Gesundheitsminister Jens Spahn produziert weiter Skandale

Masken für den Mülleimer

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat minderwertige Schutz­mas­ken im Land verteilen lassen. Teilweise gingen diese an Pflege­heime und Obdachlosenunterkünfte. Es ist nicht der erste Skandal, den der Minister in der Pandemiepolitik zu verantworten hat.

Es klingt wie ein schlechter Witz: Was bekommt eine Sanitäterin im privatisierten Rettungsdienst der Stadt Hamburg nach über einem Jahr Arbeit unter Pandemiebedingungen? Eine Dankespostkarte aus der Personalabteilung. Keine Gehaltserhöhung, keine Prämie, keine Entlastung durch neue Stellen.

Inzwischen gibt es Vermutungen, dass Spahns CPI-Masken mitverantwortlich gewesen sein könnten für einen Covid-19-Ausbruch in einem Pflegeheim in Schleswig-Holstein.

Aber auch weiter oben in der Hierarchie hat man es nicht leicht: Bundes­gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der zeitweilig sogar als Kanzlerkandidat der Union im Gespräch und in Umfragen noch im Dezember das zweit­beliebteste Kabinettsmitglied nach Angela Merkel (CDU) war, stolpert nunmehr von einem Skandal zum nächsten. Doch wie es scheint, kann er seine Zeit bis zur Vereidigung der nächsten Regierung nach der Bundestagswahl im September absitzen und muss währenddessen nur aufpassen, dass kein allzu großer weiterer Skandal an die Öffentlichkeit dringt.

Was der Spiegel Anfang Juni berichtete, war allerdings keine kleine Sache. Der Zeitschrift zufolge hat Spahn massenhaft Schutzmasken, die nicht nach der in der EU gültigen Norm geprüft worden waren, an Obdachlosenunterkünfte, Asylbewerber- und Pflegeheime und die Behindertenhilfe weitergeben. Die EU-Kommission hatte den Mitgliedstaaten zwar im März 2020 erlaubt, das strenge Prüfverfahren auszusetzen, um den Versorgungsengpässen mit Schutzmasken beizukommen. Die deutschen Bundesländer entwickelten daraufhin ein vereinfachtes Prüfverfahren, das Bundesgesundheitsministerium allerdings ein noch weiter abgespecktes: ein Schnellverfahren für »Corona-Pandemie-Infektionsschutzmasken« (CPI), die nicht im medizinischen Bereich zum Einsatz kommen sollen. 230 Millionen solcher CPI-Masken sollen an die Bundesländer gegangen, 150 Millionen eingelagert worden sein. Wie viele an soziale Einrichtungen gingen, sagte das Ministerium nicht.

Als Medien und der Koalitionspartner SPD kritisierten, Spahn habe minderwertige Masken, die nicht ausreichend schützten, an Arme, Alte und Kranke verteilt, konterte dieser mit der Behauptung, die unter seiner Verantwortung beschafften und verteilten Masken zum Infektionsschutz seien zwar nicht alle geprüft, aber dennoch sicher. Das jedoch widerspricht dem Ergebnis einer Analyse, die die Zeit in Auftrag gegeben hatte: Beim Labortest einiger der CPI-Masken wurde festgestellt, dass diese beispielsweise 44 Prozent der Partikel einer Kochsalzlösung durchließen – statt der sechs Prozent, die bei FFP2-Masken nach zuvor gültiger ­Euro-Norm zulässig sind.

Hinzu kommt, dass die Masken eben nicht nur bis Oktober 2020 verteilt wurden, dem Zeitpunkt, an dem die EU-Kommission die Sonderregelung auslaufen ließ und somit die strenge FFP2-Zertifizierung wieder galt, sondern mindestens bis Januar 2021. Da gab es allerdings längst ausreichend FFP2-Masken auf dem Markt. Es kam zum Streit in der Koalition, weil Sozialminister Hubertus Heil (SPD) verlangte, die von Spahn erneut zur Verteilung an Obdachlose vorgeschlagenen CPI-Masken sollten nachgeprüft werden, ob sie wenigstens dem höheren Standard für »Corona-Pandemie-Arbeitsmasken« (CPA) entsprachen. Letztlich kamen sie nicht mehr zum Einsatz, sondern wurden eingelagert. Da vor der nächsten Pandemie wohl das Verfallsdatum ablaufen wird, werden sie voraussichtlich vernichtet werden.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken nannte das Vorgehen Spahns »menschenverachtend« und legte ihm den Rücktritt nahe, wenn »sich die Vorwürfe bewahrheiten« sollten. Doch genau das sei nicht der Fall, hieß es aus der CDU. In einer Aktuellen Stunde des Bundestags warf die gesundheitspoli­tische Sprecherin der ­Unionsfraktion, Karin Maag (CDU), dem Koalitionspartner vor, »bewusst vulnerable Gruppen« zu »verunsichern«, um »parteipolitisch ­Stimmung zu machen«.

Dabei gibt es inzwischen durchaus Vermutungen, dass Spahns CPI-Masken nicht nur im Einsatz waren, sondern auch mitverantwortlich gewesen sein könnten für einen Covid-19-Ausbruch in einem Pflegeheim in Schleswig-Holstein. Einem erneuten Bericht des Spiegels zufolge sollen in einer Pflegeeinrichtung in der Gemeinde Boostedt im vergangenen Dezember 1000 Masken angekommen sein, die der Bund geliefert hatte. Im Januar infizierten sich zehn Mitarbeiter und 23 Bewohner des Heims, von denen fünf in der Folge starben. Die Heimleiterin versichert, eigentlich alle Masken geprüft gehabt zu haben – außer die des Bundes, denn diese seien »laut Beipackzettel ausreichend geprüft« gewesen, wie der Spiegel schreibt. Nachdem es zu dem Krankheitsausbruch gekommen war, wurden die Masken von einem Unternehmen in Kiel getestet. Sie waren mangelhaft und schützten nicht ausreichend.

Bereits im März war obendrein bekannt geworden, dass Spahns Ministerium Masken mittels privater Netzwerke des Ministers beschafft hatte. Verschiedene solcher Verträge prüft inzwischen der Bundesrechnungshof. Man denke an die zahlreichen Mandatsträger der Unionsparteien, die in den vergangenen Monaten von Parteiämtern und Mandaten zurücktreten mussten, weil sie sich an der Vermittlung von Geschäften mit Schutzmasken persönlich bereichert haben sollen.

Nicht nur die zahllosen Fehler und Vergehen, vor allem die inzwischen 90000 Toten offenbaren das Versagen der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Pandemie. Auch die schleppend angelaufene Impfkampagne zeugt davon. In den Betrieben wurde weitergearbeitet, die Kapitalakkumulation musste weitergehen.

Insbesondere Pflegekräfte, deren Arbeitsbedingungen und Entlohnung Sozialverbände und Gewerkschaften als unhaltbar kritisieren, wurden noch größeren Belastungen ausgesetzt. Die pandemiebedingte Erhöhung der Höchstarbeitszeit für Pflegekräfte auf 60 Stunden pro Woche, die Diskussion über die Zwangsverpflichtung von ­medizinischem Personal sowie die Aussetzung der Personaluntergrenze bei der Pflege in Kliniken lassen befürchten, dass die Pflegerinnen und Pfleger auch bei künftigen Pandemien vom Staat wenig Unterstützung, dafür umso mehr Ausbeutung erwarten können.

Zumindest in der Altenpflege gibt es für das Pflegepersonal eine kleine Lohnerhöhung. Ende Mai einigte sich die Koalition auf eine entsprechende Regelung. Eine Milliarde Euro jährlich will die Bundesregierung dafür aus­geben, dass in allen Pflegeheimen Tariflöhne gezahlt werden, der Rest wird durch eine Erhöhung der Pflegebeiträge finanziert. Das Prestigeprojekt von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) soll wohl dazu beitragen, seine Partei bei der Bundestagswahl vor dem Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit zu bewahren, ändert jedoch nichts an den strukturellen Problemen.

Insgesamt haben die prekär Arbeitenden außer warmen Worten nicht viel bekommen. Sie profitierten kaum von den Milliarden an Staatshilfen, noch konnten und können sie auf eine zukünftige Verbesserung ihrer Situation hoffen. Stattdessen sahen sich Pau­perisierte mit Migrationshintergrund rassistischen und sozialdarwinistischen Angriffen ausgesetzt. Im Mai behauptete Spahn, nach den Sommer­ferien 2020 seien insbesondere Reiserückkehrer vom Balkan und aus der Türkei für die Verbreitung des Virus verantwortlich gewesen, ohne dafür einen Beleg erbringen zu können. Es scheint vergessen, dass zu Beginn der Pandemie Geschäftsreisende und Skitouristen aus gehobenerem Milieu sowie Teilnehmer von Gottesdiensten die Hauptverantwortlichen für die Verbreitung des Virus waren.