In Hongkong musste die demokratische Zeitung »Apple Daily« schließen

Ein Land, ein System

»Apple Daily«, die wichtigste demokratische Zeitung Hongkongs, musste vorige Woche wegen staatlicher Repressalien den Betrieb einstellen.

Für die Menschen in Hongkong ist der 1. Juli ein wichtiges Datum. Während in Peking der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Jahr 1921 gedacht wird, feiert das offizielle Hongkong an diesem Tag die Übergabe der vormaligen britischen Kronkolonie an die Volksrepublik China im Jahr 1997. Der Zivilgesellschaft war der 1. Juli traditionell Anlass, in großen Demons­trationen mehr Demokratie, allgemeines Wahlrecht und Meinungsfreiheit zu fordern. Doch seit dem 1. Juli vorigen Jahres hat es in Hongkong keinen solchen Massenprotest mehr gegeben. Denn in der Nacht zuvor war das Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong in Kraft getreten, das die Möglichkeiten politischer Repression deutlich ausweitete. Die populäre Tageszeitung Apple Daily erklärte am nächsten Morgen auf ihrer Titelseite »Ein Land, zwei Systeme ist tot«.

Das Nationale Sicherheitsgesetz hat Hongkong innerhalb nur eines Jahres grundlegend verändert.

Ein Jahr später bestätigt sich diese Einschätzung. Demokratische Rechte sind in Hongkong immer weiter eingeschränkt worden – und Apple Daily musste den Betrieb einstellen. Nach einer monatelangen Kampagne der Behörden gegen die Zeitung und deren Mitarbeiter veröffentlichte Apple ­Daily am 24. Juni, eine Woche vor dem ersten Jahrestag des Gesetzes, ihre vorerst letzte Ausgabe. Mehr als 500 Beamte hatten bei einer Razzia am 17. Juni die Redaktionsräume durchsucht und fünf leitende Angestellte der Zeitung verhaftetet. Begründet wurde das mit einer Reihe von Artikeln, die interna­tionale Sanktionen gegen die Volksrepublik China und Hongkong gefordert hätten. Das stelle eine »Verschwörung mit ausländischen Kräften« dar – einer der neuen Straftatbestände des Nationalen Sicherheitsgesetzes.

Noch am selben Tag wurden Vermögenswerte des Eigentümerkonzerns von Apple Daily, Next Digital, in Höhe von 18 Millionen Hongkong-Dollar (umgerechnet knapp zwei Millionen Euro) eingefroren. Die Zeitung war nicht mehr in der Lage, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Vertriebspartner zu bezahlen, und sah sich schließlich gezwungen, den Betrieb komplett einzustellen. Die Website und alle social ­media-Kanäle der Zeitung gingen am Mittwoch vergangener Woche um 23.59 Uhr offline. Viele Hongkonger standen am nächsten Tag schon in den frühen ­Morgenstunden vor den Zeitungskiosks Schlange, um ihre Solidarität mit den Zeitungsmachern auszudrücken und die letzte Printausgabe zu ergattern. Die Zeitung druckte zu diesem Anlass eine ­erhöhte Auflage von einer Million, die schnell vergriffen war.

Schon im August vorigen Jahres hatten Ordnungskräfte die Redaktionsräume durchsucht und den Apple Daily-Gründer Jimmy Lai fest­genommen. Nachdem dieser kurzzeitig auf Kaution entlassen wurde, sitzt der 73jährige seit Dezember eine 20monatige Haftstrafe ab, wegen der Anstiftung zu ungenehmigten Protesten. Zusätzlich wird gegen ihn wegen weiterer Verstöße gegen das Sicherheitsgesetz ermittelt.

Inzwischen trifft es auch Angestellte der Zeitung. Der 55jährige Chefkolumnist Yeung Ching-kee wurde am Mittwoch vergangener Woche festgenommen; am Sonntagabend ist auch der Chefredakteur der englischsprachigen Ausgabe, Fung Wai-kwong, verhaftet worden, als er am Hongkonger Flughafen einen Flug nach Großbritannien antreten wollte. Beiden wird Verschwörung mit ausländischen Kräften vorgeworfen.

Seit ihrer Gründung vor 26 Jahren versorgte die Apple Daily die Hongkonger täglich mit Boulevardthemen und den neuesten Paparazzi-Aufnahmen, trat aber auch stets für Demokratie und gegen die wachsende Einflussnahme der KPCh in Hongkong ein. Vor allem in den vergangenen zehn Jahren, als mehr und mehr Zeitungen in Hongkong von chinesischen und regimetreuen Investoren aufgekauft wurden, avancierte Apple Daily dank der klaren Haltung zum Leitmedium des demokratischen Lagers. In einer ­Langzeitstudie über Medienvertrauen in Hongkong haben Forscher der Chinese University of Hong Kong gezeigt, dass Apple Daily die einzige Zeitung ist, deren Glaubwürdigkeit seit 2013 gewachsen ist. Alle anderen Zeitungen haben in den vergangenen Jahren stark an Glaubwürdigkeit verloren. Entsprechend nehmen viele Hongkonger das Ende von Apple Daily als herben Verlust für die Pressefreiheit wahr.

In Paris und Berlin zogen Vertreter von Reporter ohne Grenzen (RSF) vor die Botschaften der VR China und trugen die Apple Daily symbolisch zu Grabe. RSF-Generalsekretär Christophe Deloire sagte in Paris: »Es ist an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft im Einklang mit ihren eigenen Werten und Verpflichtungen handelt und verteidigt, was von der freien Presse in Hongkong noch übrig ist, bevor Chinas Modell der Informationskontrolle ein weiteres Opfer fordert.«

Das nächste Opfer könnte derweil schon feststehen. Am Sonntag teilte das oppositionelle Online-Medium Stand News mit, dass es alle Meinungsartikel und Kolumnen von seiner Website entfernen und in Zukunft keine Spenden mehr annehmen werde. Man wolle damit gleichermaßen Autorinnen und Unterstützer schützen. Sechs der acht Vorstandsmitglieder der Publikation traten zurück, darunter die ehemalige Abgeordnete Margaret Ng und die Cantopop-Sängerin und Aktivistin Denise Ho. Die freie Journalistin Oiwan Lam wies darauf hin, dass einige unabhän­gige Medien in den letzten Tagen anonyme »Warnungen« erhalten hätten. Eine ganz ähnliche Warnung sei kurz vor der Polizeirazzia auch bei Apple Daily eingegangen.

Das Nationale Sicherheitsgesetz hat Hongkong innerhalb nur eines Jahres grundlegend verändert. Nicht nur die Medien werden seitdem nach und nach auf Linie gebracht. Mindestens 130 Personen wurden bisher auf Grund­lage des Gesetzes verhaftet. Das Wahlrecht wurde weiter ausgehöhlt und das Versammlungsrecht de facto aufgehoben, Politiker des demokratischen Lagers wurden verfolgt. Kritische Bücher und Filme werden zensiert, die Schulbildung wird nach politischen Maßgaben neu geordnet. Geschäftsinhaber, die sich mit der Demokratiebewegung solidarisch zeigen, werden eingeschüchtert. Nicht einmal die Unabhängigkeit der Justiz ist noch gewährleistet. Das Nationale Sicherheitsgesetz sei, so ein neuer Bericht von Human Rights Watch, ein integraler Bestandteil der Bemühungen Chinas, die Institutionen und die Gesellschaft Hongkongs umzugestalten und in der einstmals »weit­gehend freien Stadt« die Unterdrückung durch die Kommunistische Partei durchzusetzen.