Platte Buch: Mithu Sanyal: »Identitti«

Out of Karlsruhe

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Der Titel des Romans von Mithu ­Sanyal – »Identitti« – verheißt ein Spiel mit Identitäten. Allerdings geht es schon bald ziemlich heftig zu, und man rechnet fast schon damit, dass irgendwann Blut fließt. Prof. Dr. Saraswati, eine charismatische Dozentin für Postcolonial Studies, wird entlarvt: Sie ist gar keine Inderin, wie sie immer behauptet hat, sondern eine Weiße, die langweiligerweise aus Karlsruhe kommt. Öffentlich gemacht wird ihre Herkunft von ihrem Bruder, der sich als Halbbruder entpuppt. Er stiftet eine Studentin seiner Schwester an, in deren Wohnung Beweise für seine Behauptung zu suchen und zu stehlen. Nivedita, die nicht nur bei Saraswati studiert, sondern auch heimlich in ihre Profes­sorin verliebt ist, fühlt sich verraten und verletzt und verlangt Erklärungen. Der unvermeidliche Shitstorm zieht herauf.

Die abendländische Romantradition hat Leser und Leserinnen dazu erzogen, immer zum Hochstapler zu halten – Hochstaplerinnen gab es bisher eher selten. Saraswati macht es ihrem Publikum allerdings nicht leicht, Partei zu ergreifen. Absolut von sich überzeugt, winkt sie ab. »Was regt ihr euch auf? Ich hab meine Professur ja schließlich, weil ich bewiesen habe, dass Identitäten allesamt soziale Konstrukte sind«, wiegelt sie ab. Wenn man genderfluid sein kann, wieso nicht auch racially fluid? Fällt ihr gerade kein Argument ein, erfindet sie einfach ein paar false facts. Nicht alle falschen Fährten werden im Buch aufgeklärt, und wenn man erst mal Saraswatis Trick durchschaut hat, will man dauernd ihre Behaup­tungen überprüfen. Auf diese Weise wird der Hochstaplerroman zum Bildungsroman. Warum zum Beispiel Rudyard Kipling, der Dichter des britischen Kolonialreichs und Verfasser des »Dschungelbuchs«, mehrfach zitiert, aber nie namentlich genannt wird, bleibt ein Rätsel, wie so vieles an diesem gedankenreichen, verwirrenden und eigentlich ungeheuer witzigen Roman mit seinem überraschenden Ende, das hier natürlich nicht einmal angedeutet wird.

Mithu Sanyal: Identitti. ­Carl-Hanser-Verlag, München 2021, 431 Seiten, 22 Euro