Die Impfkampagne verläuft schleppend, ein neuer Beauftragter soll es richten

Zauderer und Drängler

Eine veränderte Impfreihenfolge, ein neuer Impfbeauftragter und ein dreister Bürgermeister: In Deutschland kommen die Impfungen gegen Covid-19 nur schleppend voran.

Ein Bekannter, von Beruf Förderschullehrer in Hamburg, nahm Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beim Wort. In der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin« sagte dieser einen Tag vor dem digitalen Bund-Länder-Treffen am Montag voriger Woche, dass Erzieher, Grund-, Sonder- und Förderschullehrer ab März ein »Impfangebot« erhalten könnten. Bundeskanzlerin ­Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder hatten Spahn beauftragt, zu prüfen, ob mit der geplanten Öffnung von Schulen und Kindertagesstätten in zehn von 16 Bundesländern deren Personal in der Impfreihenfolge nach vorne rücken könnte. Er hatte einen entsprechenden Änderungsentwurf vorgelegt, den die Ministerpräsidenten noch am selben Abend absegneten.

Der Bekannte wählte also die Nummer des Ärztlichen Bereitschaftsdiensts und führte wider Erwarten ein unkompliziertes Gespräch. Er solle sich eine Bescheinigung vom Schulleiter ausstellen lassen und ein weiteres Mal anrufen, um einen Impftermin zu erhalten. Ende März ist er im Impfzentrum in den Messehallen für die erste von zwei Impfungen gegen Covid-19 vorgemerkt. Von dem reibungslosen Verlauf in diesem Fall sollte man aber nicht aufs Ganze schließen: Seit Wochen wird neben der Diskussion über die Lockerung der Coronamaßnahmen (Feierabend für das Virus) beharrlich über die richtige Impfstrategie gestritten. Neidvoll gehen die Blicke nach Großbritannien, Israel und jüngst auch gen Türkei.

Die Bundesregierung hat jüngst auf die schleppend angelaufene Impfkampagne reagiert und einen Impfbeauftragten ernannt.

Während Anfang März in Deutschland lediglich rund 2,6 Prozent der Bevölkerung die Zweitimpfung erhalten haben, liegt die Quote in Israel bei 37 Pro­zent. Das Land hatte sich im Vergleich zu den EU-Staaten eine große Menge des Impfstoffs von Pfizer/Biontech gesichert und zahlt gemessen an der EU schätzungsweise das Doppelte für jede Dosis des Impfstoffs, den das US-ame­rikanische Unternehmen Pfizer mit seinem deutschen Partner Biontech entwickelt hat. Zudem sind fast alle der etwa neun Millionen Israelis in elektronischen Gesundheitsdatenbanken erfasst. Wie die Jüdische Allgemeine berichtete, warf das Jerusalemer Israel Democracy Institute der Regierung vor, dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer Zugang zur Impfdatenbank des Landes zu gewähren, um im Gegenzug schneller Impfdosen von der Firma zu erhalten. Vor wenigen Wochen hatte Israel einen Pass eingeführt, der Geimpften und Genesenen den Besuch von Fitnessstudios, Theatern, Hotels und Sportereignissen ermöglicht.

Die Regierung in Großbritannien hatte hingegen eine andere Strategie verfolgt und mit Notzulassungen gearbeitet, weshalb die Impfungen dort bereits Anfang Dezember begannen. Außerdem verlängert sie den zeitlichen Abstand zwischen den zwei Impfungen, damit ein größerer Teil der Bevölkerung einen gewissen Schutz durch die erste Impfung erhält. Knapp ein Drittel der Bevölkerung hat dort mittlerweile mindestens eine Impfung erhalten, in Deutschland sind dies lediglich knapp fünf Prozent.

Obwohl die Impfkampagne in der Türkei zwei Wochen später als in Deutschland losging, wo der offizielle Beginn am 27. Dezember war, sind dort bereits mehr Menschen geimpft als in Deutschland, über acht Prozent der Bevölkerung haben eine Erstimpfung erhalten. Die Regierung bezieht aber den Impfstoff des chinesischen Herstellers Sinovac, über eine Mobilfunk-App haben Ärzte Zugriff auf die Zentraldatenbank des Gesundheitssystems.

In Deutschland und der EU wollte niemand die Verantwortung für die Notzulassungen übernehmen, hier wird die Strategie der »bedingten Marktzulas­sung« nach einem »beschleunigten Verfahren« bevorzugt. Einem Bericht der Deutschen Welle zufolge werden hierbei unter anderem mehr Daten vor und nach der Zulassung überprüft und die Hersteller nicht aus der Haftung entlassen, falls etwa unvorhergesehene Nebenwir­kungen auftreten. Auch ist aus Datenschutzgründen in Deutschland eine digitale Patientenakte noch nicht realisierbar. Ähnlich verhält es sich mit Pässen für Geimpfte. Unter anderem die Minister Jens Spahn und Horst See­hofer (CSU) warnten vor einer Ungleichbehandlung von Geimpften und ­Un­geimpften.

Anfangs wurde die von der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts vorgeschlagene Impf­reihenfolge von der Bevölkerung weitgehend akzeptiert, obwohl beispielsweise die Nichtpriorisierung von Menschen mit Behinderung kritisiert wurde (Verteilungs­kämpfe um die Spritze). »Die Schwächsten zuerst schützen« lautet das Motto der Bundesregierung. Die derzeit gültige Rechtsverordnung vom 8. Februar, die am 24. Februar um die Höherstufung des Schul- und Kitapersonals ergänzt wurde, legt die Reihenfolge fest: Die höchste Priorität haben die über 80jährigen, Menschen in Pflege­heimen sowie das Personal auf Intensivstationen, in Notaufnahmen und bei Rettungsdiensten. Die zweithöchste Priorität haben die 70- bis 80jährigen, Menschen mit Trisomie und Demenz sowie neuerdings das Personal an Grundschulen und Kitas. In der dritten Gruppe befinden sich die 60- bis 70jährigen, Mitarbeiter von ­Polizei und Feuerwehr sowie Personal im Lebensmitteleinzelhandel.

Die Höherstufung von pädagogischem Personal erfolgte zwar im Schnellverfahren, jedoch folgt sie pragmatischen Überlegungen zum britisch-schwedischen Impfstoff von Astra-Zeneca. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sind bisher nur 15 Prozent der gelieferten 1,4 Millionen Dosen dieses Impfstoffs verimpft worden. Berichte über Nebenwirkungen, die fehlende Empfehlung für Menschen über 65 Jahren seitens der Stiko sowie falsch verstandene Statistiken zur Wirksamkeit haben in der Bevölkerung zu großen Vorbehalten gegen den Impfstoff geführt.

Obwohl die Europäische Arzneimittel­agentur das Medikament ohne Alters­beschränkung zugelassen hatte, wich die Stiko von dieser Einschätzung ab. Ihr zufolge lagen für die Wirksamkeit des Impfstoffs bei über 65jährigen im Januar nicht ausreichend Daten vor. »Bevor er liegen bleibt, impfen, wer will. Es darf keine Dosis übrig bleiben oder weggeschmissen werden«, forderte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der Bild am Sonntag.

Im Zuge der Debatte über die Schul- und Kitaöffnungen wurde schließlich entschieden, das Personal unter anderem mit Astra-Zenecas Vakzin zu impfen. Außerdem kündigte der Vorsitzende der Stiko, Thomas Mertens, in der vorigen Woche im ZDF an, die Empfehlung für Astra-Zeneca zu überdenken, da neue Daten, wie die aus einer Studie aus Schottland, eine bessere Einschätzung erlaubten. »Das Ganze ist einfach irgendwie schlecht gelaufen«, entschuldigte er sich reumütig. Ob eine neue Empfehlung das Vertrauen in den Impfstoff wiederherstellen kann, ist unklar. Hinzu kommt das Problem anhaltender Impfabneigung in Deutschland. In einer kürzlichen veröffent­lichten Studie der Bertelsmann-Stiftung stimmten 34 Prozent der Befragten der Aussage zu, sich »auf keinen Fall« impfen zu lassen.

Die Bundesregierung hat jüngst auf die so schleppend angelaufene Impfkampagne reagiert und am Montag den von Bundesfinanzminister Olaf Scholz vorgeschlagenen Christoph Krupp (beide SPD) zum »Impfbeauftragten« ernannt. Aufgabe von Krupp, langjähriger Chef der Hamburger Senatskanzlei ­unter dem damaligen Ersten Bürgermeister Scholz, ist es, die Impfstoffproduktion »anzukurbeln«, wie er dem NDR in der Sendung »Hamburg-Journal« sagte. Die Hersteller seien zwar guten Willens, bräuchten aber Abnah­me­sicherheit, bevor sie die Produktion hochführen. Mit seiner zehnköpfigen Einsatzgruppe soll er nun Genehmigungsverfahren beschleunigen und Abnahmegarantien auch für »Reserve-­Kapazitäten« vereinbaren. Er rechnet bereits im Mai mit fünf anstatt der derzeit drei eingesetzten Impfstoffe.

Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) wollte nicht so lange warten und ließ sich bereits Mitte Januar impfen, obwohl er noch gar nicht an der Reihe war. Er begründete dies anfangs so, dass er übriggebliebene Impfdosen genutzt habe, und verstrickte sich in der Folge in Widersprüche. Das Landesverwaltungsamt hat ein Disziplinarverfahren gegen ihn und zwei Landräte eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft hatte Ende Februar Wiegands Büro und Räume des städtischen Gesundheitsamts sowie des Impfzen­trums wegen des Verdachts auf Veruntreuung des Impfstoffs durchsucht. Die Koalitionsfraktionen wollen Verstöße gegen die Impfreihenfolge künftig als Ordnungswidrigkeit einstufen und ein Bußgeld von bis zu 25 000 Euro erheben.