Eine Verteidigung der Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« gegen linke Kritiker

Besser als jede Genossenschaft

Die Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« will, dass die Wohnungen großer Immobilienkonzerne in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Das ist ein gutes Modell zur Vergesellschaftung von Wohnraum.
Disko Von

Mieten und Immobilienpreise steigen, bezahlbare Wohnungen sind vielerorts Mangelware. Welche wohnungspolitischen Maßnahmen könnten die Situation verbessern? Ernst Lohoff argumentierte, Grund und Boden zu kommunalisieren, würde mehr zur Lösung der Wohnungsfrage beitragen, als große Immobilienkonzerne zu vergesellschaften, wie es die Berliner Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« fordert.

Das Sammeln von Unterschriften für das Berliner Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« ist in vollem Gange. 2 000 in irgendeiner Form Aktive zählt die Kampagne für die Vergesellschaftung kommerzieller Wohnraumanbieter, die über Eigentum an mehr als 3 000 Wohnungen in Berlin verfügen. Es kann von einer sozialen Bewegung gesprochen werden.

Entstünde die vorgeschlagene Anstalt öffentlichen Rechts zur Verwaltung der vergesellschafteten Wohnungen, wäre diese einer der größten Arbeitgeber Berlins.

Die Mieterbewegung, aus der die Kampagne hervorgegangen ist, unterscheidet von anderen sozialen Bewegungen, dass das Verständnis davon, wie Kapitalismus funktioniert, sehr ausgeprägt ist. Die meisten wissen, dass Wohnraumeigentümer sowie Aktionäre von Wohnungsunternehmen einerseits und Mieter andererseits antagonistische Interessen haben. Der Vermieter kann den Mieter von der Nutzung ­seines Wohneigentums ausschließen, wenn dieser die Miete nicht mehr bezahlt. Es ist für den Vermieter am besten, den Mieter loszuwerden, wenn mit einem anderen Mieter mehr Profit gemacht werden kann. Jeder Euro, der in Sanierungen und Instandhaltung gesteckt wird und dem Mieter das Wohnen angenehmer macht, schmälert den Gewinn des Vermieters, zumindest kurzfristig.

Die Mieter- und auch die »Recht auf Stadt«-Bewegung sind deshalb ein lohnendes Feld für marxistische Kritik und Agitation. So gut wie jede linke Zeitschrift hat daher in den vergangenen Monaten eine Schwerpunktausgabe zur »Wohnungsfrage« veröffentlicht. Die wertkritische Gruppe Krisis ver­öffentlichte vergangenes Jahr in der Reihe Krisis-Beiträge den knapp 70seitigen Text »Warum das Wohnen unbezahlbar wird und was dagegen zu tun ist« von Ernst Lohoff. Lohoffs Diskus­sionsbeitrag in der Jungle World lässt sich in einem Satz von ihm zusammenfassen: »Die Wohnungsfrage ist letztlich eine Bodenfrage.« Das ist nicht falsch, sagt aber nichts darüber aus, ob die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen den Mietern, die in deren Wohnungen wohnen, helfen und wie sie sich auf die Mietpreise der übrigen Wohnungen in der Stadt auswirken würde.

Dass der Faktor Grund und Boden bei der Analyse der Wohnungsfrage berücksichtigt werden muss, ist nicht die neueste Erkenntnis. Grund und Boden lässt sich nicht bewegen – im Gegensatz zu Mieterinnen und Mietern, die, wenn sie nicht mehr bereit oder fähig sind, immer höhere Mieten zu bezahlen, in unattraktive Lagen verdrängt werden. Zudem lässt sich die Immobilienfläche nicht beliebig vergrößern, auch wenn in die Höhe gebaut werden kann. Lohoff verweist auf den im vorigen Jahr verstorbenen ehemaligen sozialdemokratischen Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Hans-Jochen Vogel. Dieser schrieb 2019 in seinem viel beachteten Buch »Mehr Gerechtigkeit!«, dass die Wertsteigerung von Grundeigentum erst durch staatliche Maßnahmen in Gang komme. Erst die Erschließung mit Straßen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Strom und Wasser sowie baurechtliche Genehmigungen machten aus einem Acker ein begehrtes Stück Bauland. Durch Bodenspekulation erzielte Gewinne sollten nach Ansicht Vogels besteuert werden, um das Spekulieren mit Bauland unattraktiv zu machen. Zudem sollte noch in staatlicher Hand befindliches Land nicht mehr verkauft, sondern nur noch verpachtet werden.

Als Linksradikaler möchte Lohoff, dass Grund und Boden »ihres Warencharakters entkleidet und aus der Reihe möglicher Anlagegegenstände herausgenommen« werden. Das klingt vielleicht anders, kommt aber aufs Gleiche hinaus. So radikal ist Lohoffs Kritik nicht, blickt man in die Ideengeschichte zurück. Sogar liberale Denker des 19. Jahrhunderts wie John Stuart Mill schätzten die Grundrente nicht, wovon dessen Poesiealbumspruch »No man made the land« gegen die Generierung leistungsloser Einkommen zeugt.

Bei Lohoff findet sich eine typische linksradikale – in sich unlogische – Argumentation gegen sofort mögliche politische Maßnahmen wie den »Mietendeckel« oder die Vergesellschaftung bestimmten Immobilieneigentums. Einerseits verweist Lohoff auf die derzeitigen bundespolitischen Kräfte­verhältnisse. Mit dem zuständigen Bundesminister für Inneres, Bau und Heimat, Horst Seehofer, sei kein »bundesweiter ›Mietendeckel‹« zu haben. Andererseits soll gleich der ganze Boden kommunalisiert werden. Wie das gehen soll, wenn nicht einmal ein solcher »Mietendeckel« politisch durchzusetzen sei, sagt er nicht.

In Deutschland teilt sich der Wohnungsbestand in 53,5 Prozent Mietobjekte und 46,5 Prozent Wohneigentum auf. Die Mehrheit der Bevölkerung wohnt zur Miete. Das ist in den meisten europäischen Ländern anders. In Berlin, wo am Tag der Bundestagswahl über das Volksbegehren und damit über ­einen deutlichen Kurswechsel in der Wohnungspolitik abgestimmt werden könnte, wohnt ein deutlich größerer Anteil der Bevölkerung zur Miete als im Bundesdurchschnitt. Hier verteilt sich der Wohnungsbestand zu 84,7 Prozent auf Miet­objekte und zu 15,3 Prozent auf Wohneigentum.

Das spräche für einen Erfolg des Volksbegehrens, sollte man meinen. Ganz so klar ist die Sache vermutlich nicht. Viele Wohneigentümer, die über weniger als 3 000 Wohnungen verfügen, wissen wohl, dass ein großer gemeinnütziger Wohnungssektor mit günstigen Mieten de facto ihr Eigentum entwerten würde, was auch kleinere Eigentümer besonders mobilisieren dürfte. Schwer einzuschätzen ist, ob und in welchem Maße auch bei Mietern die von Konservativen und ­Liberalen bemühte Vorstellung, wenn man Immobilienkonzerne vergesellschafte, glichen die Verhältnisse in Berlin bald denen in Venezuela, Zustimmung findet. Auch Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften, die über ­einen ähnlichen sozialen Status wie Wohneigentümer verfügen und ähnlich denken, lehnen das Volksbegehren ­offenbar ab. Die Wohnungsgenossenschaft Möckernkiez e. G. in Berlin-Kreuzberg drohte ihren Mietern, ebenfalls Genossenschaftsmitglieder, dem Neuen Deutschland zufolge kürzlich mit einer »gegebenenfalls fristlosen Kün­digung«. Anlass seien »mehrere an der Fassade des Kreuzberger Wohnkomplexes angebrachte Banner, die für das Volksbegehren ›Deutsche Wohnen und Co. enteignen‹ werben«, gewesen.

Obwohl Genossenschaften gemeinnützig und ihrer Form nach keiner Profitlogik unterworfen sind, dienen sie nicht der Allgemeinheit, sondern sind nur ihren Mitgliedern verpflichtet. Wer dazugehört, bestimmen sie erst mal selber. Zudem müssen Genossenschaftsanteile gezahlt werden. Die Möckernkiez e. G. fordert für eine Wohnung mit 100 Quadratmetern, dass Genossenschaftsanteile im Wert von 91 000 Euro gezeichnet werden, hinzu kommt eine Nettokaltmiete zwischen 8,62 und 13,04 Euro pro Quadratmeter. Da regelt bereits der Preis, wer die Vorzüge dieser angeblich sozialen Wohnform genießen kann. »An die Stelle der renditeorientierten Immobilienwirtschaft muss eine genossenschaftliche Selbstorganisation treten«, schreibt Lohoff in seinem Krisis-Text. Diesen Satz würde vermutlich jedes Mitglied der Möckernkiez-Genossenschaft unterschreiben. Wie das funktionieren soll, lässt Lohoff unbestimmt.

Dabei ist doch gerade das interessant. Klar ist bei Lohoff nur, dass der Staat den Bau und die Verwaltung von Wohnraum nicht übernehmen soll, beispielsweise über die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Ein treffendes Argument von Lohoff aber bleibt, dass bei einer Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen die Gefahr besteht, dass die betreffenden Wohnungen bei anderen politischen Kräfteverhältnissen wieder verkauft werden könnten.

Leider gibt es genug Beispiele, die Lohoffs Ablehnung von Staatswirtschaft stützen. Die dem Land Berlin gehörenden Wohnungsbaugesellschaften funktionieren als selbständige Unternehmen kaum anders als die privatwirtschaftliche Konkurrenz. Das erwirtschaftete Geld geht zwar in den Landeshaushalt, es wird aber auf ähnliche Weise Profit gemacht. Versuche, kritische Mieter von Wahllisten zu Mieterbeiräten zu bekommen, zeugen auch nicht von wirtschaftsdemokratischen Vorstellungen.

Lohoff macht sich allerdings nicht die Mühe, sich anzusehen, wie die Vergesellschaftung von über 200 000 Wohnungen in Berlin nach Vorstellungen der Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« aussehen soll. Dabei hat die Kampagne in einer Broschüre und bei Veranstaltungen ihre Ideen hierzu vorgestellt. Geschaffen werden soll eine »Anstalt öffentlichen Rechts« (AöR). Die AöR wäre als solche unverkäuflich. In ihrem Verwaltungsrat säßen gewählte Vertreter der Mieter, AöR-Beschäftigte, zu wählende Vetreter der Stadtgesellschaft und Senatsvertreter.

Somit wären entscheidende soziale Gruppen und politische Gremien an der Verwaltung der Wohnungsbestände beteiligt. Um diese mieternah zu orga­nisieren, soll es zudem Siedlungsräte und Gebietsmieterräte geben. Enstünde diese AöR, wäre sie einer der größten Arbeitgeber Stadt und hätte direkten Einfluss auf die bei Bau, Sanierung und Instandhaltung von Wohngebäuden herrschenden Arbeitsbedingungen. Das ist bei einer Branche, die mal einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad besaß, bevor die Aktiengesellschaften auftauchten und die dortige Arbeitswelt umstrukturierten, nicht unwichtig.

Lohoff und andere Wertkritiker sind stark, wenn es um die Analyse ökonomischer Verhältnisse geht. Wenn aber konkret gefragt wird, wie im real existierenden Kapitalismus in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen etwas verändert werden könnte, sind sie schwach.