Berlin braucht keine staatlich geförderte »sexuelle Kultur«

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An den Berliner Kultursenator Klaus Lederer richtet sich eine Petition, die die »Erhaltung und Förderung sexueller Kultur und sexpositiver Räume« fordert. Über einen Akt kulturpolitischer Notzucht.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Sexualität wahrhaft erst in einer befreiten Gesellschaft zum Selbstzweck werden könnte. Bereits Platon, mit dem das philosophische Reden über den Eros anhob, stellte das Begehren in den Dienst der Erkenntnis, und seither sind 100 schlechtere Zwecke an deren Stelle getreten, nicht zuletzt das liebe Geld. Von »freier Liebe« heute schon zu sprechen, als ob sie es wirklich wäre, ist deshalb eine Lüge, zu der man sich nicht hinreißen lassen sollte, und es liebt im Stande allgemeiner Unfreiheit wohl am freisten, wer zu Zwecken liebt, die ihm genehm sind, anstatt sich und andere über die Zweckdienlichkeit von Sexualität hinwegzutäuschen.

Die in Berlin »gelebte und offene Sexualkultur« erhöhe nicht nur die »Attraktivität« der Stadt, sondern unterstreiche zugleich – der alte Platon lässt recht herzlich grüßen – »ihren Ruf als Wissens- und Forschungszentrum«.

Und so ist es weder ehrenrührig noch lustfeindlich, über solche Zwecke von Zeit zu Zeit auch mal ein offenes Wort zu verlieren. Nur: Die verzweifelte Unverfrorenheit und verstümmelte Ausdrucksweise, mit der nun ein Konglomerat »Kulturschaffender« das eigene Begehren um den Preis einer kargen Unterhaltszahlung aus dem Hauptstadtkulturfonds in den Dienst der Marke Berlin zu stellen versucht, dürften jeder altgedienten Milieuhure die Sprache verschlagen und auch einem noch so abgebrühten Hartgeldstricher die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Auf dem Portal Change.org lässt sich derzeit eine Petition mit dem Titel »Für die Erhaltung und Förderung sexueller Kultur und sexpositiver Räume in Berlin« finden. Gestellt hat sie der Tänzer, Choreograph, Autor und »Konzeptor« Felix Ruckert. Berlin, so lässt man Klaus Lederer (Senator für Kultur und so), den Adressaten der Petition, darin wissen, profitiere lange schon von »seinem Ruf als liberale und progressive Stadt in Sachen Sexualität und Beziehungsdiversität« – ein »einmaliger Standortvorteil«, der nicht nur anerkannt sein wolle, sondern dringend ausgebaut und, zumal in Zeiten von Corona, finanziell gefördert werden müsse. Die »gelebte und offene Sexualkultur der Stadt« erhöhe nämlich nicht nur deren »Attraktivität«, sondern unterstreiche zugleich – der alte Platon lässt recht herzlich grüßen – »ihren Ruf als Wissens- und-Forschungszentrum«.

Allein, die Deutsche Forschungsgemeinschaft sieht sich hier offenbar nicht in der Pflicht, und auch andere »bereits vorhandene Förderinstrumente« scheinen nicht zu greifen, ist diese sexuelle Kultur Berlins doch ein gar eigenartiges Wesen: »Für konventionelle Kulturpolitik ist sie zu explizit, für die Wissenschaft zu körperbasiert, für die Sozialpolitik zu kreativ.« Und so sieht man sich gezwungen, nicht nur nachdrücklich, unbedingt und überhaupt, sondern auch ganz »grundsätzlich die Schaffung einer Sparte ›Sexuelle Kultur‹ in den Förderprogrammen der Berliner Senatsverwaltung für Kultur« zu fordern.

Von öffentlicher Hand gar wunderbar geborgen soll eine sexuelle Kultur heranreifen, die endlich nicht mehr als »Privatsache« zu gelten hätte und befreit von »Angst und Scham« dazu angetan wäre, »Gemeinsinn und Gemeinschaft zu stärken«, »Liebe und Beziehungen besser zu verstehen«, Berührungen zu »erforschen«, »körperlichen Kontakt und Konsens« zu »lehren«, »persönliche Ermächtigung« zu ermöglichen und »Geschlechterklischees« zu »dekonstruieren«. Das alles dient ganz selbstverständlich der allgemeinen »Gesunderhaltung«, »fördert Diversität und Umsicht in Bezug auf Körperformen, Alter, Herkunft, Beziehungstypen und sexuelle Praktiken, bekämpft Sexismus und beugt Gewalt und Missbrauch vor und ermutigt uns, zufriedene sexuelle Wesen zu sein«, ist also eine super Sache.

Ganz ohne Risiko ist das Projekt für den Standort allerdings nicht. Es stehe nämlich zu befürchten, so räumt der Petitionssteller offenherzig ein, dass die kulturpolitischen Maßnahmen zur Zufriedenstellung »sexueller Wesen« letztlich den Konsum reduzieren könnte: »Wir behaupten, dass Bedürfnisse nach Ersatzbefriedigung und Ablenkung durch Konsum, Drogen und mediale Unterhaltung in den Hintergrund rücken und Menschen in ihrer Gesundheit gestärkt werden, sobald die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse nach sozialer Verbundenheit, emo­tionaler Geborgenheit und sexueller Befriedigung erfüllt sind.« Zumindest dieser Passus birgt ein gewisses Potential für Irritationen, denn es wäre immerhin zu fragen, warum die Senatsverwaltung einer Stadt, die sich zu nicht unbeträchtlichen Anteilen aus dem Tropf der Kulturindustrie nährt und auch ansonsten auf allerlei Konsumsteuern angewiesen ist, eine sexuelle Kultur fördern sollte, die eine allgemeine Einwohnerertüchtigung ausgerechnet zu Lasten dieser fiskalpolitisch altbewährten Geldquelle zu realisieren verspricht.

Dass hier ein Problem, um nicht zu sagen ein Interessenkonflikt, bestehen könnte, dämmert offenbar auch dem betont bunten Kollektivsubjekt, das sich hier so wortreich wie begriffslos Gehör zu verschaffen sucht. Und so will man plötzlich von Förderung nichts mehr gesagt haben, sondern beteuert siegesgewiss, dass sich die »Investition in Pflege und Erhalt von Kulturtechniken für sexuelle Selbstbestimmung« zumindest »langfristig« für die Hauptstadt auszahlen werde.

Allerdings: Würden die geplanten »Orte und Freiräume«, »Organisati­onen«, »Pilotprojekte«, »Workshops« (ganzjährig!), »Seminare« und »Vorträge« tatsächlich etwas Handfestes abwerfen – es wäre dem Problem mit dem Instrument pandemiebedingter Überbrückungszuschüsse gut beizukommen, ohne dass es der Schaffung jener »Sparte ›Sexuelle Kultur‹« bedürfte. Es wird also nicht ganz klar, ob sich Berlin hier dauerhaft etwas leisten soll, das seinen »Ruf als innovative, zukunftsorientierte und diversitätsfreundliche Stadt« stärkt, oder einmalig und ordentlich in »Menschen« investieren möge, »die versuchen, progressive sexpositive Individuen, Gemeinschaften und Organisationen zu vernetzen, um größere gesellschaftliche Wirkung zu entfalten«, so dass die Sache sich am Ende auch in barer Münze auszahlt.

Wie dem auch sei: Es ist Klaus Lederer unbedingt anzuraten, den erwünschten, und sicherlich verhandelbaren, kulturpolitischen Liebeslohn umgehend auszuschütten, verspricht die von Ruckert mit ruhiger Hand und losem Mund geführte Truppe hingebungswilliger Esoteriker, somatischer Mystikerinnen, sexpositiver Aktivisten, lasziver Kulturwissenschaftler, devoter Tanzschülerinnen, einfühlungslüsterner Therapeuten und ergebnisoffener Coaches dem Begriff soft power doch ganz neue Dimensionen abzuringen. Denn es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass die avisierte Feier der Begegnungsfreude, zur rechten Zeit am rechten Fleck als Mitmachtheater inszeniert, dem Messestandort Berlin allein schon deshalb Aufwind verschaffen würde, weil gewisse Spesen, die bislang mühsam umgewidmet werden mussten, nun wahrheitsgemäß unter »kulturelles Rahmenprogramm« verbucht werden könnten. Und auch jenseits eher weicher Standortfaktoren ließe sich die Investition rasch amortisieren. Denn dort, wo man so wohlfeil trötet: »Es bedarf einer neuen sexuellen Kultur. Es bedarf öffentlicher Förderung für eine neue sexuelle Kultur«, da wird man sich gewiss auch gerne vor den Karren einer neuen sexuellen Kulturtaxe spannen lassen.

Andererseits: Warum nicht einfach entschlossen gegen jegliche Diskriminierung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern vorgehen, die Bars und Clubs sozialisieren, alle Drogen entkriminalisieren und fröhlich vögeln, anstatt die Pflege der »sexuellen Kultur« der öffentlichen Hand zu überantworten, auf dass sie unablässig »öffentlich bearbeitet und reflektiert« werde, von einer »Expertenrunde« gar, die so hässlich angepasst ­daherquatscht, dass, wer noch einigermaßen bei Trost ist, eher ein Keuschheitsgelübde ablegen würde, als sich und die sexuelle Kultur Berlins diesen Unternehmensberatern in Sachen subventionsgesteuerter ­Libidoverwertung anzuvertrauen.