Warum der »Green New Deal« keine Abkürzung zum Sozialismus ist

Der Sozialismus kommt nicht durch die Hintertür

Der »Green New Deal« kann nur dann zu einem Schritt in Richtung Sozialismus werden, wenn er die Unterstützung eines Großteils der Lohnabhängigen findet.

Eines der Standardwerke der anglophonen Klimaleugnerbewegung trägt den Titel »Watermelons«. Das 2012 veröffentlichte Buch des Journalisten James Delingpole stellt die These auf, die Klimabewegung sei eine ideologische Wassermelone: außen grün, innen rot. Was im Gewand einer bürgerlichen Bewegung daherkomme, sei in Wahrheit eine wahlweise kommunistische oder sozialistische Verschwörung, die eine grundsätzliche Veränderung der Weltwirtschaft durch die Hintertür anstrebe.

»Green New Deal« und Post­wachs­tums­bewegung haben eine entscheidende Schwachstelle: Ihnen fehlt ein politisches Subjekt.

Nicht einmal ein Jahrzehnt später ist aus der konservativen Angstparole eine unter Linken populäre Vorstellung geworden: Klimaschutz und Kapitalismus, das gehe nicht zusammen. Um das Klima zu stabilisieren und dem Raubbau an den Ressourcen Einhalt zu gebieten, sei ein grundsätzlicher Systemwechsel notwendig. Uneinigkeit gibt es lediglich darüber, ob dies auf reformistische Art mittels eines großan­gelegten öffentlichen Investitionsprogramms – einem »Green New Deal« – oder durch einen radikalen Bruch mit dem kapitalistischen Akkumulationsprozess samt seines Wachstumszwangs stattfinden sollte, wofür Anhängerinnen und Anhänger der Postwachstumsbewegung werben.

Linke Verfechter eines »Green New Deal« und Anhängerinnen der Postwachstumsbewegung sind sich zwar häufig uneinig, teilen aber zwei grundsätzliche Annahmen: Erstens sei effektiver Klimaschutz im Kapitalismus unmöglich, und zweitens biete die Klimabewegung eine gute Gelegenheit, antikapitalistisches und sozialistisches Gedankengut wieder im gesellschaft­lichen Mainstream zu verankern. Beide Annahmen werden, zumindest im deutschsprachigen Raum, von einer sehr großen gesellschaftlichen Koalition, die von radikalen Antikapitalistinnen und Antikapitalisten bis zu Teilen von »Fridays for Future« und in die Führungsebene der IG Metall reicht, nicht mehr angezweifelt. Es gibt nur ein Problem: Beide Thesen könnten sich als falsch herausstellen.

Ja, die kapitalistische Welt hat beim Klimaschutz bisher versagt, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich das so bald ändert. Inzwischen werden jährlich rund 40 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ausgestoßen, wesentlich mehr als Mitte der achtziger Jahre, als das Problem des Klimawandels erstmals von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

Dennoch ist eine Welt denkbar, in der das Klima stabilisiert wird, das kapitalistische Wachstum jedoch weitergeht. Denn dass Kapitalakkumulation auf Basis fossiler Energien geschehen muss, ist weder in den Naturgesetzen noch in der Logik des Kapitalismus festgeschrieben, und der fossile Kapitalismus befindet sich bereits im Umbruch. Die Kapitalfraktionen, die das Weltklima stabilisieren möchten, gewinnen gerade die Oberhand über die Produzenten, die fossile Energie und Rohstoffe benutzen wollen.

Dies festzustellen, ist nicht blauäugig. Obwohl weite Teile der Linken dies verneinen, ist es nicht gerade gewagt, zu glauben, dass, wenn die Internationale Energieagentur, die Europäische Kommission, Blackrock, Amazon, Bill Gates, das Weiße Haus und die Kommunistische Partei Chinas, was das Klima angeht, in groben Zügen dasselbe wollen, ihr Wunsch auch Realität werden könnte.

Der grüne Kapitalismus ist jedoch keine Utopie. Viel spricht dafür, dass die soziale Ungleichheit und die Perspektivlosigkeit eines Großteils der Weltbevölkerung noch wachsen werden. Es werden weiterhin Kriege um Rohstoffe geführt, Ökosysteme zerstört und ärmere, vom Klimawandel hart getroffene Gesellschaften destabilisiert werden. Das Klimasystem wird, wenn es nicht vorher zu einem sozialistischen Umsturz der Verhältnisse kommt, zu einem Zeitpunkt und auf eine Weise wieder ins Gleichgewicht gebracht werden, die das Funktionieren der Weltwirtschaft nicht gefährden.

Ist eine bessere Welt möglich? Natürlich. Die besten Ansätze der beiden Richtungen linker Klimapolitik lassen sich zu einer überzeugenden Vorstellung darüber zusammenfügen, wie es gelingen könnte, ein gutes Leben für alle in einer intakten Umwelt zu ermöglichen. Insbesondere der Ausbau von universal basic services, also kostenlosen öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheitsvorsorge, Bildung, Verkehrsmittel, Ernährung, Kulturangebote und Wohnungswesen, die der kapitalistischen Logik entzogen werden, könnte dazu beitragen, grüne Investitionsprogramme und eine Verringerung des wirtschaftlichen Wachstums zu verbinden. Eine solche Welt wäre mit dem Kapitalismus tatsächlich kaum noch vereinbar. Allein, der Kapitalismus zeigt keine Anzeichen von Schwäche.

In guter marxistischer Tradition schreibt die sozialistische Linke dem Kapitalismus eine permanente Krisentendenz zu, und es stimmt: Die kapitalistische Weltwirtschaft produziert Krisen zuhauf: Finanzkrise, Klimakrise, Coronakrise. Doch diese Krisen wurden dem Kapitalismus in seiner jahrhundertelangen Geschichte nicht zum Verhängnis; die Möglichkeiten, sie einzuhegen und ihre Folgen zu mildern, haben sich vervielfacht.

Wenn man heutzutage vom Kapitalismus spricht, spricht man nicht von einem idealtypischen System, das aus der marxistischen oder neo­klassischen Ökonomie bekannt wäre, sondern vom real existierenden Kapitalismus des frühen 21. Jahrhunderts mit all seinen institutionellen Verflechtungen, juristischen Begleitstrukturen sowie nationalen und ­supranationalen Verwaltungsorganen. Dieses System ist nicht allmächtig, es hat seine Schwächen. Doch der heutigen sozialistischen Linken entgeht seine trotz allem bemerkenswerte Stabilität.

Eine gebildete Verwaltungsschicht, die in den Zentren des reicheren Länder einen signifikanten Bevölkerungsan­teil ausmacht, kümmert sich darum, die systemimmanenten Widersprüche und Konflikte permanent zu mildern und unterstützt eine entsprechende moderat-reformistische Politik. Staaten und Zentralbanken ergreifen erstaunliche Maßnahmen, damit Finanzkrisen, ­Naturkatastrophen und Pandemien das System nicht ernsthaft ins Wanken bringen. Das Resultat ist eine Welt, in der die große Mehrheit stets zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben hat.

Verglichen mit den neunziger Jahren hat die sozialistische Linke in wohlhabenderen Ländern große Fortschritte erzielt. Sie traut sich wieder, konkrete Entwürfe für eine bessere Zukunft zu formulieren, statt sich hinter nebulösen Formulierungen und dem Anspruch, die Welt zu verändern, ohne Macht aus­zuüben, zu verstecken. In dieser Hinsicht sind die unterschiedlichen Entwürfe für einen »Green New Deal« und die Postwachstumsbewegung ein Zugewinn, sie verdienen auf jeden Fall, dass sich Sozialistinnen und Sozi­alisten kritisch und konstruktiv mit ihnen befassen.

Doch beide haben eine entscheidende Schwachstelle: Ihnen fehlt ein politisches Subjekt. Die sozialistische Linke sollte deshalb nicht nur konkretisieren, welche Zukunft sie eigentlich will, sondern auch, wer diese Zukunft erkämpfen soll. Der Kapitalismus wird nicht höflich verschwinden, weil linke Intellektuelle ihn darauf hinweisen, dass dies aufgrund ökologischer Sachzwänge nun einmal leider notwendig sei.

Falls das frühe 21. Jahrhundert Linke etwas lehren sollte, dann dies: Es rettet uns keine Krise. Krisen sind Momente relativer Schwäche und Desorganisation des Systems, doch sie haben nur in Ausnahmefällen seinen Untergang zur Folge. Eine Krise des kapitalistischen Weltsystems kann nur von einer bereits existierenden, starken sozialistischen Bewegung der arbeitenden Klasse als Chance genutzt werden. Eine solche existiert nur in wenigen Ländern der Welt, und nirgendwo in Europa.

Wer überzeugt ist, dass ein demokratischer Sozialismus des 21. Jahrhunderts ein besseres Leben für die große Masse der Bevölkerung bieten kann, sollte dies auch offensiv vertreten, statt sich auf die angeblich stets kurz bevorstehende Apokalypse zu berufen. Millionen Menschen leben bereits unter katastrophalen Zuständen, auch, aber nicht nur wegen der Klimakrise. Der sozialistischen Linken hilft dies bislang nicht.

Die globale Klasse der Lohnabhängigen kennt die brutale Realität des Kapitalismus nur allzu gut. Was ihr fehlt, ist der notwendige Organisationsgrad sowie eine sozialistische Bewegung, die glaubhaft dafür einstehen kann, Arbeiterinnen und Arbeitern ein besseres Leben bieten zu können. Nur so kann man all jene erreichen, denen das System nichts zu bieten hat, die bislang vielerorts Sozialismus aber mit Stalinismus, Mief, Korruption, Stagnation und Einschränkung ihrer persönlichen Freiheiten verbinden.

Die einzige verlässliche soziale Basis für eine solche Politik ist und bleibt die Klasse der Lohnabhängigen in all ihrer Vielfalt. Die sozialistische Linke braucht ernsthafte und empirisch informierte Strategien und Konzepte, die an die jeweilige Lebensrealität dieser Menschen appellieren. Am Ende werden es Mitglieder dieser Klasse, nicht linke Intellektuelle sein, die über die Zukunft des Kapitalismus entscheiden. Solange sie keinen Sozialismus wollen, werden sie ihn auch nicht bekommen.

Einen Sozialismus ohne Sozialistinnen und Sozialisten wird es niemals geben, weder ein »Green New Deal« noch die Postwachstumsbewegung können ihn verwirklichen, solange sie die Lohnabhängigen nicht überzeugen. Es gibt keine grüne Abkürzung in eine rote Zukunft.