Dresdens neue Stadtschreiberin sucht die Nähe zur Neuen Rechten

Rechte schreiben lassen

Die neue Dresdner Stadtschreiberin Kathrin Schmidt sucht die Nähe der Neuen Rechten und sieht Parallelen zwischen der Erweiterung der Covid-19-Impf­kampagne auf Kinder und nationalsozialistischen Menschenversuchen.

Keine Antrittslesung einer Stadtschreiberin oder eines Stadtschreibers in Dresden war politisch so aufgeladen wie die von Kathrin Schmidt am 25. Juni. Bereits im Vorhinein gab es Artikel in allen regionalen Zeitungen sowie hitzige Diskussionen in den sozialen Medien und Kommentarspalten. Stein des Anstoßes waren Äußerungen der Schriftstellerin über die Covid-19-Pandemie: Im Mai veröffentlichte die 63jährige einen Artikel bei dem Online-Portal ­Rubikon, das sich zu einer Plattform von Coronaleugnerinnen und Verschwörungsschwurblern entwickelt hat.

In ihrem Beitrag versucht Schmidt, einen Bogen von noch hypothetischen Covid-19-Impfungen bei Kindern zu den medizinischen Versuchen im nationalsozialistischen Deutschland zu schlagen – unter dem Titel: »Weißkittel mit finsteren Plänen«. Weil der Deutsche Ärztetag Anfang Mai die Bundesregierung aufforderte, auch für Kinder und Jugendliche eine Covid-19-Impfstrategie zu entwickeln, stehe Deutschland vor einer »Kindeswohlgefährdung von historischem Ausmaß«, so Schmidt. Außerdem verstießen die Ärztinnen und Ärzte mit diesem Beschluss gegen ihr Berufsethos. Schmidt fragt, was die Impfungen anderes sein sollten als ein großangelegter Menschenversuch. Sie betont zwar, dass es ihr fernliege, »das heutige Impfgeschehen mit den NS-Menschenversuchen gleichzusetzen«, aber hält es trotzdem für nötig, beides in einem Artikel zu verhandeln. Der Verschwörungsideologe Ken Jebsen veröffentlichte eine Audioversion von Schmidts Beitrag in seinem Podcast »KenFM: Standpunkte«.

Bereits vor ihren Äußerungen bei Rubikon war Schmidt im Dezember 2020 mit Tweets aufgefallen, in denen sie den Youtuber Gunnar Kaiser verteidigte, der Verschwörungserzählungen verbreitete. Darüber hinaus ist sie nach eigenen Angaben Mitglied der Kleinstpartei »Die Basis«, die im Zuge der Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie entstanden war. Dort tummeln sich zahlreiche bekannte Verschwörungstheoretikerinnen und Coronaleugner (siehe Jungle World 23/2021). Passenderweise sagte Schmidt in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung, dass Covid-19 keine Pandemie sei und zumindest in Deutschland keine ernsthafte Gefahr darstelle.

Alle Rednerinnen und Redner bei Schmidts Antrittslesung hielten es für nötig, sich zu diesen politischen Positionen der Stipendiatin zu äußern. Heiko Lachmann, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kunst und Kultur der Ostsächsischen Sparkassen Dresden, die das Stipendium für Schmidt finanziert, sagte, dass ihre jüngsten Beiträge »zu Recht sehr kritisch gesehen« werden, es »aber innerhalb demokratisch-rechtsstaatlicher Leitplanken« ihr gutes Recht sei, sich zu äußern. Die Streitbarkeit der Person könne, so Lachmann weiter, ein Gewinn für Dresden werden.

Deutlicher wurde Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) in ihrem Grußwort: Die Meinungsfreiheit sei ein wichtiges Gut, aber es müssten auch alle damit leben, dass einer Meinung deutlich widersprochen wird. Aufgrund der Folgen der Covid-19-Pandemie, so Klepsch weiter, sei Schmidts Rubikon-Artikel nur schwer auszuhalten. Aus Wertschätzung für die Beschäftigten im Gesundheitswesen und aus Respekt vor den Angehörigen der Menschen, die an Covid-19 gestorben sind, könne sie eine solche Position nicht unkommentiert stehen lassen. Die Ausbreitung von Verschwörungs­erzählungen, Antisemitismus und Intoleranz nehme sie als derzeit größte Herausforderung wahr. Solange die streitbaren Positionen sich jedoch im verfassungsgemäßen Rahmen bewegten, sei es ihrer Meinung nach richtig, an der Jury-Entscheidung für Schmidt festzuhalten.

Schmidt selbst konzentrierte sich an diesem Abend auf ihre Literatur. Sie las aus Geschichten und Gedichten, ohne auf die umstrittenen politischen Positionen einzugehen. Im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Karin Großmann erzählte sie von ihrer Urgroßmutter, die aus Ostpreußen geflohen sei, und von ihrem Vater, der in der DDR viele Jahre im Gefängnis verbracht habe. Einen tiefen Einschnitt in Schmidts Leben stellte eine schwere Erkrankung dar, die sie vor knapp 20 Jahren überstanden hat. Ein Aneurysma in ihrem Kopf war geplatzt und die Schriftstellerin musste das Sprechen, Lesen und Schreiben neu erlernen. In dem Roman »Du stirbst nicht« schrieb sie von ihrem Kampf zurück ins Leben und erhielt dafür 2009 den deutschen Buchpreis.

Wenige Tage vor ihrer Antrittslesung traf Schmidt sich mit Vertretern des intellektuellen Milieus der Neuen Rechten. Man kennt sich und spricht miteinander.

Für eben jenes literarische Werk wählte die Jury Schmidt im Sommer 2020 aus. Als Dresdner Stadtschreiberin erhält sie für sechs Monate ein Stipendium sowie eine mietfreie Wohnung in der sächsischen Landeshauptstadt. Die Stadt Dresden sehe derzeit keine Veranlassung, das Stipendium zu widerrufen. Das Jury-Mitglied Michael Bittner betonte auf Twitter, dass er vom politischen Wirken Schmidts zur Zeit ihrer Bewerbung nichts gewusst habe. Die Stadträtin Andrea Mühle (Bündnis 90/Die Grünen) sagte im Gespräch mit der Jungle World, es sei anzunehmen, »dass Frau Schmidt sich der Bedeutung ihrer Bewerbung gerade nach Dresden bewusst war«.

Am 10. Juni twitterte das Dresdner Buchhaus Loschwitz: "Spontaner Autoren-Besuch bei Sonnenschein von Bernd Wagner, Jörg Bernig und Uwe Tellkamp. Nach dem Regen kam dann noch die Stadtschreiberin Kathrin Schmidt." Berning hat unter anderem in der Sezession, der Zeitschrift des neurechten Instituts für Staatspolitik, veröffentlicht und erlangte bundesweite Bekanntheit durch seine später widerrufene Wahl zum Kultur­amtsleiter der sächsischen Stadt Radebeul im Mai 2020 (Nobody in Radebeul).

Tellkamp ist einer der Unterzeichner der »Charta 2017«, die dagegen protestierte, dass extrem rechte Verlage von der Frankfurter Buchmesse ausgeschlossen worden waren, darunter der Verlag Antaios von Götz Kubitschek, der auch Chefredakteur von Sezession ist. Das Buchhaus Loschwitz selbst veranstaltete immer wieder Lesungen mit Autorinnen und Autoren des Antaios-Verlags und Betreiberin Dagen hielt schon Literaturgespräche mit Ellen Kositza ab, die ebenfalls Autorin der Sezession ist (Jungle World 45/2020). Wie gut die Verbindungen der neuen Stadtschreiberin Schmidt in dieses intellektuelle Milieu der Neuen Rechten sind, bleibt zunächst offen. Klar ist, dass man sich kennt und miteinander spricht.

Mit Blick auf die Entwicklung der Stadt Dresden hält es die Stadträtin Mühle für notwendig, »hier noch aufmerksamer zu sein, noch mehr zu hinterfragen, auch sich selbst, noch sensibler zu sein, noch deutlicher zu widersprechen«. Sie hofft darauf, dass die Anwesenheit von Schmidt als Stadtschreiberin in den nächsten Monaten kritisch begleitet wird.

 

Gegendarstellung

"Sie behaupten in Ihrem Artikel vom 01.07.2021, "Rechte schreiben lassen", ich habe an einem "informellen Treffen mit Susanne Dagen, der Betreiberin des Buchhauses, sowie dem Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp und dem Radebeuler Erzähler Jörg Bernig" teilgenommen. Ort des Geschehens: Buchhaus Loschwitz.

Das ist falsch.

Richtig ist:

Ich besuchte das Buchhaus Loschwitz, um einen Gedichtband von mir zu kaufen, den ich am Abend desselben Tages verschenken wollte. Ich nahm an, dass er im Buchhaus Loschwitz vorrätig sei, was in anderen Dresdner Buchhandlungen zuvor nicht der Fall gewesen war. Meine Vermutung traf zu. Ich kaufte das Buch. Als ein Sturzregen einsetzte, nahm mich Frau Dagen freundlicherweise ins Haus. Herr Uwe Tellkamp und Herr Jörg Bernig waren nicht zugegen. Ich hörte von Frau Dagen, dass sie zuvor dagewesen seien." Kathrin Schmidt

 

Dieser Artikel wurde am 15.07.2021 geändert. Wir halten an unserer Behauptung nicht mehr fest.