In Europa hat sich eine neue Gruppe der paramilitärischen Atomwaffendivision gegründet

Terroristen aus dem Internet

Die paramilitärische rechtsextremistische Atomwaffendivision hat sich in den USA aufgelöst, doch der deutsche Ableger der Gruppe gedeiht ungehindert weiter. Unter deren Führung hat sich eine Atomwaffen­division Europe gegründet.

Einer der Anführer der rechtsextremistischen paramilitärischen Atomwaffendivision, John Cameron Denton, wurde am 4. Mai von einem Gericht im US-Bundesstaat Virginia zu 41 Monaten Haft verurteilt, weil er Journalisten ­bedroht und belästigt hatte, die über ihn und die Atomwaffendivision berichtet hatten. Der 27jährige Texaner und weitere Mitglieder der Gruppe ­betrieben das sogenannte swatting, bei dem eine Bombendrohung oder eine Entführung vorgetäuscht wird, um einen Polizeieinsatz gegen eine unschuldige Person zu provozieren. Auch Politiker, Afroamerikaner und Muslime wurden Opfer von Dentons Falschanzeigen, die in 134 Fällen zu Polizeiein­sätzen führten. Die Bundesanwältin Carina Cuellar nannte es »die größte den US-Behörden bekannte swatting-Verschwörung des Landes«. Denton war im Februar 2020 festgenommen worden. Seit 2016 sind bereits meh­rere Personen, die mit der Atomwaffendivision und der ihr ideologisch nahestehenden Feuerkriegdivision in Verbindung stehen, von US-amerikanischen Gerichten wegen Straftaten nach Bundesrecht verurteilt worden.

Das Ziel der neu gegründeten Atomwaffendivision Europe ist es, durch bewaffneten Widerstand den »Nationalsozialismus in Europa« einzurichten.

Die Atomwaffendivision gründete sich 2015 in den USA und gilt als eine der gefährlichsten Neonazigruppen der Gegenwart. Sie propagiert den bewaffneten »führerlosen Widerstand«. Die Texte des Atomwaffen-Chefideologen James Mason, die sich am gleichnamigen Massenmörder Charles Manson orientieren und zuerst in den achtziger Jahren in Rundschreiben unter dem ­Titel Siege veröffentlicht wurden, gelten als Pflichtlektüre für neue Rekruten der Gruppe. James Mason agitiert für den Kampf in kleinen Terrorzellen. In den USA haben Mitglieder der Atomwaffendivision bereits acht Morde verübt. Seit 2017 hat sie Ableger in mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland.

Dass die Gruppe gefährlich ist, wissen auch die Behörden: In mehreren Ländern, darunter Kanada und Großbritannien, gilt sie als terroristische Organi­sation. Laut Experten haben die Festnahmen und Verurteilungen die Atomwaffendivision in den USA erheblich geschwächt. Im März 2020 löste sich die Gruppe dort offiziell auf. Wie die Washington Post berichtet, gaben verbleibende Mitglieder daraufhin die Gründung der Gruppe National Socialist Order bekannt.

Die fortbestehenden Ableger der Atomwaffendivision sind mit anderen rechtsextremen Gruppen vernetzt. ­Recherchen der britischen Organisation »Hope not Hate« zufolge bestehen ideologische und personelle Überschneidungen zwischen der Atomwaffendivision und der faschistischen britischen Terrorgruppe Order of Nine Angels.

Ein Problem für die Atomwaffendivision war auch ein Leck in der Datenbank des vormaligen Neonazi-Forums Iron March im November 2019. Das Motto des Forums begann mit »Gas the kikes, race war now« (Vergast die Juden, Rassenkrieg jetzt), gefolgt von einem neonazistischen Zahlencode, der auf white supremacy sowie den Hitlergruß verweist, und »boots on the ground«, einer Aufforderung zu sofortigem Handeln. Iron March war bis 2017, als es offiziell den Betrieb einstellte, die Vernetzungsstelle für Mitglieder und Sympathisanten der Atomwaffendivision. Seither findet die Verbreitung von neonazistischer Endzeitpropaganda und die Rekrutierung neuer Anhänger insbesondere in Telegram-Kanälen statt. Einer davon ist Rapewaffen, eine Untergruppe der Atomwaffendivision, in dem auch Vergewaltigung und sexuelle Gewalt propagiert werden.

Die Atomwaffendivision Deutschland besteht nach Auflösung der US-Gruppe weiter. In ihrem Vorgehen und ihrer Rhetorik folgt sie ihrem US-amerikanischen Vorbild: Sie versendet Terror- und Morddrohungen gegen Politikerinnen und Politiker, propagiert einen apokalyptischen Rassenkrieg und rekrutiert im Netz. Seit Dezember 2020 ermittelt deswegen der Generalbundesanwalt gegen die deutsche Gruppe.

Nach dem Datenleck von Iron March 2019 konnten auch Mitglieder der Atomwaffendivision Deutschland identifiziert werden. Der Thüringer Neo­nazi Leon R. soll auf der Website ein Propagandavideo veröffentlicht haben. Er bestreitet jedoch, mit der Atomwaffendivision Deutschland in Verbindung zu stehen. Dem Nachrichtenportal von T-Online zufolge soll er im August 2020 an Demonstrationen gegen Pandemieschutzmaßnahmen in Berlin teilgenommen haben und nach Ausschreitungen vor der russischen Botschaft festgenommen worden sein.

Dem deutschen Ableger der Atomwaffendivision könnten Sanktionen in den USA drohen. Die demokratische Kongressabgeordnete Elissa Slotkin fordert die US-Regierung dazu auf, diese und zwölf weitere Gruppen außerhalb der USA als ausländische Terrororganisationen einzustufen. Slotkin zeigte sich in einem Brief an die Regierung vom 5. April besorgt über die Bedrohung, die von diesen Gruppen ausgehe, und über ihre Verbindungen zu Terrorgruppen in den USA. Auch der britische ­Order of Nine Angels müsse ebenso wie die Feuerkriegdivision als terroristisch eingestuft werden, so Slotkin.

Für Letztere interessierten sich im vergangenen Jahr auch deutsche Behörden. Im Frühjahr 2020 hat die Polizei ein mutmaßliches Mitglied der Gruppe in Bayern festgenommen. Obwohl der Festgenommene Hinweise auf weitere Mitglieder der Gruppe in Deutschland gab, mit denen er sich in verschlüsselten Chats über Anschlagspläne austauschte, kam es bisher zu keinen weiteren Festnahmen. Im Dezember verurteilte ihn das Landgericht Nürnberg-Fürth wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Laut einer Recherche von Belltower News soll sich Anfang dieses Jahrs die Atomwaffendivision Europe gegründet haben. Ihr Ziel sei es, durch bewaffneten Widerstand den »Nationalsozialismus in Europa« einzurichten. In Telegramm-Chats teilten Mitglieder »glorifizierende Videos von rechtsterroristischen Anschlägen, Aufrufe zum Mord an Jüdinnen und Juden und rechtsextreme Hetze« und tauschten sich darüber aus, wie sie an Waffen kommen könnten, heißt es in dem Bericht von Belltower News. Mitglieder der Atomwaffendivision Deutschland und Steven T., ein NPD-Funktionär aus Schleswig-Holstein, der im Chat der Gruppe das Pseudonym »Steven der Sturm« benutze, sollen in der neuen Gruppe führende Rollen übernommen haben. Belltower News zufolge habe der in der Szene bekannte Elmshorner Steven T. bereits Minderjährige aus Deutschland für die international vernetzte Gruppe rekrutiert. Diese bestehe aus Polen, Ukrainern, Deutschen, Briten und US-Amerikanern. Die etwa 25 Mitglieder eine »der ideologische Hass, die Tötungsphantasien gegenüber sozialen Gruppen und die Vorstellung einer vermeintlich›weißen Rasse‹«. Viele Mitglieder sollen bereits über Waffen verfügen.