Auf der »Ungarnkonferenz«

Deutschland zeigt Ungarn die Regenbogenkarte

Die deutsche Politik verurteilt die Politik Ungarns.
Die preisgekrönte Reportage Von

»Jó nap!« begrüßt uns Till Zierpflanz schmunzelnd und verpasst uns ­einen kraftvoll-männlichen Händedruck. »Die Herrschaften sind bereits versammelt, gleich kann es losgehen.« Zierpflanz versucht, sich ­seine Anspannung nicht anmerken zu lassen – doch als Organisator der ersten gemeinsamen Ungarn-Konferenz von Bund und Ländern steht er derzeit natürlich unter besonderer Beobachtung.

Schnell führt er uns in den angenehm klimatisierten Tagungsraum, wo bereits alle versammelt sind: die Führungsriege von CDU, CSU, FDP, AfD und SPD; drei Bischöfe der katholischen Kirche und vier von Opus Dei (auf besonderen Wunsch von Armin Laschet); die Gender-Gaga-Produzentin Birgit Kelle sowie das Kuratorium von Uefa, Gazprom und Cosa Nostra. Alle Teilnehmenden tragen mindestens ein Kleidungsstück oder Accessoire in Regenbogenfarben, über ihnen schwebt eine Flagge mit der Aufschrift »Nein zu Orbán«. Das Grußwort spricht Annegret Kramp-Karrenbauer; seit sie in einer historischen Rede queere Eltern als Tür­öffner für Inzest und Tiersex bezeichnete, gilt sie als Expertin für sexuelle Vielfalt in der Union.

»Wir sind zwar konservativ, aber auch für uns gilt: Wir sind queer und wir sind bunt, sofern als dass wir schwarz-rot-gold als ›bunt‹ verstehen«, sagt Kramp-Karrenbauer kämpferisch. »Wichtig ist es jetzt, gegen Ungarn Zähne zu zeigen. Ungarn zeigt uns, wie schlimm queere Rechte beschnitten werden können! Daran sollten queere Menschen hier in Deutschland denken, bevor sie uns vorschnell kritisieren. Wir könnten nämlich auch ganz anders!« Die Ablehnung einer Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes durch die deutsche Regierung, das Adoptionsverbot, die Abschiebung queerer Geflüchteter in Verfolgerstaaten – darüber soll heute nicht geredet werden. »Wichtig ist: In Ungarn ist alles schlimmer als hier, also ist es hier gut! Darauf können wir uns hoffentlich einigen.«

Gegen Ende der Veranstaltung trampeln alle Beteiligten noch einmal auf der ungarischen Nationalflagge herum: »Böses, böses Ungarn!« schreit Kardinal Klappstuhl. »Lass die Queers in Ruhe! Die dürfen nur wir drangsalieren! Nicht du!« Alle Beteiligten hoffen, dass von der Konferenz wichtige Impulse ausgehen – um möglichst schnell zu verpuffen.

 

Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.