Für Amnesty International ist ­Aleksej Nawalnyj kein »Gewissensgefangener« mehr

Punkt für Putin

Amnesty International wertet den russischen Oppositionellen Aleksej Nawalnyj wegen früherer rassistischer Äußerungen nicht mehr als »Gewissensgefangenen« und erntet dafür heftige Kritik.

Seit der russische Oppositionelle Aleksej Nawalnyj bei seiner Rückkehr aus Deutschland verhaftet worden war, bezeichnete Amnesty International (AI) ihn als »Gewissensgefangenen«, da er allein aus politischen Gründen inhaftiert worden sei, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellte. Doch am 23. Februar wurde bekannt, dass die Menschenrechtsorganisation den Status widerrufen hat. Als Grund gibt AI rassistische Äußerungen Nawalnyjs vor einigen Jahren an. »Weil er Gewalt und Diskriminierung befürwortete und solche Aussagen nicht widerrufen hat«, sei Amnesty »nicht länger in der Lage, Aleksej Nawalnyj als Gewissensgefangenen zu betrachten«, teilte eine Sprecherin der Organisation auf Anfrage eines Journalisten mit.

AI war zwar bemüht, klarzustellen, dass sich die Einschätzung des Falls nicht geändert habe. Man fordere nach wie vor Nawalnyjs Freilassung und verurteile die Repressalien gegen seine Unterstützer, heißt es in einer Stellungnahme der deutschen Abteilung von Amnesty vom 24. Februar. Seit einigen Tagen befindet sich Nawalnyj in einem Straflager 100 Kilometer östlich von Moskau.

Dennoch erntete AI viel Kritik. Die Organisation habe den Versuchen der russischen Regierung, Nawalnyj zu diskreditieren, in die Hände gespielt. Die Generalsekretärin von AI, Julie Verhaar, versprach eine interne Untersuchung des Prozesses, der zu der Entscheidung geführt hatte.

Für die Verteidiger der russischen Regierung war die Nachricht ein propagandistischer Erfolg. Die russische Staatspropaganda stellt Nawalnyj seit Jahren als Bedrohung für den sozialen Frieden und Instrument westlicher Mächte dar. Auch seinen Nationalismus hält ihm die Regierung dabei vor. »Höhlenmenschen-Nationalismus, wie der Slogan ‚Russland den Russen‘, schadet Russland nur«, sagte der russische Präsident Wladimir Putin Mitte Februar bei einer Konferenz mit Parlamentariern. »Wir dürfen das nicht zulassen.« Die Botschaft lautet, dass jede politische Kraft, die die Regierung nicht unterstütze, gefährlich sei.

Ende der nuller Jahre war Nawalnyj überzeugt, dass nur ein Bündnis mit dem russischen Nationalismus die Opposition gegen Putin zum Erfolg führen könne. Er schloss eine Allianz mit Rechtsextremen und nahm neben Neonazis am jährlichen »Russischen Marsch« teil. Im Internet kursieren zwei Fernsehspots aus dieser Zeit, in denen er gegen Arbeitsmigranten hetzt und tschetschenische Terroristen mit Kakerlaken vergleicht.

Solche Rhetorik benutzt Nawalnyj heutzutage nicht mehr. Auch seine politischen Themen haben sich geändert. Angesichts stagnierender Einkommen betont er soziale Fragen und macht die Kleptokratie für die wirtschaftliche Misere verantwortlich. Von seinen damaligen Positionen hat er sich jedoch nie distanziert. »Ich habe die gleichen Ansichten, die ich hatte, als ich zuerst in die Politik ging«, sagte er noch im Herbst dem Spiegel.

Es überrascht deshalb kaum, dass eine sich als progressiv verstehende NGO wie Amnesty die Entscheidung, ihn als Gewissensgefangenen zu unterstützen, nach interner Debatte wieder revidiert hat. Nawalnyjs rechte Vergangenheit ist kein Geheimnis und immer wieder Gegenstand von Debatten. Einige Amnesty-Vertreter sprachen jedoch auch von einer externen Kampagne. AI habe »eine Welle ähnlicher Anfragen« bekommen, zitierte die BBC einen Sprecher in Moskau. »Die Gleichzeitigkeit und das sich wiederholende Leitmotiv dieser Anfragen erlaubt uns anzunehmen, dass wir es mit einer gezielten Kampagne zu tun haben.«

Amnesty sah sich genötigt zu dementieren, einer Einflusskampagne erlegen zu sein. »Berichte, dass die Entscheidung von der Schmutzkampagne des russischen Staats gegen Nawalnyj beeinflusst wurde, sind unwahr«, heißt es in einer Erklärung vom 25. Februar. Doch die russische Propaganda triumphierte bereits: »Unsere Kolumnistin« sei es gewesen, die anhand von »spezifischen Beispielen zeigte, dass er ein Nazi ist«, twitterte Margarita Simonjan stolz, die Chefredakteurin des Staatsmedienunternehmens Rossija Sewodnja, zu dem auch der Propagandasender RT gehört.

Gemeint war die Autorin Katya Kazbek, die auf Twitter ausführlich über Nawalnyjs Rassismus informiert hatte. Sie ist die Tochter eines russischen Multimillionärs, bezeichnet sich selbst als Kommunistin und Antiimperialistin und setzt sich für queere Politik ein. Unterstützer Nawalnyjs warfen ihr vor, ihre Kritik an Nawalnyj von einem teuren Apartment in Manhattan aus formuliert zu haben. Einige russische Medien berichteten sogar, sie habe sich an einer Kampagne von RT beteiligt, die Nawalnyj diskreditieren sollte, was sie strikt leugnet. »Ich habe das Gefühl, dass beide Seiten mich jetzt benutzen, um vom eigentlichen Thema abzulenken«, sagte sie im Gespräch mit der Jungle World.

Schon als sie sich vor zehn Jahren an Protesten gegen die russische Regierung beteiligt habe, habe sie sich dafür eingesetzt, »dass diese eine inklusive Agenda haben«. Simonjan sei »genauso eine Rassistin wie Nawalnyj«, schrieb sie auf Twitter, gefolgt von einer harschen Beleidigung, als Antwort auf deren Vereinnahmungsversuch.

Gleichwohl ist Kazbek ein Beispiel dafür, wie sich der russische Staat Kritik an der Demokratiebewegung zunutze macht. In ihren von RT veröffentlichten Texten beschreibt sie die Protestbewegung in Belarus als vom Westen unterstützt und von Neoliberalen und Nationalisten dominiert. In einem Beitrag für das US-Magazin Jacobin, den sie gemeinsam mit dem russischen Linksfront-Aktivisten Aleksej Sachnin verfasst hat, ruft sie die Linke dazu auf, sich von der liberalen Demokratiebewegung abzusetzen.

In der kleinen russischen Linken scheint das eine Minderheitenposition zu sein. Zahlreiche linke Gruppen nahmen an den Protesten gegen Nawalnyjs Inhaftierung teil.