Die AfD hat sich in Ostdeutschland als mächtige Kraft etabliert

Ein Fünftel des Landes

Die AfD hat ihre Wählerbasis bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt konsolidiert. Auch in den anderen neuen Bundesländern ist die Partei inzwischen fest etabliert.

Vor fünf Jahren konnte die AfD in Sachsen-Anhalt mit 24,3 Prozent der Stimmen ihr bis dahin bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl verbuchen. Der Spitzenkandidat André Poggenburg verbrachte damals den Wahlabend in einem Wahlstudio des rechtsextremen Magazins Compact und plauderte im Livestream nonchalant mit dessen Chefredakteur Jürgen Elsässer. Lediglich bei der Landtagswahl in Sachsen konnte die Partei 2019 mit 27,5 Prozent ein noch besseres Ergebnis erzielen. In Thüringen kam sie im selben Jahr auf immerhin 23,4, in Brandenburg auf 23,5 Prozent.

Die Wahlerfolge der AfD gingen in allen ost­deutschen Bundesländern mit einer deutlich erhöhten Wahlbeteiligung einher.

Im März 2018 musste sich Poggenburg aufgrund innerparteilicher Machtkämpfe von seinem Amt als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurückziehen. Seither führt Oliver Kirchner die Landtagsfraktion der AfD. Wie Poggenburg gehörte er 2015 zu den Unterzeichnern der »Erfurter Resolution«, die als inoffizielles Gründungsdokument der inzwischen offiziell aufgelösten völkisch-nationalistischen Parteigruppe »Der Flügel« gilt. In der bisherigen Landtagsfraktion der AfD arbeiteten neurechte Ideologieproduzenten wie Hans-Thomas Tillschneider und Machtpragmatiker wie das ehemalige CDU-Mitglied Ulrich Siegmund Hand in Hand.

Mit Kirchner als Spitzenkandidat landete die AfD bei der Landtagswahl am Sonntag mit 20,8 Prozent auf dem zweiten Platz. Wenige Tage zuvor war die Partei in manchen Umfragen noch als stärkste Kraft gehandelt worden – das motivierte viele Wähler, für die CDU von Ministerpräsident Reiner Haseloff zu stimmen, die schließlich mit 37,1 Prozent triumphierte. Linkspartei, SPD und Grüne kamen gemeinsam auf gerade einmal 25,3 Prozent. Der FDP gelang mit 6,4 Prozent die Rückkehr in den Landtag. Die Mitte vorigen Jahres gegründete Partei »Die Basis« aus dem Umfeld von »Querdenken« kam auf 1,5 Prozent.

In Anbetracht der Umfragen ist das Ergebnis für die AfD mehr als ernüchternd. Die Website wahlkreisprognose.de schätzt das Wahlpotential der Partei in Sachsen-Anhalt auf zwischen 19,5 und 32,1 Prozent. Von 15 Wahlkreisen, in denen sie bei der Wahl 2016 das Direktmandat gewonnen hatte, konnte sie am Sonntag nur den südlichsten Landkreis, Zeitz, gegen die CDU verteidigen.

Dennoch hat sich die rechtsextreme Partei seit 2013 in Ostdeutschland fest etabliert und kann auf eine relativ stabile Wählerschaft bauen. Rund 70 Prozent ihrer Wähler in Sachsen-Anhalt hatten bereits bei der Wahl 2016 für die AfD gestimmt. Das ist der höchste Wert aller im Landtag vertretenen Parteien.

David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander e. V. in Magdeburg hält im Gespräch mit der Jungle World politische Stimmungen für wichtiger als organisatorische Zusammenhänge. Rechtsex­treme Strukturen seien in Sachsen-Anhalt nicht so stark institutionalisiert wie in Sachsen und Thüringen. Zwar ist Götz Kubitscheks »Institut für Staatspolitik« in Sachsen-Anhalt ansässig, seinen Einfluss müsse man aber trotz der Selbststilisierung der sogenannten Neuen Rechten realistisch einschätzen.

Miteinander e. V. hat vor der Landtagswahl das Programm der AfD analysiert und kommt zu dem Schluss, dass sich die Forderungen der Partei im Vergleich zu 2016 in Richtung völkisch-nationalistischer Positionen radikalisiert haben. »Das Wählermilieu ist bisher jeden Schritt der Rechtsverschiebung mitgegangen«, sagt Begrich. Für die konstante Stärke der AfD macht er zwei Hauptfaktoren verantwortlich: Die erfolgreiche Mobilisierung von Nichtwählern und eine in Ostdeutschland verbreitete Anti-Establishment-Haltung, die die Partei mit ganz unterschiedlichen Themensetzungen kultiviert.

Die Wahlerfolge der AfD gingen in allen ostdeutschen Bundesländern mit einer deutlich erhöhten Wahlbeteiligung einher. 2016 konnte die Partei in Sachsen-Anhalt über 100 000 vormalige Nichtwähler für sich gewinnen. 2019 waren es in Brandenburg 115 000 Nichtwähler, bei der sächsischen Landtagswahl im selben Jahr 241 000. Das waren jeweils mehr als bei jeder anderen Partei. In allen drei Bundesländern kamen etwa 40 Prozent aller AfD-Stimmen von ehemaligen Nichtwählern, in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern etwas mehr als 30 Prozent. Der Wahl am Sonntag blieben elf Prozent der vormaligen AfD-Wähler wieder fern; weitere 14 Prozent sind inzwischen verstorben oder in ein anderes Bundesland umgezogen.

Die hohen Stimmenanteile für die AfD relativieren sich allerdings, wenn man sie ins Verhältnis zur ostdeutschen Bevölkerungsstruktur setzt. Bei der Bundestagswahl 2017 kam die AfD bundesweit auf fast 5,9 Millionen Stimmen. In den neuen Bundesländern mit einer Bevölkerung von knapp 12,5 Millionen gewann die Partei bei den vergangenen Landtagswahlen zusammengerechnet knapp 1,6 Millionen Stimmen. Dem stehen fast vier Millionen Menschen gegenüber, die diese Bundesländer seit 1990 verlassen haben, darunter überproportional viele Frauen und junge Menschen. Sie fehlen heute nicht nur bei den Wahlen, sondern auch als Multiplikatoren progressiver Politik und Lebensentwürfe.

In keiner Gruppe ist die Zustimmung zur AfD so hoch wie bei mittelalten Männern ohne Hochschulabschluss. Unter 30- bis 44jährigen Männern wurde die AfD am Sonntag Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen zufolge mit 30 Prozent deutlich stärkste Kraft. Bei der Gesamtheit der männlichen Wähler lag sie demnach mit durchschnittlich 29 Prozent nur knapp hinter der CDU. Im bundesweiten Vergleich ist die Bevölkerung der ostdeutschen Bundesländer deutlich älter und männlicher als die der westdeutschen Länder. Sachsen-Anhalt hat mit 47,9 Jahren das höchste Durchschnittsalter aller Bundesländer. Viele derjenigen, die in den Universitätsstädten Halle, Magdeburg und Dessau-Roßlau arbeiten oder studieren, haben ihren Wohnort im gut angebundenen Berlin oder Leipzig.

Dazu kommt die spezifische Wirtschaftsstruktur in den ostdeutschen Bundesländern, die vor allem von Kleinbetrieben und Selbständigen getragen wird. Diese Gruppen sind besonders anfällig für populistische Kritik an Verwaltungsvorgaben und Schutzgesetzen, wie sie die AfD formuliert. Im Gegensatz zu größeren Unternehmen oder westdeutschen Erbdynastien sind sie außerdem kaum in der Lage, langfristig Kapital für strategische Investitionen oder Modernisierungen aufzubringen.

Das »Durchkommen bis zur Rente«, das die AfD unter anderem Beschäftigten der Automobilzulieferer mit ihrer Verweigerung von Klimaschutz und ökologischer Modernisierung verspricht, ist für einen Teil ihrer Wählerbasis eine rationale Entscheidung. Zudem spielen im Arbeitsalltag vieler Menschen in Ostdeutschland Gewerkschaften und betriebliche Mitbestimmung keine Rolle. Hierarchische Betriebsabläufe und personalisierte Entscheidungsprozesse stehen deshalb vielerorts im Kontrast zu parlamentarischen Gremien und Kompromissen zwischen Interessengruppen.

Die rechtspopulistische Dauerdiffamierung aller vermittelnden und abwägenden Kommunikationsprozesse fällt dort auf besonders fruchtbaren Boden. Ängste, Feindbilder und identitätsstiftende Selbstermächtigungserzählungen, die vor allem in den sozialen und ­alternativen Medien produziert, verbreitet und beständig wiederholt werden, sind wichtiger als Programmatik. Individuell konsumierte Gerüchte, Halbwahrheiten und fake news verdichten sich rasant zu hermetischen Weltanschauungen, die die AfD mit den richtigen Begriffen zu adressieren weiß. Auf der einen Seite stehen dann »Verbot«, »DDR 2.0« und »Great Reset«, auf der anderen »Heimat«, »Stolz« und »Widerstand«.

Besonders deutlich lässt sich das am Wandel der Pandemiepolitik der AfD illustrieren. Als die Partei zu Beginn der Covid-19-Pandemie einen härteren und konsequenteren Lockdown forderte und in den Kommunen kostenlose Masken an kleinere Betriebe verteilte, sanken in den Umfragen die Zustimmungswerte. Erst die konsequente Inszenierung als Anti-Lockdown-Partei verschaffte der AfD wieder Zustimmung wie zum Höhepunkt der sogenannten Asylkrise. Parteibindung erzeugt die AfD vor allem, indem sie eine Trotzhaltung bedient. Sie zu wählen, ist weniger eine Entscheidung für ihr Programm als für ihr Image. In Ostdeutschland gehört zu diesem Image auch der Rechtsex­tremismus, den ihre Wähler mit Stärke und Normalität verbinden.