Konservative Gedanken in Christoph Türckes Buch »Natur und Gender«

Da kann man nichts machen

In seinem neuen Buch kritisiert der Philosoph Christoph Türcke den von ihm so genannten Machbarkeitswahn in Hinblick auf Geschlecht und Geschlechtsidentität. Seinen interessanten Ausführungen zum Naturrest gesellen sich aber auch kulturpessimistische Töne bei.

Die Youtuberin und selbsternannte »Plastic Queen« Raffa machte einmal in einem ihrer Videos einen ziem­lich guten Witz: Wenn sie gefragt werde, ob sie ihrem Vater oder ihrer Mutter ähnlicher sehe, so laute ihre Antwort: dem Schönheitschirurgen. Raffa wies damit auf humorvolle Weise auf ihre Transsexualität und die damit einhergehenden chirurgischen und kosmetischen Veränderungen hin, die sie auch zu der Frau gemacht haben, die sie jetzt ist.

Während in aktuellen Auseinandersetzungen, insbesondere um Geschlecht und Geschlechts­identität, die Konstruktionen und Diskurse in aller Munde sind, erlaubt sich Christoph Türcke eine folgenschwere Frage: Konstruktionen von was eigentlich?

Dass und wie Menschen sich in einigen Teilen der Welt dank moderner Chirurgie, Medikamenten und Psychotherapie zu Männern und Frauen – oder zu keins von beidem – machen können, treibt auch Christoph Türcke um, seines Zeichens Philosoph und Theologe in der Tradition der Kritischen Theorie. In seinem Anfang des Jahres erschienenen und knapp über 200 Seiten starken Buch »Natur und Geschlecht. Kritik eines Machbarkeitswahns« versucht er, einen weiten Bogen zu schlagen und lässt die Leserinnen und Leser im ersten Teil an seinen beeindruckenden philosophiegeschichtlichen und religionswissenschaftlichen Kenntnissen teilhaben. Von der biblischen Schöpfungsgeschichte über die philosophischen Größen – Platon, Ovid, Kant, Fichte, Nietzsche, Hegel, Foucault, Derrida und Butler – untersucht Türcke die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Naturgegebenheit und dem menschlichen Vermögen zu verändernder Wahrnehmung und Umgestaltung des Gegebenen. Keinen Zweifel lässt der Autor dar­an, woran die aktuellen geisteswissenschaftlichen Analysen seiner Einschätzung nach kranken: an (de-)konstruktivistischen Allmachtsphan­tasien, dem Triumph des Machbaren über das, aus dem gemacht
werde. Diese Phantasien kämen einem »Schöpfungswahn« gleich.

Nicht minder dramatisch zerrt der zuletzt an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst lehrende Philosoph die Transgeschlechtlichkeit in den Mittelpunkt seiner Argumentation und widmet ihr vor allem im zweiten Teil des Buchs seine Aufmerksamkeit. Ob mit Bezugnahme auf frühe, gott- oder vernunftbegründete philosophische Ableitungen, auf späte, molekularbiologische Forschungen zur Natur- und Menschheitsgeschichte oder auf zeitgenössische, dekonstruktivistische Subjekttheorien: Türcke provoziert die Frage nach dem Verhältnis zum »Ansich der Natur«. Während also in aktuellen Auseinandersetzungen, insbesondere um Geschlecht und Geschlechts­identität, die Konstruktionen und Diskurse in aller Munde sind, erlaubt sich der Autor eine folgenschwere Frage: Konstruktionen von was eigentlich?

Als eine Hauptreferenz dient ihm Sigmund Freud, der sich in »Totem und Tabu« mit den frühen Entwicklungsstufen der Menschheit beschäftigte. Dabei haben es die von Türcke gezogenen Verbindungen in sich, denn er unternimmt nicht weniger als den Versuch, psychoanaly­tische Theorie zur Entstehung der Zivilisation mit den biologischen Erklärungsansätzen elementarer Naturgeschichte zu verknüpfen. Im Ritualmord der Stämme erkennt Türcke mit Freud jene Reaktion auf die Gewalt und Grausamkeit der Natur, die psychoanalytisch mit dem traumatischen Wiederholungszwang beschrieben ist.

Doch damit nicht genug: Dessen »Urform« der »Abwehr des ­Schrecklichen zur Schutzsuche beim Schrecklichen« macht Türcke geschichtlich noch weit vor dem Ritualmord, also dem archaischen Menschenopfer, aus. Die Umkehrung des Fluchtimpulses vor dem Grauen der Natur in Anverwandlung, die letztlich Kultur entstehen lasse, drückt sich Türcke zufolge bereits in der Zellteilung aus, die wiederum die »Urform der Konstruktion« darstelle. Die frühe, naturgeschichtliche Opferdarbietung sei der Übergang des Einzellers zur Zellteilung, die als biologische Tatsache in der Zweigeschlechtlichkeit der Keimzellen und der Zellfusion zum Ausdruck komme. Es ist diese, auch triebtheoretisch begründete Bezugnahme auf die Natur als »ein Feld von Kräften«, in dem stets und notwendigerweise ein unzugänglicher Rest verbleibe, der Balsam für diejenigen Leserinnen und Leser sein dürfte, die genug haben von der Rede von der bloßen Selbsterschaffung und -benennung der Geschlechts­identität. Türcke beharrt an dieser Stelle überzeugend auf der Naturstofflichkeit der Welt, die sich letztlich nicht durch die bloße Vorstellungskraft des Menschen in diese oder jene Richtung konstruieren lasse. Demgegenüber betont er immer wieder den »Eigensinn der Natur«, die deshalb nicht »für alle menschlichen Vorstellungen empfänglich« sei.

Dem radikalen (De-)Konstruktivismus, der sich derzeit als besonders neu und subversiv geriere, attestiert Türcke nunmehr einen Kreationismus, der auf Johann Gottlieb Fichtes Selbstsetzung des Menschen zu­rückkomme, auf das Werden aus dem Nichts, der creatio ex nihilo des »absoluten Ichs«. Dieser radikale Idealismus gipfele schließlich in Judith Butlers Kreation einer Materie – und damit Geschlechtern und Sexuali­täten –, die »als ewig prozessierende Nicht-Festgelegtheit«, ganz entgegen ihrer progressiven Verlautbarungen, letztlich keinerlei Widerspenstigkeit der Natur mehr zulasse. Kurzum: Alles erscheint als machbar. Zwar weist Türcke auf Intersexualität und die zwischengeschlechtlichen Körper hin, aber er hält der durch die Queer Theory postulierten Univer­salität des Hermaphroditismus wie auch der Freud’schen Konzeption der ursprünglichen Bisexualität die biologisch begründete Tendenz zur Zweigeschlechtlichkeit entgegen. Eben diese Logik veranlasst den Autor schließlich, das transsexuelle Bedürfnis als hormonbasierte Identifikation zu beschreiben. Kurzum: Sich mit männlichem Geschlechtskörper als Frau zu fühlen, sei ein testos­terobasiertes Gefühl. Die in der Bundesrepublik zuletzt eingeführte Geschlechtskategorie »divers« sei daher als eine »ohne eigenes Natursubstrat« zu verstehen.

So macht sich Christoph Türcke keine Freunde bei transgeschlechtlichen Menschen und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern. Seine scharfe Kritik daran, dass Geschlecht nur noch über persönliches Empfinden der Zugehörigkeit definiert sein solle, gerät vor diesem Hintergrund zwangsläufig in Konflikt mit der politischen Forderung nach konsequenter Selbstbestimmung der Geschlechtszugehörigkeit und dem Verzicht auf obligatorische Begutachtung und ärztliche Krankheitsdiagnosen. Das Eintreten des Philosophen für soziale Rechte und Sicherheit geschlechtlicher Minderheiten droht im zweiten Teil des Buchs auch in einem immer wieder äußerst konsequent formulierten Kulturpessimismus unterzugehen. Er spricht die derzeit unbequemen, aber wichtigen Fragen an, so etwa die eindeutige Zunahme der Frau-zu-Mann-Transi­tionen und das junge Alter der Patientinnen und Patienten für geschlechtsangleichende Maßnah­men, die zunehmende Medikalisierung der Geschlechtsangleichung und die Intensivierung folgenreicher chirurgischer Eingriffe. Dabei beschreibt er die Genderdysphorie interessanterweise als »Magneten für kollektive Verschiebungs- und Verdichtungsvorgänge« und stellt die derzeit gängige psychiatrische Klassifikation in einen größeren Zusammenhang als nur den der individuellen Geschlechtsidentität.

Allerdings kippen Türckes Analysen schließlich in volkspädagogisch ­anmutende Klagen: Tattoos und Piercings gelten ihm als Zeichen fortschreitender kollektiver Beschneidungsbedürfnisse, das Smartphone und soziale Medien führten zur Dauerüberreizung und selbst die Psychoanalyse – so Türcke abschätzig – beschäftige sich nun mit Konzepten des »männlichen Vaginalen«. Eine Erklärung, was genau an Letzterem so absurd sein soll, bleibt der Autor aber größtenteils schuldig und hinterlässt den Eindruck, als wäre die theoretische Überschreitung von Geschlechtergrenzen und die Annahme der Möglichkeit von Transgeschlechtlichkeit in jedem Triebschicksal ein Vergehen an der psychoanalytischen Theorie. Letztlich ist sich Türcke nicht zu schade dafür, den mehr als holprigen und irritierenden Vergleich zwischen Reichsbür­gern und Transpersonen zu ziehen, schließlich würden beide Personengruppen etwas bei Geburt Zugewiesenes von sich weisen.

Bei aller anregenden Rückwendung zur Biologie der Geschlechtlichkeit lässt der Autor in solchen Beispielen wenig Zweifel daran, dass er der Transgeschlechtlichkeit Störungs- und Krankheitswert zuspricht. Vor dem Hintergrund einer stets aggressiveren Debatte über die Transgeschlechtlichkeit und einer fortwährenden Diskriminierung von Transmenschen sind derlei Kommentare wenig hilfreich. Ihnen fehlt auch, worin die Trans-Beautyqueen auf Youtube dem Philosophen voraus sein könnte: die Prise Humor, die den Geschlechtswechsel und letztlich jede Geschlechtsidentität nicht nur als Drama, sondern auch als Witz betrachtet.

Christoph Türcke: Natur und Gender. Kritik eines Machbarkeitswahns. Verlag C. . Beck, München 2021, 233 Seiten, 22 Euro