Die Fernsehserie »Frontkjempere« hat in Norwegen eine Geschichtskontroverse ausgelöst

Zwischen den Fronten

Ein Buch, ein Gegenbuch und eine Doku-Fiction-Reihe über die »Frontkämpfer« – in Norwegen wird über Kollaboration und Widerstand während des Zweiten Weltkriegs diskutiert.

Die Mitwirkung an einer Fernsehproduktion kann für Wissenschaftler zu einer besonderen Herausforderung werden. Dort, wo ausführliche Schilderungen angebracht sind, verlangt das Skript nach kurzen Erklärungen; der Schnitt kann aus einer ausgewogenen Darstellung ein reißerisches Zitat machen. Um dieses Problem wusste vermutlich auch der norwegische Historiker Terje Emberland, als er zustimmte, sich für die Doku-Fiction-Reihe »Frontkjempere« (»Frontkämpfer«) interviewen zu lassen. Deshalb hatte es vorher Absprachen über den Umgang mit ­Zitaten gegeben. Die Primetime-Serie des staatlichen norwegischen Fern­sehens NRK dreht sich schließlich um die heikle Frage, warum 4500 Norweger während des Zweiten Weltkrieges freiwillig für das »Dritte Reich« als Soldaten kämpften – größtenteils in Einheiten der Waffen-SS an der Ostfront.

Handelte es sich bei den norwegischen SS-Freiwilligen um Abenteurer, die kaum etwas von der NS-Ideologie wussten? Terje Emberland widerspricht: Die überwältigende Mehrheit der »Frontkämpfer« sei Mitglied der faschistischen Partei Nasjonal Samling (Nationale Vereinigung) gewesen.

Emberland, der am Zentrum für Holocaust- und Minderheitenforschung in Oslo zur Mitgliedschaft von Norwegern in der Waffen-SS arbeitet, meldete sich kurz vor Serienstart auf seiner Facebook-Seite mit einer scharfen Stellungnahme zu Wort. Darin distanzierte er sich von der Tendenz der Serie und kritisierte, dass seine Aussagen verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Auch andere Historiker, die für die Serie befragt worden waren, äußerten ihren Unmut über den Umgang mit ihren Ausführungen. Bereits in der Phase der Postproduktion hätten sie umfangreiche Änderungen gefordert. Dies seien ihnen versprochen worden, die Produzenten hätten jedoch lediglich kleine Korrekturen vorgenommen. Die Serie sei dann ohne weitere Absprachen fertiggestellt und ausgestrahlt worden – trotz des Protests der Historiker, so Emberland. In der Tendenz ziele sie auf eine Reinwaschung der »Frontkämpfer« ab: »Hier wird ein alter Mythos weitergegeben, den die norwegischen Freiwilligen der Waffen-SS in der Nachkriegszeit entwickelt haben: Sie seien nur naive Jungen gewesen, die gegen den Kommunismus kämpfen wollten.«

In der Tat gibt die Serie den selektiven Erinnerungen der insgesamt sieben SS-Veteranen, die als Zeitzeugen interviewt werden, sehr viel Raum. Im Stil eines Dokudramas spielen junge Schauspieler die Landser-Anekdoten der alten Veteranen nach, emotionale Streichmusik verstärkt die Stimmung der Bilder. Der Zuschauer begleitet die Protagonisten über vier Folgen, beginnend mit ­ihrer Ausbildung im SS-Rekruktenlager Sennheim im annektierten ­Elsass. Die Veteranen erinnern sich: »Dort lernten wir nur zu marschieren und zu singen.« Schon bald da­rauf finden sich die Kämpfer an der Ostfront in den Schützengräben vor Leningrad wieder. Heimweh, Trauer um tote Kameraden und die Angst vor »Iwan« dominieren die Erzählungen. Kritische Einordnungen der Historiker kommen zu kurz, eine Szene wird – ohne jeglichen Kommentar – mit dem Lied »Kamerat, ­vi marsjerer« (Kamerad, wir marschieren) unterlegt, das die faschistische Bewegung Norwegens und deren Anführer Vidkun Quisling verherrlicht.

Der Erzähler aus dem Off unterrichtet den Zuschauer sehr detailliert über die Verbrechen der Sowjetunion in Lemberg und Katyn, die Taten der Nationalsozialisten finden weniger Beachtung. Die jungen Norweger sind hier lediglich Zeugen von Verbrechen, die ihre deutschen Kameraden in den Einsatzgruppen begehen. Bei der Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener verweigert einer der Frontkämpfer sogar den Gehorsam. Vom Holocaust hätten sie »wie alle anderen auch nichts mitbekommen, und wenn, dann hätten wir nichts tun können«. Dass einige Norweger an der brutalen Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 teilnahmen, wird nicht erwähnt.

Handelte es sich bei den norwegischen SS-Freiwilligen um Abenteurer, die kaum etwas von der NS-Ideologie wussten? Emberland widerspricht: Die überwältigende Mehrheit der »Frontkämpfer« sei Mitglied der faschistischen Partei Nasjonal Samling (Nationale Vereinigung) ge­wesen und kämpfte für den Sieg des Nationalsozialismus. Auch die Forschungen weiterer Historiker belegen, dass die norwegischen Rekruten nicht nur durch das Feindbild des Bolschewismus und die Solidarität mit Finnland während des sowjetisch-finnischen Winterkriegs 1939/1940 motiviert waren, sondern sich auch für das Prinzip begeisterten, die »nordische Rasse« müsse Europa anführen.

Die Kontroverse um die Produktion verweist auf eine größere Debatte, die seit Jahren in Norwegen geführt wird. In deren Mittelpunkt steht ein Geschichtsbild, demzufolge die norwegische Bevölkerung primär als Opfer der deutschen Okkupation anzusehen ist. Inzwischen wird dabei nicht mehr nur die Kollaboration mit der Besatzungsmacht diskutiert, sondern auch ein kritischer Blick auf die Widerstandsbewegung geworfen, die gemeinhin als »Hjemmefront« (Heimatfront) bezeichnet wird.

Entscheidend für die Stärke der »Heimatfront« war nicht nur ihr Rückhalt in der Bevölkerung, sondern auch die Tatsache, dass die deutsche Besatzungsmacht kaum in der Lage war, die norwegisch-schwedische Grenzregion zu kontrollieren. Nicht nur Angehörige des Widerstands konnten so illegal das Land verlassen, auch etwa 100 der 200 Juden, die zu Kriegsbeginn in Norwegen gelebt hatten, wurden durch die Berge ­gelotst und entgingen so der sofortigen Deportation nach Auschwitz.

Und dennoch: Die Widerstandsbewegung hätte viel mehr tun können, um den jüdischen Flüchtlingen zu helfen. Das behauptet zumindest die Journalistin Marte Michelet in ihrem 2018 erschienenen Buch »Hva visste hjemmefronten?« (Was wusste die Heimatfront?). Anhand neuer Quellen stellt sie das bisher akzeptierte Bild einer moralisch integren »Heimatfront« in Frage. Keineswegs seien die Widerstandskämpfer von der Verhaftung der Juden überrascht worden, sie hätten vielmehr schon mehrere Wochen im Voraus über verlässliche Informationen verfügt, ohne dass sie ihre Mitbürger gewarnt hätten. In vielen Fällen sei den jüdischen Flüchtlingen nur gegen Bezahlung geholfen worden; von bestimmten Routen über die Grenze seien sie sogar komplett ausgeschlossen worden. Ein Grund für die mangelnde Unterstützung sei die lange Tradition des norwegischen Anti­semitismus gewesen, von dem der Widerstand keineswegs frei gewesen sei, so Michelet.

Nachdem Michelets Buch zunächst positiv aufgenommen worden war, erschien im vergangenen Herbst die Studie »Rapport frå ein gjennomgang av ›Hva visste hjemmefronten‹?« (Bericht über die Relektüre von ›Was wusste die Heimatfront?‹), die norwegische Medien als »Gegenbuch« bezeichneten. Die Verfasser der Studie, Bjarte Bruland, Elise B. Bergrenn und Mats Tangestuen, bemängelten, dass die These Michelets kaum durch das Quellenmaterial gedeckt sei. Der Kritik schlossen sich die Nachfahren von Widerstandskämpfern an und empörten sich da­rüber, dass das Lebenswerk ihrer ­Eltern und Großeltern »in den Dreck gezogen« werde: »Für uns waren es Vorbilder, und nun sollen sie grundlegende Ideale unserer Gesellschaft mit Füßen getreten haben?« Sie drohten dem Verlag mit rechtlichen Schritten, sollte das Buchs weiterhin verbreitet werden.

Tatsächlich bleibt es diskussionswürdig, ob alle Schlussfolgerungen Michelets in dieser Form zu halten sind. Kaum zu bestreiten ist allerdings, dass ihr Buch ein Thema behandelt, das lange vernachlässigt worden ist: Detaillierte Studien darüber, wie der Widerstand in Norwegen auf die Judenverfolgung reagiert hat, existieren nicht.

Während die Macher von »Frontkjempere« die Serie verteidigen, hat sich Michelet inzwischen bei den Angehörigen von Widerstandskämpfern entschuldigt: An einzelnen Stellen habe sie tatsächlich fehlerhafte Schlüsse gezogen, was für die Angehörigen der Betroffenen sicher belastend gewesen sei. Die Debatte über Kollaboration und Widerstand während der deutschen Besatzung dürfte damit aber noch lange nicht beendet sein. Zumindest darin unterscheidet sich Norwegen nicht von anderen europäischen Ländern.