Nazis im Swimmingpool
Eigentlich scheint Attila Hildmann Deutschland zu lieben. Lange lief es für den veganen Koch auch richtig gut im, wie er schreibt, »Land von Dichtern, Denkern, Wissenschaftlern und Erfindern«. Anfang der zehner Jahre war Hildmann ein aufsteigender Stern der deutschen Veganszene. Mehrere seiner Kochbücher waren Bestseller, er eröffnete Restaurants und kreierte Produkte wie Brotaufstriche, Softdrinks und pflanzlichen Käseersatz. Schon damals fiel der durchtrainierte Sunnyboy immer mal wieder mit fragwürdigen Aussagen auf. So postete der Sohn türkischer Eltern im Januar 2016 auf Facebook den Satz »Integration ist in Deutschland ein heikles Thema aufgrund der deutschen Vergangenheit, was zu einer aktuellen Selbstverstümmelung deutscher Werte und Kultur führt.« Während der Pandemie schloss sich der vegane Vorzeigekoch den Coronaleugnern an und verbreitete Verschwörungstheorien.
Anfang Januar hat Hildmann sich in die Türkei abgesetzt. Das könnte damit zu tun haben, dass ihn seit Februar die deutsche Justiz per Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Volksverhetzung sucht. Die Berliner Staatsanwaltschaft vermutet, ein Insider aus der eigenen Behörde könnte den Koch gewarnt haben, und ermittelt wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen.
Dass Hildmann sich in der Türkei aufhält, haben Hacker herausgefunden. Mit einem Selfie vor dem Felsengrab bei Kayaköy brachte er seine Verfolger auf die Spur – offenbar unfreiwillig, denn in den darauffolgenden Tagen behauptete er zuerst, das Bild sei aus einem früheren Urlaub, postete dann eine Bildmontage, die ihn in China zeigen sollte, und zeigte schließlich ein Foto aus einem Laubwald mit »Grüßen von der Ostsee«.
Die Hackergruppe Anonymous schickte ihm eine Nachricht auf Telegram: »Die Staatsanwaltschaft hat wohl ’ne Pressemitteilung veröffentlicht bzgl. deiner›Ausreise‹ – lass dich nicht ärgern«, hieß es dort scheinbar vertraulich und mit einem Link zu der vermeintlichen Pressemitteilung. Tatsächlich führte dieser aber zu einem Tracking-Dienst, über den die Hacker Hildmanns Standort ermitteln konnten. Er befand sich im Zentrum der türkischen Stadt Izmir. Zwei Wochen nach den Veröffentlichungen von Anonymous bekannte er auch selbst auf Twitter: »Bis Deutschland wieder frei ist, bleibe ich in meiner Blutsheimat, der Türkei, es ist meine wahre Heimat und Boden.«
Hildmann postet weiterhin regelmäßig Videos und Selfies, um mit seinen Fans in Kontakt zu bleiben. Dadurch konnte ein antifaschistisches Rechercheteam, das unter dem Namen @Hildbusters auf Twitter postet, zwei Villen in der Türkei ermitteln, aus denen Hildmann gepostet haben soll. Der Generalstaatsanwaltschaft Berlin hilft das aber wenig. Weil Hildmann neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, ist mit einer schnellen Vollstreckung des Haftbefehls nicht zu rechnen.
In seiner Telegram-Gruppe eskaliert Hildmann immer weiter: Zu antisemitischer Hetze kamen zuletzt auch Tötungsaufrufe. Dazu postete er Links und Rabattcodes zum Onlineshop des früheren Berliner NPD-Vorsitzenden Sebastian Schmidtke. »Du hast das Recht auf Notwehr«, schrieb Hildmann, »der Jude will dich und deine Kinder mit seinen Spritzen ermorden«, dazu einen Link für den Kauf einer Armbrust.
Einige derjenigen, die »das deutsche Volk« zu Wachsamkeit, Selbstverteidigung und anderen patriotischen Tugenden aufrufen, tun dies in letzter Zeit auffällig oft lieber nicht von deutschem Boden aus. Die Wahlheimat des Pegida-Frontmanns Lutz Bachmann ist bereits seit Mai 2016 nicht mehr Kesseldorf bei Dresden, sondern die Kanareninsel Teneriffa. Daran änderte auch ein einstimmiger Beschluss des dortigen Parlaments nichts, der Bachmann zu einer auf der Insel »unerwünschten Person« erklärte. Die sächsische Polizei ermittelte im Februar, ob Bachmann bei seinen Reisen zwischen Teneriffa und Dresden Quarantäneregeln gebrochen hat. Der sächsische Verfassungsschutz stuft Pegida seit diesem Monat als »erwiesene extremistische Bestrebung« ein.
Der rechte Verschwörungstheoretiker Oliver Janich, der unter andrem als Ideengeber für Xavier Naidoo Schlagzeilen machte, lebt seit fünf Jahren auf den Philippinen. Dort hat er 2016 gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Michael Becker unter dem Namen »Project Escape« ein Resort für Auswanderer gegründet – mit Meerblick und Swimmingpool. »Mein Grund auszuwandern war der Zusammenbruch des Finanzsystems«, erklärte er 2016 in einem Youtube-Interview und prognostizierte, es sei »100 Prozent sicher«, dass erst das Geldsystem, dann das Sozialsystem zusammenbrechen werde. Deshalb rät er dazu, sich auf die Auswanderung vorzubereiten – und bietet passende Apartments an.
Der Youtuber, Blogger und Buchautor Oliver Flesch schreibt seine Polemiken gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die er im AfD-nahen Deutschland-Kurier publiziert, am liebsten auf Mallorca, seiner Wahlheimat. Auf seinem Youtube-Kanal mit 56 300 Abonnenten will er, wie er dort vor einigen Wochen schrieb, »aufgrund der ewigen Löschungen und Sperrungen (…) keine politischen Inhalte mehr« veröffentlichen. Zu den Inhalten, die er dort nun stattdessen veröffentlicht, gehört eine Gesprächsreihe mit dem rechtspopulistischen Katzenroman-Autoren Akif Pirinçci. Fleschs politische Kommentare laufen stattdessen über den Youtube-Kanal des Deutschland-Kurier. Mit der Rückkehr nach Deutschland hat er keine guten Erfahrungen gemacht. Im Mai 2019 drehte er in Berlin ein Video über das autonome Hausprojekt Rigaer 94. Wenige Tage darauf berichtete der Tagesspiegel, Maskierte, die mit Stöcken und Knüppeln bewaffnet gewesen sein sollen, hätten Flesch angegriffen.
So unterschiedlich die ideologischen Beweggründe von Hildmann, Bachmann, Janich und Flesch sein mögen, alle vier eint der Umstand, dass die Ausreise ihrer politisch-medialen Wirkung in Deutschland keinen Abbruch tat. Über Youtube, Telegram und andere Social-Media-Kanäle erreichen die rechten Auswanderer weiterhin ein großes Publikum in der ehemaligen Heimat, verbreiten Verschwörungstheorien und organisieren eine Art nationaler Internationale.
Für die extreme Rechte in Deutschland sind Rückzugsmöglichkeiten im Ausland seit jeher wichtig. Die Wehrsportgruppe Hoffmann, die für den Anschlag auf das Oktoberfest 1980 verantwortlich gemacht wird, absolvierte ebenfalls 1980 militärische Trainings im Libanon und Jordanien, in Kooperation mit der PLO. Der ehemalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel versuchte einen Neuanfang auf Mallorca. Nach dem Austritt aus der Partei 2013 betrieb er für dreieinhalb Jahre eine Kneipe mit dem Namen »Maravillas Stuben« in Palma de Mallorca.
Diese Auswanderungen bedeuteten eine Unterbrechung der politischen Aktivitäten in Deutschland. Mittlerweile ist die extreme Rechte in Deutschland digital so gut vernetzt, dass ihre Ideologen auch vom anderen Ende der Welt die Basis in Freital erreichen. Die Flucht ins Ausland wird damit für die Feinde von Ausland, Flucht und Migration immer attraktiver.