Homestory

Homestory #15

Wer bei der Jungle World arbeitet, steht der Macht fern. Schon mal aus Prinzip. Oder nur, weil uns noch niemand ein verlockendes Angebot gemacht hat? Nein, nein, natürlich aus Prinzip! Andererseits kann man der Macht auch zufällig nahe kommen – oder wenigstens einem ehemals sehr Mächtigen. So kam einst einem früheren Kollegen im Bundestag Helmut Schmidt aus dem Fahrstuhl entgegen, der Wind der Geschichte wehte ihn – den Kollegen, nicht den Altkanzler – fast um. Ein Redakteur stand für einen kurzen Moment dem Dalai Lama sehr nahe, dafür soll es ein Beweisfoto geben, das allerdings verschollen ist. Wirklich mächtig ist der Dalai Lama zwar nicht mehr, aber vielleicht kann man bei so einer Gelegenheit ein bisschen Karma absaugen und sich eine günstige Wiedergeburt sichern; leider können wir den Kollegen erst im nächsten Leben fragen, ob das geklappt hat.

Sieht man ab von Gelegenheiten wie jener, bei der der damalige Inlandsredakteur bei einer Pressekonferenz von Helmut Kohl gescholten wurde, weil er diesen nicht mit »Herr Doktor Kohl« angesprochen hatte, und von jener Kollegin, die sich als »professionelle Promi-Sichterin« bezeichnet und die sämtliche sechs letzten Bundespräsidenten sowie George Clooney (ja, ja, ein Schauspieler, aber er könnte Vizepräsident der USA unter Kamala Harris werden) erspäht hat, war der Kontakt zu den Mächtigen rar und zufällig. Und auch der zu den nicht so mächtigen Politikerinnen und Politikern. Immerhin, eine Redakteurin hat mal Wangenküsse mit spanischen Podemos-Abgeordneten ausgetauscht, von denen einige nun Regierungsverantwortung tragen. Es gibt Kollegen, die am Tisch neben dem von Renate Künast und Bernd Riexinger diniert haben oder auf ihrem Fahrrad neben Anton Hofreiter an einer roten Ampel warteten. Einer stand auf dem Flughafen von Tiflis mal neben Martin Sonneborn am Pinkelbecken.

Während diese Begegnungen eher nicht in die Geschichtsschreibung Eingang finden werden, gab es einen Vorfall, der von historischer Tragweite hätte sein können. Hier handelte es sich, wie es sich in Jungle World-Tradition geziemt, um einen Zusammenstoß mit einem Mächtigen, na ja, streng genommen um einem Beinahe-Zusammenstoß. Eine ehemalige Redakteurin wäre nämlich fast gestolpert über die Macht in Gestalt von Armin Laschet, den sie, obwohl selbst keine Riesin, bei einer CDU-Veranstaltung übersehen hatte. Ein beherzter Leibwächter machte sie gerade noch rechtzeitig auf das Vorhandensein des Politikers aufmerksam und verhinderte, dass Laschet übergangen wurde. Ein wie eine Schildkröte auf dem Boden liegender Laschet mit einem Stiefelabdruck auf dem Bauch – hätte seine Karriere auch diese Blamage überstanden?

Laschet hat sich zahlreiche Spitznamen wie »der Zauderer« und »die Pfeife« redlich verdient. Man nennt ihn aber auch »den Hobbit«, was diskriminierend für die bedrohte indigene Bevölkerungsgruppe in Mittelerde ist, die ihren Mangel an Körpergröße bekanntlich durch Tapferkeit, Geschick und Teamgeist ausgleicht. So etwas sollte in einer zivilisierten Welt nicht nötig sein. Aber wie ist es in Deutschland? Ist Markus Söders Ähnlichkeit mit dem Ork-Häuptling Azog purer Zufall? Wir wissen es nicht, sicher ist hingegen, dass man Söder weder übersehen noch umrennen würde. Dennoch scheint es, als habe Laschet Söder geschickt umkurvt. Hartnäckig hält sich jedoch die Ansicht, dass man, nicht um eine geringe Körpergröße zu kompensieren, aber um ins Kanzleramt einzuziehen, über so etwas wie Qualifikation verfügen müsste. Sollte Laschet es trotzdem schaffen, hat er das letztlich der Humanität der Jungle World zu verdanken, die gebietet, selbst CDU-Politiker nicht über den Haufen zu rennen.