Die völkische Strömung der AfD hat das Wahlprogramm maßgeblich beeinflusst

AfD fliegt Höcke zu

Auf einem Präsenzparteitag in Dresden hat die AfD ihr Programm für die Bundestagswahl beschlossen. Dabei konnte sich die völkisch-nationale Strömung durchsetzen.

Antifaschistinnen und Antifaschisten mussten am vorvergangenen Wochenende sehr früh aufstehen, um ihren Unmut gegen den Bundesparteitag der AfD in Dresden kundzutun. Bereits um sieben Uhr am Samstagmorgen begannen an zwei Orten in der Stadt Fahr­raddemonstrationen. Eine Stunde später waren die meisten Zufahrtsstraßen zur Halle 1 des Dresdner Messezentrums, in dem sich die Delegierten der AfD treffen wollten, blockiert. Rund um eine Kundgebung des Bündnisses »Dresden nazifrei« herrschte rege Betriebsamkeit. Immer wieder setzten sich Fahrradkorsos in Bewegung und lieferten sich ein Katz- und Mausspiel mit der Polizei. Die Zufahrtsstraßen wurden durch die Demonstranten blockiert. Ein Großteil der AfD-Funktionäre musste deshalb schließlich unter Polizeischutz über die Wiesen der Dresdner Flutrinne auf den Parkplatz des Messezentrums geleitet werden. Mit einer knappen Stunde Verspätung wurde der Bundesparteitag am Vormittag dann eröffnet.

Mitten in einer der größten gesell­schaftlichen Krisen der Nach­kriegs­zeit verspricht die AfD, einen Zustand wiederherzustellen, den ihre Wähler­innen und Wähler für normal halten.

Die AfD wollte auf ihrem 12. Bundesparteitag das Wahlprogramm für die Bundestagswahl am 26. September verabschieden. Vollmundig verkündete Tino Chrupalla, neben Jörg Meuthen einer der beiden Bundesvorsitzenden, in seiner Eröffnungsrede, dass man sich versammelt habe, um Geschichte zu schreiben: »Dieser Bundesparteitag wird als der Dresdner in Erinnerung bleiben. Denn heute geht es um nichts weniger als um den Aufbruch für Deutschland.« Er appellierte an Einigkeit und Geschlossenheit, denn »die innerpolitischen Kleinkriege der letzten Monate« seien »Wasser auf die Mühlen unserer politischen Gegner«.

Große Wirkung hatten seine Worte nicht. Immer wieder flammten im Laufe des Parteitags die Flügelkämpfe zwischen dem völkisch-nationalen Lager um Björn Höcke und dem national­liberalen Lager um Meuthen auf. Die Wahl der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten war kein Programmpunkt des Parteitags, als zu groß wurde die Gefahr eingeschätzt, dass sich die Partei darüber auf offener Bühne entzweit. Nun soll die Basis darüber entscheiden.

Höckes erster Erfolg auf dem Parteitag war die Verabschiedung einer Resolution gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie am Samstag. Zwar hatte auch Meuthen in seiner Eröffnungsrede die Coronapolitik der Bundesregierung als »Verbots­orgien«, »Einsperren« und »Lockdown-Wahnsinn« kritisiert, jedoch ging die Resolution weit über Meuthens Vorstellungen hinaus. Sie lehnt nahezu alle derzeit geltenden Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ab. Die Partei spricht sich damit deutlich gegen jegliche Varianten eines Lockdowns, gegen Masken- und Testpflicht aus.

Diese Resolution kann als Versuch ­eines Brückenschlags zu »Querdenkern« und anderen gegen die Coronamaßnahmen Demonstrierenden verstanden werden. Sie passt auch gut zum Motto des Wahlprogramms: »Deutschland. Aber normal.« Mitten in einer der größten gesellschaftlichen Krisen der Nachkriegszeit verspricht die AfD, ei­nen Zustand wiederherzustellen, den ihre Wählerinnen und Wähler für ­normal halten.

Zu behaupten, die eigenen völkischen Positionen seien das eigentlich Normale und stimmten mit den Ansichten des »kleinen Mannes« überein, ist eine bekannte Strategie der Neuen Rechten. Bereits im Februar 2017 hatte Götz Kubitschek, ein Mitgründer des Instituts für Staatspolitik (IfS) und Ideologe der Neuen Rechten, in einem Ar­tikel in der vom IfS herausgegebenen Zeitschrift Sezession mit dem Titel »Selbstverharmlosung« gefordert, »die ›emotionale Barriere‹ einzureißen, die zwischen dem Normalbürger und seiner Hinwendung zur politischen und vorpolitischen Alternative aufgerichtet« sei. Kubitschek zufolge verhindere ­diese »emotionale Barriere« die unbefangene Beschäftigung der Wählerinnen und Wähler »mit den Themen, dem Personal, den Auftritten der Alternativen für Deutschland«.

Rund 180 Änderungsanträge zum Programmentwurf der Bundesfachausschüsse der AfD lagen vor. Eine emotional aufgeheizte Debatte lieferten sich die Delegierten bei der Frage nach dem Verbleib von Deutschland in der Europäischen Union. Sowohl Meuthen als auch der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland argumentierten gegen die Forderung nach einem sofortigen und bedingungslosen Austritt ­aus der EU. Meuthen wies auf die neuen Bündnisse in der EU mit der ungarischen Fidesz und anderen rechten Parteien hin. Gauland mahnte, dass ein Austritt von den europäischen Partnern falsch verstanden werden könne. Am Saalmikrophon gab es immer wieder scharfe Angriffe gegen diesen Kurs. Der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse aus Bautzen be­endete seinen Beitrag mit den Worten: »Die EU muss sterben, damit Deutschland leben kann.« In bisherigen Programmen waren die Passagen zu einem möglichen EU-Austritt Deutschlands sehr vage formuliert und ließen Interpretationsspielräume. Dahinter lag die Absicht, eine möglichst große Spannbreite potentieller Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Die Mehrheit der Delegierten stimmte dafür, die Forderung eines EU-Austritts in das Bundestagswahlprogramm aufzunehmen. Dies ist ein weiterer Schritt der Radikalisierung der Partei.

David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander ­e. V. in Sachsen-Anhalt schrieb noch am Samstag auf dem Nachrichtendienst Twitter: »Der #AfDBPT21 setzt einen nach dem anderen Punkt der Agenda der völkischen Nationalisten um.« Wenn es innerhalb der AfD die Strategie gegeben haben sollte, durch ein gemäßigtes Auftreten einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen, dann ist diese gescheitert. Im Wahlprogramm werden nun auch die Rückkehr zu Grenzkontrollen und »physischen Barrieren« wie Grenzzäune und das Ende jeglichen Familiennachzugs für Flüchtlinge gefordert.

Auch bei letzterem Antrag war es ein Redebeitrag Höckes, der stürmischen Applaus unter den Delegierten auslöste. Martina Renner, die Sprecherin für antifaschistische Politik der Bundestagsfraktion der Linkspartei, re­sümierte im Gespräch mit der Jungle World: »Nach wie vor sind Rassismus, extremer Nationalismus und der Hass gegen alles Linke oder Humanistische die verbindenden Elemente der AfD.«

Auch in seiner Trans- und Homo­feindlichkeit ist das Wahlprogramm der AfD nur schwer zu überbieten. ­»Diffamierungen und Verzerrungen von Geschlechtsidentitäten und Familienmodellen aus rechtskonservativen Kreisen sind nichts Neues, aber eben auch höchst alarmierend«, sagte Franziska Lang, Vorstandsmitglied von Gerede e. . der Jungle World. Als Interessenvertretung von LSBT bietet der Verein Beratungs-, Begegnungs- und Bildungsangebote an, die sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einsetzen. Durch die Änderungsanträge der Delegierten wurden die Positionen der AfD in diesem Bereich deutlich verschärft. »Dass sich die AfD immer wieder LSBTIQ*-feindlich äußert und diese menschenverachtenden und brandgefährlichen Ideologien mit ihrem ­Wahlprogramm in die breite Gesellschaft trägt, ist nicht wort- und tatenlos ­hinzunehmen«, meint Lang.

Die Partei will die dritte Geschlechtsoption neben männlich und weiblich entgegen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 wieder abschaffen. Zudem wurde die Forderung nach einem Verbot von geschlechtsanpassenden Maßnahmen bei transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen in das Wahlprogramm aufgenommen. Regenbogenfamilien lehnt die AfD ab. »Durch ideologisch motivierte Desorientierung von linksgrüner Seite soll das in den Familien überlieferte Werte- und Bezugssystem aufgebrochen und durch pseudofamiliäre Leitbilder ersetzt werden«, heißt es dazu im Programm der Partei. Meuthen erklärte darüber hinaus, dass der Unterricht in den Schulen »von ideologischer und sexueller Frühindoktrination unbehelligt« stattfinden solle.

Die Partei hat an diesem Wochenende überdeutlich gemacht, wie ihre »Alternative« aussieht.