Wie Erdoğan sich in die Präsidentschaftswahl in Nordzypern einmischte

Der Geheimdienst mischt mit

Wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan einem investigativen Bericht zufolge im Mafiastil die nordzyprischen Wahlen im Oktober 2020 beeinflusste.

»Es hat immer Einmischung der Türkei in Nordzypern gegeben, aber niemals so sehr wie bei der jüngsten Wahl«, sagt Serdar Denktaş. Er sollte es wissen, denn er ist der Sohn des langjährigen Präsidenten der international nur von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, Rauf Denktaş. Für diesen hatten die deutschen Medien sogar eine eigene Bezeichnung kreiert: »türkischer Volksgruppenführer«. Damit schloss man sich hierzulande sehr zur Freude der Türkei der ethnischen Sicht auf den Zypern-Konflikt an.

Dass Politik allein von der Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe bestimmt zu sein habe, denken aber sehr viele in Nordzypern keineswegs. Ein großer Teil der Bevölkerung Nord­zyperns ist linksliberal und internationalistisch eingestellt.

Der rechte Nationalist Rauf Denktaş konnte sich dort trotzdem jahrzehntelang, von 1975 bis 2005, an der Macht halten. Das lag zum einen an der Unterstützung durch die Türkei, zum anderen an ungeklärten Vermögensfragen. Bei der erzwungenen Teilung des Landes entfielen auf den nunmehr türkischen Norden 36 Prozent der Fläche Zyperns, obwohl die türkische Minderheit nur 18 Prozent der Bevölkerung gestellt hatte. Deshalb stellten sich viele durch den Bevölkerungsaustausch von 1975 besser, und das galt insbesondere für neue türkische Siedler aus Anatolien, darunter zahlreiche Soldaten, die 1974 an der Invasion teilgenommen hatten. Sie erhielten nun in ehemals griechischen Dörfern Häuser und Grundbesitz. Türke zu sein, lohnte sich auf Zypern.

Doch die linken Parteien ließen sich nicht auf Dauer von der Macht fernhalten. Am 30. April 2015 gewann der linke Politiker Mustafa Akıncı die Prä­sidentschaftswahl mit 60,3 Prozent. Noch am Wahlabend griff Akıncı zum Telefon, rief seinen Kollegen im griechischen Teil Zyperns an und verabredete sich für den 11. Mai zum Essen. Die Gespräche führten zu nicht unwesentlichen Verbesserungen, konnten aber die über Jahrzehnte geschaffenen Probleme des Zypern-Konflikts nicht lösen. Außerdem strebte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nun eine Zweistaatenlösung an, obwohl die Türkei eigentlich zusammen mit Großbritannien und Griechenland seit 1960 eine der drei Garantiemächte ist, die die Einheit Zyperns sicherstellen sollen.

Erdoğan und Akıncı gerieten immer mehr aneinander. Durch die Anrufung des Verfassungsgerichts wehrte Akıncı den Versuch von Erdoğans AKP ab, Einfluss auf das Bildungssystem Nordzyperns zu bekommen. Als Erdoğan den kurdischen Kanton Afrin in Syrien überfiel, schwieg die mächtige EU betreten über den Angriffskrieg. Scharfe Kritik war dagegen vom Präsidenten der Türkischen Republik Nordzypern, Mustafa Akıncı, zu hören.

Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2020 unterlag Akıncı sehr knapp dem von Erdoğan geförderten Kandidaten Ersin Tatar von der rechtsgerichteten Partei der nationalen Einheit (UBP). Um zum gewünschten Ergebnis zu kommen, soll die türkische Regierung kräftig nachgeholfen haben. Dies sucht nun ein Report zu belegen, der in der nordzyprischen Zeitung Özgür Gazete erschienen ist. Erstellt hat ihn eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten, darunter zwei Anwälte. Die Gruppe hat Gespräche mit sieben Personen geführt, die mit der Wahl zu tun hatten, unter anderem Politikern und Journalisten. Ein Politiker weigerte sich, seine Aussagen zu unterschreiben, ein weiterer zeigte sich zunächst offen für ein Gespräch, war dann aber nicht mehr zu erreichen. Ein dritter Politiker antwortete auf Anfragen nicht.

In dem Report berichtet Akıncıs Sekretär Cenk Gürçağ, er sei von drei Mitarbeitern des türkischen Geheimdiensts MİT, darunter der Koordinator für Auslandsoperationen des MİT, Kemal Bey, zum Mittagessen geladen worden. Was sie ihm zu sagen hatten, hörte sich an wie ein Gespräch mit Mafiosi: »Wir möchten Akıncı nicht da haben. Er kann ohnehin nicht gewinnen. Es wird dafür gesorgt werden, dass er nicht gewinnt. Wenn er doch gewinnt, wird nachher nichts mehr sein wie zuvor. Wir sind über alle informiert, die ihm nahestehen, bis auf ihre Atemzüge. Ich bitte dringend, Mustafa Akıncı das zu übermitteln: Wenn er sich von der Kandi­datur zurückzieht, wird das für ihn, seine Familie und seine nahen Mitarbeiter das Beste sein.«

Ähnliches berichtet Ali Kişmir von der Gewerkschaft der Medienarbeiter. Er sei zu einem Treffen in einem Hotel gebeten worden. Ein Mann habe ihn zu zwei weiteren geführt, die sich als »Botschafter der Türkei« ausgegeben und ihm unumwunden mitgeteilt hätten: »Wenn Mustafa Akıncı gewählt wird, werden ihm sehr schlechte Dinge passieren.« Außerdem hätten sie gesagt, sie hätten eine Liste mit allen Feinden der Türkei. »Wir kennen alle Feinde der Türkei und alle Agenten. Wir werden sie in die Türkei fortschaffen.« Wenn er seine Unterstützung für Akıncı aufgebe, werde er von der Liste gestrichen. Vor ihm hätten sie bereits mit 50 Journalisten gesprochen, die diesen Vorschlag alle angenommen hätten.

Die Chefredakteurin der Özgür Gazete, Pinar Barut, berichtet, sie sei auch nach der Wahl noch bedroht worden, weil sie einen Artikel über Wahlbetrug veröffentlicht hatte. Dem Artikel zu­folge haben einige Wählerinnen und Wähler fotografiert, wie sie Tatar wählten, wofür ihnen dann die Türkei Geld überwiesen habe. Allerdings sei das auch nicht das erste Mal geschehen.

Barut wisse auch, dass die türkische Botschaft die Staatsanwaltschaft aufgefordert habe, sie als »Spionin« verhaften zu lassen, weil sie über die Aktivitäten von Erdoğans Emissären auf Zypern berichtet habe. Ein Politiker der UBP habe ihr außerdem prophezeit, sie werde, sobald sie in die Türkei komme, am Flughafen verhaftet. Sie sei seither wegen der Covid-19-Pandemie nicht wieder in der Türkei gewesen, aber sie befürchte, dort tatsächlich verhaftet zu werden.

Neben einer Vielzahl weiterer Aktionen wird auch eine Wasserleitung erwähnt, die das immer trockener werdende Nordzypern von der Türkei aus versorgt. Im Januar 2020 wurde sie wegen eines angeblichen Schadens abgestellt. Im Oktober war sie plötzlich repariert und Erdoğan konnte sie fünf Tage vor der Wahl zusammen mit seinem Kandidaten Tatar wieder eröffnen.