Vor 80 Jahren begann das »Unternehmen Barbarossa«

Barbarossa hieß Barbarei

Vor 80 Jahren begann der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. Der Eroberungsfeldzug und die systematische Vernichtung der jüdischen Bevöl­kerung waren eng verknüpft.

Am 22. Juni 1941 begann das »Unternehmen Barbarossa« mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Den ideologischen Rahmen dafür bildete der ab 1940 entwickelte »Generalplan Ost«. Als »Lebensraum im Osten« sollten das Baltikum, die Ukraine, Weißrussland und Russland bis zum Ural zum Siedlungsgebiet für Deutsche werden.

Bereits wenige Tage nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion begannen Massenerschießungen von Juden.

Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums, hatte den Plan für den Weltanschauungskrieg der »arischen Rasse gegen die slawischen Untermenschen« in Auftrag gegeben. Als Autor hatte er den SS-Oberführer und Agrarwissenschaftler Konrad Meyer bestimmt. Dessen Strategiepapier propagierte die Vertreibung und Vernichtung der rassisch unerwünschten Einheimischen als Voraussetzung deutscher Besiedlung. In Teilen der eroberten Sowjetunion sollten drei deutsche »Reichsmarken« entstehen: das »Ingermanland« südlich von Leningrad, das Gebiet um den Fluss Narew mit Białystok und Litauen sowie der »Gotengau« mit der Halbinsel Krim und dem Mündungsdelta des Dnjepr, etwa 30 Kilometer oberhalb des Schwarzen Meeres.

In diesen Gebieten sollten mehrere Millionen Deutsche angesiedelt werden. Als Voraussetzung dafür nannte der Plan die Vernichtung von 25 Prozent der ukrainischen und weißrussischen und 50 bis 60 Prozent Prozent der russischen Bevölkerung im europäischen Teil der Sowjetunion; rund 30 Millionen Menschen sollten nach Sibirien umgesiedelt werden, darunter auch Polen und Tschechen. Darüber hinaus enthielt Meyers Papier Pläne zur wirtschaftlichen Ausbeutung der Sowjetunion. Unter anderem sollte die Ukraine zur deutschen Kornkammer und ein Teil der einheimischen Bevölkerung zu landwirtschaftlichen Sklavenarbeitern werden.

Von Anfang an waren der Eroberungsfeldzug und die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in den deutschen Plänen eng verknüpft. Diese waren durch Großmachtphantasien, Germanisierungsgedanken, Antibolschewismus, eliminatorischen Antisemitismus und rassistischen Antislawismus motiviert. Der antisemitische Wahn erklärte Juden für Kommunismus und Kapitalismus verantwortlich. Im Ostjudentum sahen die Deutschen die Keimzelle des »Weltjudentums«.

Den deutschen Soldaten war bewusst, dass sie nicht in einen herkömmlichen Krieg, sondern in einen Vernichtungsfeldzug zogen. Himmler, auch verantwortlich für die Organisation des Genozids, stellte vier mobile SS-Einsatzgruppen auf, jede von ihnen unterteilt in kleinere Einheiten, die sogenannten Einsatz- und Sonderkommandos. Die Offiziere der Wehrmacht wurden über die Entscheidung, die sowjetischen Juden zu ermorden, informiert. Im sogenannten Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 ordnete Hitler auf Antrag des Oberkommandos der Wehrmacht vom Mai 1941 an, Politkommissare der Roten Armee nicht als Kriegsgefangene zu behandeln, sondern unverzüglich zu erschießen. Im Laufe des Kriegs wurde der Befehl ausgeweitet auf Erschießungen von Partisanen und Geiseln, die Aushungerung der städtischen Bevölkerung und die Tötung sowjetischer Kriegsgefangener.

Ursprünglich war die deutsche Invasion der Sowjetunion bereits für das Frühjahr 1941 vorgesehen. Doch der Angriff verzögerte sich um mindestens zwei Monate aufgrund des Widerstands der jugoslawischen Bevölkerung, der die deutsche Kriegsmaschinerie aufhielt. Die Deutschen waren davon ausgegangen, dass die Balkanstaaten ihrem im September 1940 mit Italien und Japan geschlossenen Dreimächtepakt beitreten und als Aufmarschgebiet sowie Rohstoffreservoir für den Krieg gegen die Sowjetunion nutzbar sein würden. Im Falle Rumäniens und Bulgariens traf das zu, in Belgrad kam es hingegen, nachdem die jugoslawische Regierung dem Pakt beigetreten war, Ende März 1941 zu Massendemonstrationen und einem Militärputsch; der Beitritt wurde revidiert.

Kurz darauf erklärte Deutschland Jugoslawien den Krieg und setzte Belgrad unter ein Dauerbombardement. Nach wenigen Tagen kapitulierte das multikulturelle Jugoslawien, der Sieger zerstückelte das Land in völkische Vasallenstaaten. Doch der Widerstand der jugoslawischen Bevölkerung verzögerte den Überfall auf die Sowjetunion und trug dazu dabei, dass dieser im russischen Winter 1941/42 ins Stocken geriet. In überheblicher Erwartung eines »Blitzsiegs« war die Mehrheit der Wehrmachtsverbände nicht mit Winterkleidung und wintertauglicher Rüstungstechnik ausgestattet worden.

Das »Unternehmen Barbarossa« begann auf breiter Front zwischen der Ostsee und den Karpaten. Der Wehrmacht standen 153 Divisionen mit etwa drei Millionen Soldaten, 3 600 Panzern ­und 600 000 Motorfahrzeugen zur Ver­fügung. Hinzu kamen 600 000 Soldaten aus den verbündeten Staaten Ungarn, Rumänien, Finnland, Slowakei und Italien.

Vom Überraschungsmoment begünstigt – aufgrund des im August 1939 geschlossenen Hitler-Stalin-Pakts hatte die sowjetische Regierung keine ausreichenden Verteidigungsvorbereitungen getroffen – stießen drei große deutsche Heeresverbände schnell nach Osten vor. Mit der in Polen und Frankreich erprobten Strategie von keilförmigen Panzervorstößen nahm die Heeresgruppe Mitte binnen weniger Monate die Städte Białystok, Minsk und Smolensk ein. Anfang September schnitt die von Ostpreußen durch die baltischen Staaten vorgerückte Heeresgruppe Nord Leningrad von sämtlichen Landverbindungen ab und begann mit der Aushungerung der Stadt, der Schätzungen zufolge 1,1 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Dennoch konnten die Deutschen den Wider­stands­willen der Stadtbewohner nicht brechen. Nach 900 Tagen wurde der Belagerungsring der Wehrmacht am 27. Januar 1944 endgültig zerschlagen.

An der ukrainischen Front stieß die Heeresgruppe Süd nach einer Schlacht bei Kiew im Spätsommer 1941 in das rohstoffreiche Donezbecken vor. Ende 1941 hatten die deutschen Truppen das Baltikum, Weißrussland und weite Teile der Ukraine besetzt. Damit hatten sie das Ziel erreicht, diese Gebiete von Russland abzuspalten, das bereits im 1914 verkündeten Kriegszielprogramm der damaligen deutschen Regierung enthalten und von dieser im Vertrag von Brest-Litowsk von 1918 durchgesetzt worden war; dieser wurde allerdings durch den Vertrag von Versailles in weiten Teilen hinfällig. Mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 wurde dieses Ziel zweier deutscher Kriege, trotz des Siegs der Roten Armee über den Nationalsozialismus, doch noch Realität.

Erstmals zum Erliegen kam der nationalsozialistische Blitzkrieg Anfang Dezember 1941 vor Moskau. Einige Wochen später setzte sich der deutsche Vormarsch in den Osten fort. Mit der Einnahme der Stadt Sewastopol auf der Krim im Juli 1942 erreichte das von Deutschland okkupierte Gebiet seine weiteste territoriale Ausdehnung. Der dauerhafte Zugriff auf die Erdölquellen im Kaukasus, zu deren Erschließung bereits deutsche Unternehmen gegründet worden waren, wurde durch die Einschließung und Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad im Winter 1942/43 verhindert. Die deutsche Niederlage in dieser monatelangen Schlacht brachte die Wende im Zweiten Weltkrieg.

Bereits wenige Tage nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion begannen Himmlers Truppen, unterstützt von Einheiten der Polizei, der Sicherheitsdienste und der Wehrmacht, mit Massenerschießungen von Juden, ­unter anderem in Kaunas, Lwow und Białystok. Am 3. September 1941, mehrere Monate vor der Wannseekonferenz, ermordeten die Deutschen in den ersten Gaskammern von Auschwitz 850 Menschen mit Zyklon B, darunter 600 sowje­tische Kriegsgefangene. Am 29. und 30. September erschossen Himmlers Einsatzkommandos in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew bis zu 34 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Bis Ende 1941 hatten die Deutschen in der Sowjetunion bereits eine halbe Million Juden ermordet. Soldaten und Siedlern in Osteuropa war dies weitgehend bekannt. Auch große Teile der nicht im Kriegseinsatz stehenden deutschen Bevölkerung wussten durch Berichte von Soldaten auf Heimaturlaub Bescheid.

Nachdem die deutsche Bevölkerung heftigen Widerwillen gegen die Beschäftigung »russischer Untermenschen« als Zwangsarbeiter hatte erkennen lassen, töteten Wachsoldaten der Wehrmacht unzählige sowjetische Kriegsgefangene, hauptsächlich durch Verhungernlassen. Erst der akute Arbeitskräftemangel ab 1942 führte zu einer Modifikation der Vernichtungspolitik. 1944 wurden mehr als 2,7 Millionen Sowjetbürger als Zwangsarbeiter in der deutschen Produktion ausgebeutet.

Nach Kriegsende wurden die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion neben den vertriebenen »Volksdeutschen« aus Osteuropa zur zentralen Opfergruppe der Bundesrepublik stilisiert. Die Verhandlungen über ihre Rückkehr blieben bis Anfang der fünfziger Jahre ein prägender Inhalt der Politik der Regierung Adenauer.

Über die barbarische Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen, die von 1941 bis 1945 häufig im Freien in Erdlöchern vegetieren mussten, ver­loren die Deutschen nach Kriegsende indes kaum ein Wort. Von über fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben in den deutschen Lagern 3,3 Millionen. Insgesamt kostete der Sieg über den Nationalsozialismus die Sowjetunion 25 Millionen Menschenleben, mehr als zehn Prozent ihrer Bevölkerung.