Der Film »The Pedal Movie« ist Musikdoku und Promotion in einem

Von Fuzz bis Wah-Wah

Die Musikequipmentplattform Reverb hat einen Film über die Geschichte der Gitarreneffektgeräte produziert, der zugleich einer über die Geschichte der Rockmusik ist. »The Pedal Movie« erzählt aber auch davon, wie sich die alternative Musikindustrie ein neues Image zulegen will.

In dem Song »Hamburg rockt« kommentierten Tocotronic mit Verachtung die Arroganz, die dem Klischee nach in Musikgeschäften den Kunden entgegengebracht wird: ­»Gitarrenhändler, ich verachte euch zutiefst.« Die Gitarrenhändler hätten dem Musiker neues Equipment an­gedreht und ihn »wieder abgezockt«. Trotzdem ist den frühen Alben der Band eine ungebrochene ­Begeisterung für Gitarreneffekte anzumerken.

Das Online-Auktionshaus Reverb inszeniert sich als Mittler zwischen Herstellern und Kunden – und damit als Konkurrent der arroganten Gitarrenhändler.

Tocotronic übernahmen damit den Habitus einiger ihrer Vorbilder des US-amerikanischen Alternative Rock. Bei Dinosaur Jr., Sonic Youth oder Nirvana wurden die Gitarrensounds mit zahlreichen Effekten bis zur ­Unkenntlichkeit verzerrt, verändert, verfälscht. Der Waschmaschinenklang eines Chorus-Effekts ist vor allem aus »Come as You Are« von Nirvana geläufig. Kevin Shields von My Bloody Valentine ist für seinen originellen Umgang mit rückwärts abgespielten Hall-Effekten bekannt, J Mascis von Dinosaur Jr. dafür, zahlreiche Fuzz-Pedale übereinander­zuschichten. Mudhoney benannten ihr Debütalbum »Superfuzz Bigmuff« nach zwei Fuzz-Pedalen und demonstrierten damit, wie eng der Sound an die Technik gekoppelt ist.

Die Geschichte der Rockmusik kann nicht losgelöst von der Technologie und den jeweils zur Verfügung stehenden Effekten betrachtet werden. Das illustriert der Film »The ­Pedal Movie«, den der Online-Händler Reverb produziert hat, der neues und gebrauchtes Musikequipment vertreibt. In dem Film erzählen ­Pedalhersteller und Musikerinnen die Geschichte der Gitarren­effekte, die zugleich eine Geschichte der Rock- und Popmusik von den sechziger Jahren bis in die Gegenwart ist.

Am Anfang dieser Musikgeschichte der Gitarreneffekte stehen Unfälle und Zufälle. Der Fuzz-Sound ist zum ersten Mal 1961 auf Marty Robbins’ Countrysong »Don’t Worry« zu hören. Durch einen kaputten Kanal im Mischpult bekam das Basssolo von Grady Martin den typischen verzerrten Fuzz-Sound. Weil dieser Fehler auf der veröffentlichten Single enthalten war, entstand eine Nachfrage nach diesem Klang, und die Firma Gibson baute 1962 das erste Fuzz-Pedal: das Maestro FZ-1 Fuzz-Tone.

Da dieses als eine Möglichkeit für Gitarristen vermarktet wurde, den Sound von Blasinstrumenten zu imitieren, verkaufte es sich bis 1965 kaum – bis Keith Richards von den Rolling Stones es aus genau diesem Grund nutzte, um die Melodie für die Bläser-Sektion von »(I Can’t Get No) Satisfaction« einzuspielen a. Wie bei Marty Robbins wurde der vermeintlich unfertige Song veröffentlicht. Danach stieg die Nachfrage nach dem Fuzz enorm und neue Varianten kamen auf den Markt, die alle den Sound bestimmter Bands oder Musiker prägten. In Musikerforen herrscht weitgehend Einigkeit, dass der authentische Sound des frühen Jimmy Page (Led Zeppelin) nur mit dem Sola Sound Tone Bender zu erzielen sei, der von David Gilmour (Pink Floyd) je nach Werkphase nur mit einem ganz bestimmten Electro-Harmonix Big Muff und der von Jimi Hendrix nur mit dem Dallas Arbiter Fuzz Face, das in der Form einem Smiley nachempfunden ist.

In den Siebzigern beeinflusste der Effektmarkt in steigendem Maß die Musik von Schwarzen. Das Wah-Wah, das so klingt wie sein Name, bestimmte nicht nur die Rockmusik von Jimi Hendrix bis Metallica, sondern auch Funk und Soul und erst Recht die Filmmusik der Blaxploitation. Auch im Progrock waren nicht mehr nur verzerrte Klänge interessant, mit den Phase Shiftern der Firmen MXR oder Mu-Tron wird der Sound zeitlich moduliert. Doch die Pioniere auf dem Effektmarkt der Sechziger verschwanden Ende der siebziger Jahre größtenteils wieder. Der Markt wird seitdem von der japanischen Firma Boss beherrscht. Erst in den Neunzigern entstand eine DIY-Community sogenannter Boutique-Hersteller, die den heutigen Markt mitprägen und teilweise noch in die musikalische Entwicklung hineinwirken.

Eine solche Firma, die als Einpersonenunternehmen in einem Keller begann, ist Earthquaker Devices. In ihrer Ästhetik schließt sie an die Punk- und Hardcore-Szene an. Mit einer enormen Palette an Fuzz-­Pedalen und seltsamen Geräuscherzeugern wie der Rainbow Machine ist sie vor allem für Experimentalmusiker interessant. Aus all den Spielarten heutiger Ambient-, Drone-Metal- oder Experimentalmusik sind die unzähligen Echo-, Hall-, Modulationseffekte und Looper nicht mehr wegzudenken. Ebenso wenig der Fetisch, der sich um die Pedale ent­wickelt hat. Gitarristinnen wie Sarah Lipstate von Noveller oder Nels Cline von Wilco betrachten und behandeln Effektgeräte als eigene Instrumente.

Lipstate fällt in »The Pedal Movie«, wo sie als Interviewpartnerin auftritt, eine doppelte Rolle zu. In dem historischen Parforceritt bildet sie mit ihrer Musik und ihrem Verhältnis zu Effekten eine der wenigen Kon­stanten in dem dramaturgisch ansonsten misslungenen Dokumentarfilm. Denn dieser verfehlt seine ­beiden Zielgruppen: Wer sich ein bisschen mit der Materie auskennt, erfährt kaum Neues; und wer sich nicht ­damit auskennt, wird zweieinhalb Stunden lang von Namen, Zahlen und technischen Details überfordert, die die meist männlichen talking heads in die Kamera erzählen.

Gleichzeitig dient Lipstate als Feigenblatt. Die Geschichte der Rockmusik ist lange Zeit ebenso männlich gewesen wie die Geschichte der ­Gitarreneffekte. Zwar dürfen Lipstate und andere im Film beklagen, wie wenig Frauen in diesem Business mitmischen. Doch diejenigen, die das problematisieren, sind entweder die wenigen weiblichen Pedal-Herstellerinnen selbst, als prominenteste unter ihnen Fran Blanche, oder das Magazin She Shreds. Als Werbung für den Film stellte Reverb geschickterweise genau diese Passage frei ­zugänglich auf Youtube zur Verfügung und verzerrt damit das Bild von der eigenen Szene.

Steve Albini, der mit der Band Shellac das beinahe unmöglich aufzutreibende Fuzz-Pedal Harmonic Percolator berühmt machte, betont in der Doku den DIY-Gestus der Effektpedalhersteller als besonders integer und authentisch. Darin steckt eine für Albini typische Verklärung. Er unterschlägt die Kundenbindung, die aus der vermeintlichen Authentizität und Nähe zur Szene resultiert und die auch seine eigene Band auszeichnet. An dieser Argumentation haben auch die Macher von »The Pedal Movie« Interesse: Die Boutique-Hersteller würden sich als kleine US-amerikanische Unternehmen gegen große (japanische) Firmen behaupten, self-made men hätten ihr Hobby zum Beruf gemacht. Das Online-Auktionshaus Reverb inszeniert sich als Mittler zwischen Herstellern und Kunden – und damit als Konkurrent zu den arroganten Gitarrenhändlern.

Eine der erstaunlichsten Entwicklungen auf diesem Markt ist die Preissteigerung, die bestimmte Effektgeräte als Sammlerstücke erfahren haben, am extremsten beim Klon Centaur. In den Neunzigern zunächst für 250 US-Dollar erhältlich, liegen die Wiederverkaufspreise jetzt bei über 5 000 US-Dollar. Reverb ist selbst Teil dieser Entwicklung und hat als Plattform für Musikequipment Ebay den Rang abgelaufen. Daher hat die Firma auch ein Interesse, den Hype um Pedale aufrechtzuerhalten. Am Ende des Films ist vorsichtig von einer »pedal bubble« die Rede, die platzen könne. Doch Reverb muss die Geschichte der Gitarreneffekte als Erfolgsgeschichte erzählen, die noch kein Ende kennt.

Zwar geben sich die Macher der Doku alle Mühe, sie nicht wie einen Werbefilm für Reverb aussehen zu lassen, und legen den Akzent stattdessen auf die Geschichte und die Interviewpartner. Doch auch hier wirkt die Kundenbindung durch diese Art der Imagepflege. Reverb weiß, dass es von einer musikalischen Ökonomie profitiert, die auf Sammlerinnen und Hobbymusiker fixiert und von den Entwicklungen der Pop­musik nahezu entkoppelt ist.

Die Pedalhersteller sind in einer Retromanie steckengeblieben. Die meisten Pedale, die neu auf den Markt kommen, sind Derivate weniger ikonischer Designs, Wiederauflagen der berühmten Fuzz-Pedale aus den Sechzigern oder Kopien, sogenannte Klone, zum Beispiel des Klon Centaur. Der musikalische Erfindungsgeist steckt eher in Unfällen und ­Zufällen, die aus gegenwärtiger Technik entstehen und zu der die Effektpedale nur noch eingeschränkt beitragen.

»The Pedal Movie« (USA 2021). Buch und Regie: Michael Lux, Daniel Orkin. Der Film kann bei Google Play und iTunes gestreamt werden.