der Kuba-Beschluss gerade jetzt zu einer solch heftigen Kontroverse in der Partei geführt? Hat die Partei wenige Monate vor den Bundestagswahlen nicht dringendere Probleme?

Natürlich hat sie dringendere Probleme, aber es ging erst einmal gar nicht um »Die Linke«, sondern um kritische Stimmen in Kuba. Darunter sind einige Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen soziale Ungleichheit und die Diskriminierung von Afrokubanerinnen in Kuba engagieren, und auch queere Feministinnen, die sich durchaus als Sozialistinnen bezeichnen. Außerdem: Eine linke Partei, die es nicht schafft, sich mit diesen Leuten zu solidarisieren, ist auch eine Partei, die für viele jüngere Linke nicht wählbar ist. Ich meine, die Partei kann durch aktive Auseinandersetzung eigentlich nur gewinnen. Ich denke da an mein privates Umfeld. Die meisten meiner linksradikalen und linksliberalen Freunde und Bekannten wählen »Die Linke« wegen solcher Peinlichkeiten, also ihrer verknöcherten Haltung, einfach nicht – zumindest nicht auf Bundesebene. Der Beschluss vom 23. Januar zeigt zwar, das »Die Linke« Fortschritte macht, aber der Beschluss vom 14. Februar, na ja … Es bleibt eine Baustelle.

Werden Sie weiterhin zum Thema kubanische Opposition Initiativen ergreifen?

Ja, wir wollen die demokratisch und links gesinnten Kritiker der kubanischen Regierung weiter unterstützen. Es wurde der Emanzipatorischen Linken ja in diesem Zusammenhang wieder vorgeworfen, wir wären Rechte oder der rechte Flügel in der Linken. Da möchte ich immer lachen und weinen zugleich. Das Verblüffende daran ist ja: Die Leute, die uns das vorwerfen, argumentieren nationalistisch und autoritär, konstruieren Verschwörungen zur Diffamierung von Kritikern und ignorieren die Stimmen der Ärmsten und Marginalisierten, der Afrokubanerinnen und Afrokubaner. Nicht wir, sondern jene, die sich über den Beschluss vom 23. Januar aufregen, haben jede Menge offene Flanken nach rechts. Aber die Emanzipatorische Linke bleibt am Thema Kuba dran, na klar.

 

Marco Pompe engagiert sich seit 2001 in der VVN/BdA. Seit 2014 ist er in der Emanzipatorischen Linken, einem Zusammenschluss innerhalb der Partei »Die Linke«, aktiv und seit 2018 auch Mitglied dieser Partei. Er betreibt das Blog herrschaftskritik.org.