Der Abzug der US- und Nato-Truppen überlässt Afganistan Islamisten und Warlords

Mission accomplished

Der Rückzug der US- und Nato-Truppen überlässt Afghanistan den Islamisten und Warlords.
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Immerhin 300 Afghanen und Afghaninnen haben wohl die Chance, dem nach einem Abzug der US- und Nato-Truppen drohenden Desaster zu entkommen. Sie haben in den vergangenen Jahren für die Bundeswehr gearbeitet und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) betrachtet es »als eine tiefe Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, diese Menschen jetzt, wo wir das Land endgültig verlassen, nicht schutzlos zurückzulassen«. Ihre Sorge ist berechtigt, steht aber in deutlichem Widerspruch zur »Gemeinsamen Ministererklärung des Nato-Nordatlantikrates zu Afghanistan«, in der behauptet wird: »Ein nachhaltiger Frieden in Afghanistan wird als Grundlage ein dauerhaftes, umfassendes und alle Bevölkerungsgruppen einbeziehendes Friedensabkommen haben.«

Das aber ist das unwahrscheinlichste der nach dem Abzug möglichen Szenarien. Es mag voreilig sein, wenn Hajj Hekmat, ein Taliban-Kommandant in der Provinz Balkh, nun verkündet: »Wir haben den Krieg gewonnen.« Auch in den neunziger Jahren war es den Taliban nie gelungen, das gesamte Land zu erobern. Warlords und rivalisierende islamistische Gruppen verfügen ebenfalls über Militärmacht, dass Pakistan, Russland, der Iran sowie vermutlich auch China und Indien die Lücke füllen werden, die USA und Nato hinterlassen, bringt zusätzliche Bewegung in die Machtverhältnisse. Doch nicht einmal der deutsche Außenminister Heiko Maas dürfte so naiv sein zu glauben, dass die Taliban freiwillig die Macht teilen und auf die Durchsetzung der Sharia verzichten.

Afghanen und vor allem Afghaninnen fürchten nun um die wenigen Rechte und Bildungsmöglichkeiten, die sie genießen. Aber ihr Schutz und der Aufbau einer rudimentären Infrastruktur waren nur zeitweilige Mittel, um die in der Nato-Ministererklärung genannten Kriegsziele zu erreichen: »Al-Qaida und all denjenigen, die die Vereinigten Staaten am 11. September angegriffen haben, entgegentreten sowie Terroristen daran hindern, Afghanistan als Rückzugsgebiet zu nutzen, um uns anzugreifen.« Die Interventionsmächte waren von Anfang an bereit, es mit Demokratisierung und Durchsetzung von Menschenrechten nicht so genau zu ­nehmen.

Bereits am 16. Oktober 2001, neun Tage nach Beginn des Kriegs, befürwortete der damalige US-Außenminister Colin Powell eine Regierungsbeteiligung von »gemäßigten« Taliban, die »willens sind, an der Entwicklung eines neuen Afghanistan teilzuhaben«. Im Laufe der Jahre wurden die Angebote konkreter und vorteilhafter für die Taliban, doch diese zierten sich so lange, bis die US-Regierung 2018 bereit war, direkt und ohne Beteiligung der afghanischen Regierung mit ihnen zu verhandeln. Das Egebnis war die Übereinkunft »Agreement for Bringing Peace to Afghanistan«, in dem die USA im Februar 2020 den Rückzug ihrer Truppen sowie jener der Nato bis Mai 2021 zusagten, während die Taliban versprachen, keine Terrorgruppen mehr zu beherbergen, die die Sicherheit der USA bedrohen, und mit der afghanischen Regierung zu verhandeln.

US-Präsident Joe Biden hält sich also nur an einen von seinem Vorgänger Donald Trump geschlossenen Vertrag, wenn er etwas verspätet die Truppen abzieht, und bringt konsequent zu Ende, was George W. Bush und Barack Obama begannen. Widerspruch aus anderen Nato-Staaten war nicht zu erwarten, schon weil deren militärische Präsenz abhängig von der Luftwaffe und Logistik der USA ist. Zudem herrschte insbesondere in Deutschland schon immer die Meinung vor, dass Afghanistan »sich nicht als Vorzeigedemokratie nach unseren Maßstäben eignet«, wie der damalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg es 2009 formulierte.

Das 2001 in Deutschland geschlossene Petersberger Abkommen teilte die Macht zwischen Warlords und mit den Taliban konkurrierenden Islamistenführern, die drei Jahre später verabschiedete Verfassung stellt die Grund- und Menschenrechte unter die Aufsicht einer Justiz, die den »Bestimmungen der heiligen Religion des Islam« folgen muss. Dass es bei allen Präsidentschaftswahlen Betrug in erheblichem Ausmaß gab, kümmert die Interventionsmächte wenig.

Formal kann nun festgestellt werden: mission accomplished. Osama bin Laden ist tot, al-Qaida und andere islamistische Terrorgruppen haben die Lektion gelernt: Wer nur in islamischen Ländern mordet, hat vom Westen wenig zu befürchten – und kann ein ganzes Land gewinnen. Das ermutigt zu weiteren Eroberungszügen, die derzeit vor allem in institutionell und militärisch schwachen afrikanischen Staaten zu erwarten sind. Vielleicht noch verheerender ist die Wirkung der Lektion, die die Demokratiebewegung in vom Islamismus bedrohten Ländern nun zur Kenntnis nehmen muss: Wer sich mit dem Westen verbündet, kann bestenfalls darauf hoffen, zu den wenigen Glücklichen zu gehören, die rechtzeitig evakuiert werden.